Der Bundesrat will die bestehende Infrastruktur besser ausgelastet sehen. Statt wie bisher Steuern und Abgaben sollen neu vermehrt nutzungsabhängige Abgaben zum Zug kommen. Ein entsprechendes Konzept hat er vor einem Jahr in Auftrag gegeben.
Was heisst das konkret für den ÖV? Mobility Pricing – das ist das Zauberwort, mit der die Lenkung der Verkehrsströme im ÖV endlich gelingen soll. Den meisten kommt dazu sicher nur eins in den Sinn: Zu den Stosszeiten, soll es teurer werden. Logisch kommt da keine Freude auf.
Aber der Reihe nach. Tatsache ist, wenn uns Corona nicht gerade ausbremst, wächst die Mobilität der Schweiz. Die stark schwankende Auslastung des ÖVs ist dabei die zentrale Knacknuss: Im Stossverkehr sind Busse, Trams und Züge rappelvoll und durch den restlichen Tag reicht die Auslastung von «fast leer» bis zu «voll». Im Durchschnitt sind jedoch nur knapp 30 Prozent der Plätze belegt. Nun können Sie sich ausmalen, was das für die Preise heisst, wenn man die Kosten trotzdem decken muss. Wir sind uns sicher einig – lenken ist gut, aber mit dem Ziel, die Auslastung in den Nebenzeiten zu erhöhen. Preiserhöhungen scheinen mir dazu denkbar ungeeignet.
Zurück zum Mobility Pricing. Der Bundesrat hat seine Vorstellungen dazu bereits 2016 konkretisiert. Demnach sollen die Verkehrsteilnehmenden in der Schweiz gemäss der zurückgelegten Distanz bezahlen. In Räumen mit besonders grossen Verkehrsbelastungen, den sogenannten Spitzenzeitenperimetern, sollen laut einer inzwischen angefertigten Wirkungsanalyse zwei verschiedene Kilometertarife zur Anwendung kommen: ein höherer Tarif zu Spitzenzeiten und ein niedrigerer Tarif zu Randzeiten. Auf gut Deutsch: Der Preis soll von der Länge der Strecke und der Zeit der Nutzung abhängen.
Da haben wir auch schon das erste Problem. In den Verbünden zahlt man nach Zonen und nicht nach Distanz. Vergleichen Sie mal die Mini-Zone 14 des Tarifverbunds Nordwestschweiz (TNW, Basel) mit der Zone 11. Um quer durch die Zone 14 zu fahren, brauchen sie weniger als 5 Minuten. Wenn sie das Gleiche in der Zone 11 tun, dauert das immerhin 42 Minuten. Von distanzabhängigen Preisen ist hier also keine Rede. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, ob ein distanzabhängiges Mobility Pricing in den Verbünden, so wie sie heute konzipiert sind, überhaupt möglich wäre.
Kommen wir nun zum wirklich spannenden Punkt: Die Preise, die die Lenkung bewirken sollen. Die gängige Vorstellung ist, man erhöht die Preise zu den Stosszeiten, dann weichen die Leute auf die Nebenzeiten aus – Job erledigt. So einfach ist es nicht, denn wer ist denn morgens zur schlimmsten Stosszeit im ÖV? Detailhandelsangestellte, Arbeitnehmer aus dem Dienstleistungssektor, Schüler. Können diese Leute wählen, wann ihre Arbeit/Schule beginnt? Um diese Personengruppen zu lenken braucht es Massnahmen, die mit ÖV-Preisen nichts zu tun haben, wie etwa einen gestaffelten Schulbeginn. Oder hält es irgendjemand für realistisch, dass Schüler vor der Stosszeit fahren und dann 1-2 Stunden vor der geschlossenen Schule warten? Ich würde hier auch eher auf Motivation statt auf Strafe setzten. Vor allem weil man ja die Auslastung zu den Nebenzeiten erhöhen möchte. Warum also nicht Normalpreise für Stosszeiten und rabattierte Preise für Nebenzeiten? Die Sparbillette machen es eindrücklich vor: Rabattierte Preise lenken zeitlich flexible Nutzer in die Randzeiten und ziehen gleichzeitig neue Kunden an.
Unser ÖV-Systeme sind im Umbruch, viele Dinge wollen bedacht sein. Der ÖV ist Teil des Service public und soll den Menschen dienen und einen positiven Beitrag zum Klima leisten. Tut er das nicht, wird es teuer, und von der Umwelt fangen wir dann lieber gar nicht erst an.