Menschen in der Minderheit
Mobilfunkkunde Maschine - Menschliche Nutzer werden Minderheit

Kein Mobiltelefon funktioniert ohne SIM-Karte - eine Erfindung des Münchner Unternehmens Giesecke+Devrient. Doch die am schnellsten wachsende Kundengruppe im Mobilfunk sind nicht mehr Menschen aus Fleisch und Blut.
Publiziert: 01.07.2023 um 07:40 Uhr
SIM-Karten in physischer Form gibt es immer seltener. (Archivbild)
Foto: WALTER BIERI

Ein in Milliardenstückzahlen gefertigtes Requisit des Handy-Zeitalters verschwindet aus den ersten Mobiltelefonen: die SIM-Karte. Im Jahr 1991 vom Münchner Unternehmen Giesecke+Devrient entwickelt, vertreibt das Unternehmen nun auch eine digitale Version namens eSIM, die ohne Plastikkärtchen als Chip fest im Telefon verbaut ist. «Das iPhone 14 hat in den USA bereits keinen Slot für eine SIM-Karte mehr, sondern nur noch eine eingebaute eSIM», sagt G+D-Vorstandschef Ralf Wintergerst.

SIM steht für «Subscriber Identity Module». Ursprünglicher Zweck der Karten war die eindeutige Authentifizierung der Nutzer im Mobilfunknetz, inzwischen sind viele Sicherheitsfunktionen hinzugekommen. Der praktische Nutzen der eSIM liegt unter anderem darin, dass keine physische Karte in den Schlitz eingeführt werden muss - je nach Geschicklichkeit eine mehr oder minder schwierige Fingerübung. Urlauber oder auch Geschäftsreisende in Übersee kaufen bislang häufig eine zweite SIM, um einer astronomisch hohen Telefonrechnung vorzubeugen. Auf einer eSIM können mehrere Verträge gleichzeitig laufen.

Doch hat das Unternehmen mit der eSIM vor allem eine Zielgruppe im Sinn, die weder telefoniert noch Whatsapp schreibt: Maschinen. «Das eSIM-System ist heute auch beispielsweise in BMW-Modellen verbaut», sagt Wintergerst. «Wir investieren stark in Lösungen für das Internet der Dinge, um die Verbindungsdienstleistungen zwischen den verknüpften Devices auszubauen.»

Das «Internet of Things», im branchenüblichen Kurzsprech «IoT» genannt, ist mittlerweile der eigentliche Wachstumsmarkt. Das Hamburger Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IoT Analytics schätzt, dass es Ende 2022 weltweit 14,3 Milliarden vernetzte Geräte gab, davon knapp 2,9 Milliarden über Mobilfunk, wie ein Sprecher erläutert. Die übrigen Maschinen sind grossenteils über WLAN oder Bluetooth mit der Aussenwelt verbunden.

Bis 2027 könnte es laut Prognose von IoT Analytics schon 27 Milliarden vernetzte Maschinen und Geräte geben, davon sechs Milliarden über Mobilfunk. Und eines nicht allzu fernen Tages wird die Zahl der Maschinen mit Mobilfunkverbindung voraussichtlich die Zahl der Menschen auf dem Planeten überschreiten.

Es gibt viele denkbare Anwendungen - primär Gerätschaften und Maschinen, die sich bewegen oder fernab eines Servers stehen. Autos sind nur ein Beispiel. «Unsere neu erworbene Tochtergesellschaft Mecomo etwa bietet Track und Trace» - sinngemäss «Suche und Finde» - «und Dienstleistungen für grosse Logistikunternehmen an», sagt Wintergerst.

«Damit lässt sich feststellen, wo sich eine Ware gerade befindet. Ich habe geglaubt, das wäre ein längst gelöstes Problem, ist es aber nicht.» Selbst an Flughafen stünden Gepäckcontainer häufig herum - «und das Personal muss eine Viertelstunde suchen, bis sie den richtigen gefunden haben. Das kann man relativ einfach lösen», sagt der Manager.

Als weiteres Beispiel nennt der G+D-Vorstandschef die digitale Landwirtschaft. «Über Sensoren lässt sich messen, wie es um Bewässerung und Pflanzenwachstum bestellt ist.» Da der Sensor die Messergebnisse an einen Server übermitteln muss, ist eine Verbindung notwendig. Auf Acker, Weide und im Obstgarten sind Bluetooth oder WLAN wegen mangelnder Reichweite nicht nutzbar, die naheliegende Lösung ist der Mobilfunkanschluss.

Die maschinelle Kundschaft ist wegen ihres rasanten Wachstums naturgemäss auch für die Telefonanbieter ein begehrter Markt. Laut IoT Analytics lag die Deutsche Telekom 2022 mit einem weltweiten Marktanteil von gut fünf Prozent auf Platz fünf. Im Vergleich zu manchen menschlichen Kunden sind Maschinen mutmasslich angenehm im Umgang: Sie beschweren sich nicht wütend über Funklöcher, sondern übermitteln höchstens Fehlermeldungen.

«Unsere erste SIM-Karte haben wir an Mannesmann geliefert, quasi von Hand ausgesägt», sagt Wintergerst. «Im Laufe der Jahre haben wir ungefähr neun Milliarden Stück hergestellt. Früher war das ein physisches Produkt, für das wir pro Stück einen Geldbetrag bekommen haben.»

Der eSIM-Chip wird nach Worten des Managers bei der Herstellung des Telefons eingebaut - «und wir bekommen von den Kunden in einem komplett digitalen Geschäftsmodell Gebühren für Aktivierung und Softwarelizenzen.»

Mittlerweile gibt es neben G+D noch weitere SIM-Karten-Hersteller. Wie viele Karten weltweit seit Markteinführung der ersten Handys in den 1990ger Jahren produziert wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Laut International Telecommunications Union (ITU) in Genf gab es Ende 2021 allein in China 1,7 Milliarden Mobilfunkverträge, in den USA 361 Millionen, und in Deutschland 106 Millionen. Auch in vielen anderen Ländern gibt es mehr Mobilfunkverträge als Einwohner.

Handys haben vergleichsweise kurze Produktzyklen, viele Menschen legen sich gern die neuesten Modelle zu. Sichtbar wird dies in den Zahlen des deutschen Dgitalbranchenverbands Bitkom: Seit 2006 wurden demnach in der Bundesrepublik über 284 Millionen Mobiltelefone verkauft.

Da oft bei weiterlaufendem Vertrag nur die Telefone gewechselt werden, lässt sich das nicht mit dem SIM-Absatz gleichsetzen. Doch kann kein Zweifel bestehen, dass auch die Zahl der Karten nach wie vor steigt.

(SDA)

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