Mädchen-Förderung in IT- und Tech-Branche bringt wenig
«Man kann sogar von Rückschritt sprechen»

Mit ihrem steigenden Bedarf an Informatik- und Technologie-Fachkräften leistet die Wirtschaft Sonderefforts, um mehr Frauen zu gewinnen. Doch die Frauenanteile verharren auf tiefem Niveau. Der Branchenverband ICT Switzerland spricht nun gar von Rückschritten.
Publiziert: 26.08.2019 um 12:49 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2020 um 08:25 Uhr
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Tech-Kurse und -Workshops für Mädchen florieren. Die UBS lädt zu einem Meitli-Technik-Tag ein.
Foto: Screenshot
Claudia Gnehm

Not macht erfinderisch: Unternehmen buhlen landauf, landab mit Gratiskursen für Mädchen, um sie für Informatik und Technik zu begeistern. So lädt etwa die Grossbank UBS zu einem «Meitli-Technik-Tag» ein. Der Pharmamulti Roche führt Informatikworkshops für Mädchen durch und am nationalen Zukunftstag vom 14. November überbieten sich Firmen mit Tech-Events – extra für Mädchen.

Das Problem ist erkannt: Der Schweiz fehlen Frauen mit Informatik- und Technik-Fachwissen. Nur 14,6 Prozent von total 216’300 Fachkräften in der Informationstechnologie-(ICT)-Branche hierzulande sind weiblich. Damit hat die Schweiz einen tieferen ICT-Frauen-Anteil als Deutschland (16,6 Prozent), Österreich (17,2) und Frankreich (18,1). Deutlich abgehängt wird die Schweiz zudem von Lettland (24,9) und den USA (24,6), wie die Vergleichszahlen von Eurostat aus dem Jahr 2018 zeigen.

Zahlen zeigen keine Fortschritte

Bereits vor zwei Jahren zeigte sich der Verband ICT Switzerland alarmiert und richtete einen dringenden Appell an die Politik, sich auf allen Ebenen für Frauen in der Informatik starkzumachen. Der Verband warnte, die Digitalisierung werde Millionen Arbeitsplätze vernichten – und Frauen wären davon besonders stark betroffen.

Was hat sich seither getan? Leider zeigten die Zahlen keine Fortschritte, sagt der Präsident der ICT-Bildungskommission, Alain Gut, gegenüber BLICK. «Man kann sogar von einem Rückschritt sprechen», führt der Public-Affairs-Chef von IBM Schweiz aus.

Denn der Anteil an Frauen mit ICT-Abschlüssen von Hochschulen und in der Berufsbildung sei konstant tief bei elf bis zwölf Prozent geblieben. Gleichzeitig sei aber die Gesamtzahl der Abschlüsse drei bis vier Prozent pro Jahr gestiegen. Das heisst, die grossen Zuwächse gab es bei den Männern.

Bisherige Anstrengungen reichen nicht aus

Der einzige Lichtblick bei den Mint-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) gibt es in den Bereichen Chemie und Life Sciences. In diesen Fächern liegt der Frauenanteil auf Hochschulstufe bei 54, respektive Fachhochschule 43 Prozent. Ernüchternd ist, dass ein klares Aufholen des weiblichen Tech-Nachwuchses trotz verstärkter Investitionen des Bundes, der Schulen, Berufsverbände und Unternehmen ausbleibt.

#digitalswitzerland

Seit 2017 wird jährlich ein nationaler Digitaltag unter der Federführung von Digitalswitzerland durchgeführt. Ziel ist es, die Digitalisierung für die Schweizer Bevölkerung erlebbar zu machen sowie Chancen und Herausforderungen aufzuzeigen. Am 3. September 2019 findet der Anlass zum dritten Mal statt.

Alles Wichtige zum Digitaltag erfahren Sie in unserem Magazin «Schweiz 4.0»

Seit 2017 wird jährlich ein nationaler Digitaltag unter der Federführung von Digitalswitzerland durchgeführt. Ziel ist es, die Digitalisierung für die Schweizer Bevölkerung erlebbar zu machen sowie Chancen und Herausforderungen aufzuzeigen. Am 3. September 2019 findet der Anlass zum dritten Mal statt.

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Für IBM-Mann Gut genügen die bisherigen Efforts nicht. «Die Erziehungs- und Bildungsdirektionen sowie die Pädagogischen Hochschulen müssen ihre Anstrengungen für einen geschlechtsneutralen Unterricht erhöhen», fordert er.

Die Schweiz müsse zudem die Geschlechtertrennung aufweichen. «Es ist nicht mehr zeitgemäss, dass immer noch zu viele Mädchen in Frauenberufe und Knaben in Männerberufe gehen», ergänzt er. Notwendig sei ein Umdenken in Familie, Volksschule, Hochschulen, Berufsberatung und vor allem in der Bildungspolitik.

Die USA machen es vor

Auch der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) will mehr als Pflästerlipolitik. «Die Wahrnehmung der ICT-Berufe in der Gesellschaft muss sich ändern», fordert Nicole Meier, SAV-Leiterin für berufliche Aus- und Weiterbildung.

Die USA zeigten, dass ein Wandel möglich sei. Dort habe sich der Anteil der Informatiker-Frauen in den letzten 15 Jahren auf knapp 40 Prozent verdreifacht, erklärt Meier. Entscheidend gewesen sei, dass das Image der Informatik umgedeutet worden sei. «Statt ums einsame Programmieren von Nerds, geht es um kommunikatives Probleme-Lösen in einer Mannschaft», sagt Meier.

Sie fordert zudem mehr sichtbare weibliche Vorbilder in der Arbeitswelt. Allerdings müssten die Weichen bereits in der Volksschule anders gestellt werden. Lehrerinnen sollten die Vorteile der ICT-Berufe für Frauen erklären.

Bruch in der Pubertät

Tatsächlich kehren Mädchen Informatik- und Tech-Themen schon früh den Rücken, wie neuste Untersuchungen zeigen. Dabei ist Anfang Primarschule das Interesse an und die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften zwischen Mädchen und Jungs kaum zu unterscheiden.

Doch schon ab der 7. Klasse sinkt das Interesse der Mädchen erheblich. Gemäss Pisa-Untersuchungen fallen in der Schweiz junge Frauen bis 16 Jahre auch bei der Leistung in Mathe und Naturwissenschaften ab.

Ein wichtiger Schritt ist der stärkere Fokus auf Informatik im Lehrplan 21 der Volksschule, der derzeit eingeführt wird. Auch in der Freizeit können Mädchen spannende IT- und Tech-Erlebnissen auswählen. Ob die Saat von heute zur erwünschten Ernte führen wird, ist für den Arbeitsmarkt die nächsten Jahrzehnte entscheidend.

Was sind eigentlich Tech-Jobs?

In der Schweiz arbeiten etwas über 200’000 Tech-Fachkräfte im engeren Sinn. Die Zahl wurde vom Branchenverband ICT Switzerland erhoben. Die Abkürzung steht für Information and Communication Technology. ICT-Jobs gehen inzwischen weit über die Berufe Informatiker und Softwareexperte hinaus. Computerprogramme, Algorithmen und Netzwerke sind auch in der Medizin, Maschinenindustrie, Pharmazie und weiteren Branchen nicht mehr wegzudenken.

Berufe, bei denen IT-Kenntnisse zwar die Basis sind, die Anwendungen aber nicht bei klassischen IT-Firmen eingesetzt werden, sondern in Pharma-, Hightech-, Biotech-Firmen oder Start-ups, werden auch als Tech-Jobs bezeichnet. Für einen Tech-Job braucht es neben spezifischem Wissen über die neuesten Technologien auch die Fähigkeit, die konstanten Veränderungen der Technologien in diversen Lebensbereichen zu adaptieren.

Claudia Gnehm

In der Schweiz arbeiten etwas über 200’000 Tech-Fachkräfte im engeren Sinn. Die Zahl wurde vom Branchenverband ICT Switzerland erhoben. Die Abkürzung steht für Information and Communication Technology. ICT-Jobs gehen inzwischen weit über die Berufe Informatiker und Softwareexperte hinaus. Computerprogramme, Algorithmen und Netzwerke sind auch in der Medizin, Maschinenindustrie, Pharmazie und weiteren Branchen nicht mehr wegzudenken.

Berufe, bei denen IT-Kenntnisse zwar die Basis sind, die Anwendungen aber nicht bei klassischen IT-Firmen eingesetzt werden, sondern in Pharma-, Hightech-, Biotech-Firmen oder Start-ups, werden auch als Tech-Jobs bezeichnet. Für einen Tech-Job braucht es neben spezifischem Wissen über die neuesten Technologien auch die Fähigkeit, die konstanten Veränderungen der Technologien in diversen Lebensbereichen zu adaptieren.

Claudia Gnehm

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