Wenn junge Leute hierzulande die Matur bewältigt haben, belohnen sie sich meist mit einer ausgiebigen Fernreise. Belize, Bali, Boracay – Hauptsache exotisch, Hauptsache weit weg. Marlon Koch, 18, hat seit kurzem die Wirtschaftsmatur im Sack. Aber unterwegs ist der Schweizer Jungspund nur geschäftlich. Keine Zeit für Boracay. Marlon muss sein Start-up vorwärtsbringen.
Was der Sohn einer madagassischen Mutter und eines deutschen Vaters mit der App «Menu» am Start hat, ist dazu geeignet, ein jahrzehntelang gelerntes Verhalten im Restaurant komplett umzukrempeln. Mit Marlons App soll das Bezahlen – und damit das mühsame Rufen des Kellners, das Hin- und Her mit Rechnung, Rückgeld und Quittung – obsolet werden. Ähnlich wie beim Tech-Unternehmen Uber, wo Fahrgäste im Taxi die Rechnung automatisch über im Smartphone hinterlegte Payment-Daten begleichen, soll das auch per Menu-App funktionieren.
Das Zahlen übernimmt die App
Ein alter Traum vieler Restaurant-Kunden würde so wahr: Einfach und sorglos das Restaurant verlassen, wenn der Bauch voll ist und der Teller leer. Marlons App macht den Zahlungskram. Technisch läuft das so: Sogenannte Beacons, bluetooth-gestützte Funksender, werden im Restaurant postiert.
Pro 50 Quadratmeter Restaurantfläche braucht es ungefähr ein solches teelichtgrosses Beacon-Kästchen. Darüber weiss das Smartphone, in welchem Restaurant und an welchem Tisch sich der Gast befindet. Gäste können über die App Bestellungen tätigen und – weil die App mit allen massgeblichen Gastronomie-Kassensystemen verbunden ist – die Rechnung automatisch bezahlen.
Das Uber der Restaurants
Marlon Koch, mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ausgestattet, spricht ein grosses Wort gelassen aus: «Wir wollen das Uber für Restaurants sein.» Wenn Marlon Koch «wir» sagt, meint er sein Unternehmen, das bereits 40 Angestellte zählt. Und seinen Vater Karl Heinz Koch. Der ehemaliger Pharma- und Biotech-Bankanalyst, der aus der Corporate-Welt ausgebrochen ist und nun als CEO von Menu amtet.
Sohn Marlon bekleidet das Amt als Chief Technology Officer. Der Vater, 54, über seinen Sohn: «Die ganze Sache mit der Menu-App war Malons Idee.» Und fügt neidlos an: «Er versteht mehr vom Business als ich, er kann exzellent abstrahieren. Marlon weiss, was Sinn macht. Und was nicht.»
Tische schneller frei
Sinn soll die App nicht nur für Gäste machen, sondern auch für Gastronomen. Weil die Tische durch die Bezahlung durch Zauberhand schneller frei würden, erhöhe sich Tischumschlag und Umsatz für das Restaurant, doziert Marlon. Investoren schmeckt diese Message.
Bisher sammelten Vater und Sohn Koch sechs Millionen Franken Investorengelder ein, das meiste von Privatpersonen und Family-Offices. Aktuell läuft eine weitere Finanzierungsrunde. Marlon hat ein Ziel: «Wir möchten alle grösseren Gastronomie-Gruppen in den wichtigsten Ländern unter Vertrag nehmen und mit unserer Lösung ausstatten.» Ein weiter Weg.
«Menu» ist nicht ohne Konkurrenz
Aktuell nehmen 100 Restaurants teil am Menu-Programm; Haupt-Terrain der Zürcher Firma ist die Schweiz. Eng arbeiten die Kochs mit ZFV zusammen, der sechstgrössten Schweizer Gastro-Gruppe. In vier ZFV-Betrieben ist der unsichtbare Zahlmeister in Betrieb, was «einwandfrei funktioniert, auch an der Schnittstelle zum Kassensystem», sagt Tobias Weyland, COO Assistent Gastronomie bei ZFV.
Menu ist nicht ohne Konkurrenz; international pröbeln Start-ups am Zaubermix aus Gäste-Bequemlichkeit und zusätzlichem Umsatz. ZFV-Mann Weyland kennt die Szene: ««Wir haben schon einige Apps ausprobiert. Im Vergleich mit allen anderen Anbietern ist Menu eindeutig am weitesten fortgeschritten.»
«Haltet den Dieb!»
Aktuell können für das Payment Kreditkarte und Lunch-Checks hinterlegt werden, per Ende 2018 sollen Twint und Paypal dazu kommen. Fragen bleiben. Die einfachere: Was geschieht mit dem Trinkgeld? Marlon pariert: «Man kann es bar auf den Tisch legen. Oder es per Wischbewegung auf einer vom Restaurant vorgegebenen Skala via App entrichten.»
Das tückischere Thema: Was, wenn ein ahnungsloser Gast den app-bewehrten Nachbarn ohne Bezahlen weggehen sieht und lauthals «haltet den Dieb?» durch die Beiz brüllt? Für einmal fällt Marlons Ernsthaftigkeit ab. Er swipt in den kecken Modus: «Das ist kein Problem. Das ist bestes Marketing für uns.»
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
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