Maschinen sind verschwunden
Bauernfamilie Herger bangt um ihre Existenz

Die Hergers führen ihren Hof in vierter Generation. Nun könnte der Konkurs eines Mechanikers dem Familienbetrieb ein jähes Ende bereiten. Vom Konkursamt werden sie nur vertröstet. Dabei brauchen sie im Winter ihren Schneetöff unbedingt.
Publiziert: 19.09.2024 um 11:32 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2024 um 14:25 Uhr
Andreas und Angelina Herger stehen vor dem Nichts.
Foto: Remo Inderbitzin
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Andri Gigerl
Beobachter

Der Hof Horlachen, 1245 Meter über Meer mit Blick in die Urner Bergwelt, ist mehr als ein Arbeitsort. Er ist Heimat. Und das Zuhause von Andreas Herger (36) und seiner Frau Angelina. Die beiden haben den Hof vor einigen Jahren von Andreas’ Vater übernommen. Seither führen sie ihn in vierter Generation – und mit ihren drei Kindern ist auch die fünfte bereits in Sichtweite.

«Der Hof bedeutet uns alles. Er ist das Letzte, was wir je aufgeben würden», sagt Andreas Herger. Doch was die junge Bauernfamilie im vergangenen Jahr erdulden musste, stellt diese Absicht auf eine harte Probe. Als Angelina und Andreas Herger den Betrieb 2021 übernehmen, wollen sie nicht einfach weiterführen, was war, sondern etwas Neues schaffen. Etwas, wofür sie brennen.

Phänomenaler Ausblick von Hergers Betrieb: Wer hier lebt, braucht gute Maschinen.
Foto: Remo Inderbitzin

Die zwei Schottischen Hochlandrinder, die der Vater gegen Ende noch aufgenommen hatte, sind beiden so ans Herz gewachsen, dass sie den Betrieb auf diese Rasse umstellen und den Hof entsprechend umbauen. Sie schaffen neue Maschinen an – und bringen alle alten nach und nach in den Service.

Die Hergers sind bereit, den Hof in die Zukunft zu führen.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Schockierender Fund auf Tutti

Doch im letzten September erhält Herger einen Anruf, der ihn bis heute beschäftigt. Am Telefon ist der Landmaschinenmechaniker, dem die Familie ihre Fahrzeuge und Maschinen zur Revision gebracht hat: Die Lage sei schlecht, meint dieser, er müsse leider Konkurs anmelden.

Zu seinem Lager habe er keinen Zugang mehr – die Hergers müssten sich beim Konkursamt in Nidwalden melden. Sie reichen also umgehend eine Liste ihrer Maschinen inklusive Zahlungsbelege ein. Das Konkursamt vertröstet sie: Es sei zu früh, das Verfahren laufe noch.

Der «Beobachter»-Prämienticker

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker unternimmt der «Beobachter» etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Einige Monate später wird der Fall eingestellt. Die Hergers atmen auf und planen, ihren Maschinenpark abzuholen, sobald der Schnee geschmolzen ist. Doch bevor es so weit ist, macht der Bauer eine ungeheuerliche Entdeckung: eine seiner Maschinen – zum Verkauf auf der Kleinanzeigen-Plattform Tutti.

Entsetzt meldet sich Herger beim Konkursamt. Dort weiss man nichts von einem Verkauf. Also kontaktiert er den Inserenten, der ihn wiederum an dessen Anwalt verweist. Dieser erklärt: alles rechtens. Sein Mandant sei der Vermieter einer Lagerhalle, in der die Maschinen seit Monaten unerlaubt stünden. Er habe vom Gericht die Erlaubnis erhalten, alles zu verkaufen. 

Auch der Mechaniker, bei dem Herger sich darauf meldet, kann ihm nicht weiterhelfen. Er habe keine Kontrolle mehr über die Sachen. Herger kann nicht glauben, was passiert – bis heute: «Dass Eigentum in der Schweiz einfach so abhandenkommt – das kann doch nicht sein.» 

Die Gerichtsurteile bringen Klarheit

Doch die Urteile vom Landgerichtspräsidium Uri zeigen: Die Sache ist rechtlich wasserdicht. Die Lagerhalle war dem Mechaniker nur befristet bis zum 30. Juni 2022 vermietet. Danach hat er sie trotz mehrfacher Aufforderung und gerichtlicher Anordnung nicht geräumt.

Grosse Leere: Hier sollten die Maschinen stehen.
Foto: Remo Inderbitzin

Deshalb verlangte der Vermieter einen sogenannten «Selbsthilfeverkauf» beim Gericht. Das erlaubte ihm, den Inhalt der Halle zu verkaufen und den Erlös mit den Schulden des Mechanikers zu verrechnen, damit die Halle wieder nutzbar wurde. 

Das Gericht hat den Verkauf bewilligt – und festgehalten, wer dafür sorgen muss, dass Dritte – also Leute wie Andreas Herger – ihre Sachen zurückbekommen: der Mechaniker. Dieser erhielt ab dem Urteilsspruch vom 23. Juni 2023 eine letzte Frist von vier Wochen, um die Halle zu räumen. Und liess sie unverrichteter Dinge verstreichen.

Gegenüber dem Beobachter rechtfertigt sich der Mechaniker unter anderem damit, dass er die Halle gar nicht habe räumen können, weil ihm der Vermieter den Zugang verweigert hätte. Ein Einwand, den das Gericht nicht gelten liess: Er hätte sich beim Vermieter zum Räumen vorab anmelden können. Damit schuldet nun der Mechaniker der jungen Bauernfamilie Schadenersatz. So schreibt es das Gericht. 

Für die Betroffenen ein schwacher Trost. Denn der Mechaniker dürfte finanziell kaum in der Lage sein, für den Schaden aufzukommen. Die Hergers beziffern ihn auf rund 80’000 Franken. Das Konkursverfahren gegen den Mechaniker wurde «mangels Aktiven» eingestellt.

Sprich: Das Konkursamt sah nicht genügend Werte, um überhaupt die Verfahrenskosten zu decken. Die Kunden dürften also auf dem Verlust sitzen bleiben.

Der verschwundene Schneetöff

Für die Familie Herger ist die Situation eine Katastrophe. Ein paar der Maschinen, ohne die sie den Hofbetrieb langfristig kaum aufrechterhalten können, haben sie zwar vom Vermieter der Halle inzwischen noch zurückbekommen.

Andere aber sind spurlos verschwunden – darunter eine Maschine zum Heuen und der Schneetöff. Wenn der Winter kommt, ist dieser für die Familie oft der einzige Weg, ins Tal zu gelangen, zudem fahren sie mit ihm die Kinder zur Schule.

Mit dem alten Motormäher seines Vaters muss Andreas Herger nun sein stotziges Land bewirtschaften.
Foto: Remo Inderbitzin

Wo die Maschinen und Gefährte geblieben sind, ist unklar. Der Hallenvermieter sagt, die Maschinen seien weg gewesen, als er seine Halle wieder übernahm. Der Mechaniker wiederum behauptet, es sei alles noch da gewesen, bevor ihm der Zugang zur Halle entzogen worden sei. 

Andreas Herger wollte bei der Polizei Anzeige gegen unbekannt erstatten. Doch dort hiess es, er müsse das Problem in einer Zivilklage klären. Einen Anwalt dafür kann er sich nicht leisten.

«Das Schlimmste an der Sache ist, dass wir bis heute über vieles keine Klarheit haben – und dass das niemanden kümmert. Jeder gibt dem anderen die Schuld, und keiner will verantwortlich sein», findet Herger. 

«Jeder gibt dem anderen die Schuld, und keiner will verantwortlich sein»: Andreas und Angelina Herger.
Foto: Remo Inderbitzin

«Durekämpfe, Tag für Tag»

Die Familie versucht sich nun irgendwie über Wasser zu halten. Dafür geht Andreas auf dem Bau zusätzliches Geld verdienen. Es sei ein «Durekämpfe, Tag für Tag». Die Hoffnung auf eine Klärung hat er noch nicht ganz aufgegeben.

Doch er weiss: Ewig wird das so nicht weitergehen – zu viel Hofarbeit bleibt liegen, zu viele Probleme stauen sich an. «Es macht mich einfach traurig, dass so etwas in der Schweiz passieren kann. Das glauben mir Kollegen fast nicht», sagt Andreas Herger. «Wer im Ernstfall kein Geld für einen Anwalt hat, der ist niemand – und verliert alles.» 

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