Auf einen Blick
- Dropshipping: Schweizer Konsumenten bestellen bei .ch-Domains ohne echte Lager
- Über 450 Firmen sind an einer Adresse in Amersfoort registriert
- Der frühere Besitzer Vadim Blaustein wurde 2023 wegen Betrugs zu drei Jahren verurteilt
Eine herrschaftliche Villa an einer kleinen Strasse in der niederländischen Ortschaft Amersfoort, rund 50 Kilometer südöstlich von Amsterdam. Hier flattern täglich Bestellungen von Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten herein: für Kleider, Schuhe, Accessoires und mehr.
Hier gibt es allerdings weit und breit kein Lager. Nicht einmal Bewohner hat die Villa. Aber sie ist Sitz von über 400 Firmen, darunter ein gutes Dutzend Onlineplattformen, die mit der Domain .ch auf Kundenfang gehen.
Katz und Maus in den Niederlanden
Die «Villa de Horst», so heisst das weiss verputzte Haus, liegt am Utrechtseweg 341. Das Haus hat, gelinde gesagt, eine bewegte Vergangenheit. Es wurde 2010 von einer Stiftung gekauft, deren Direktor Vadim Blaustein (47) war. Geboren in St. Petersburg, später in die Niederlande gezogen, wurde er 2016 verhaftet und im Juni 2023 in Abwesenheit wegen Steuerbetrugs, Betrugs und Geldwäsche zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung waren bereits Dutzende Unternehmen und Stiftungen an der Adresse registriert. Blaustein floh nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft nach Dubai und später nach Monaco. An der Adresse in Amersfoort wurden derweil flott weiter Firmen angesiedelt: Einschliesslich nicht mehr existierender Unternehmen sind es bis dato über 450.
Die niederländischen Behörden? Unternehmen wenig. Es sei legitim, eine grosse Anzahl von Unternehmen an einem Standort anzusiedeln, erklärten sie unlängst dem niederländischen Blatt «Nieuwsplein33». Die Bedingungen für den Erhalt einer Firmenadresse kontrolliert kaum jemand. Immerhin gibt es im Auftrag der Handelskammer ab und zu Prüfungen durch das Büro für Wirtschaftsvollzug (Bureau Economische Handhaving).
Korrespondiert mit der Adresse kein echtes Unternehmen, wird es gesperrt. Meist ziehen die Briefkastenfirmen aber mit neuem Namen an eine andere Adresse weiter. Eine Sisyphusarbeit für die Behörden.
Alles nur Briefkästen
Die lasche Handhabung hat direkte Auswirkungen in die Schweiz. Unter der Adresse Utrechtseweg 341 in Amersfoort, wo die Villa de Horst liegt, finden sich zahlreiche Onlineshops, die eine Plattform mit .ch-Domain betreiben. Beispiele: fischer-zurich.ch, karlamoda.ch, emmafrey.ch, lovania-mode.ch, levuna.ch oder vogish.ch.
Letztere Website erwähnte Blick im Artikel über Claudio Rangognini (69), der bei bonidashop.ch trotz verlockender Bilder von Originalware lediglich Billigprodukte aus China erhielt. Vogish.ch war zwischenzeitlich offline, nun aber wieder online. Und der Bonidashop? Hat seine Adresse am Pelmolenpad 23 in Hoorn, rund 40 Kilometer nördlich von Amsterdam. Ein unscheinbares Wohnhaus aus Backsteinen, von aussen nicht als Firmensitz erkennbar.
Einige der oben genannten Shops sind bereits weitergezogen. Fischer-zurich.ch beispielsweise hat jetzt eine Adresse im Ort Cuijk in der Provinz Nord-Brabant. Ein Blick auf Googlemaps zeigt: Ein unscheinbares Haus, in dem sie Arbeitsplatz, Meetingraum oder eine Postanschrift der Handelskammer mieten können. Bei emmafrey.ch lautet die Kontaktadresse inzwischen auf ein Warenhaus in einem Businesspark westlich von Dublin. Auf der Website wird mit etwas Schweizerdeutsch («Mode für di, wo di sälber bliibe wot») weiterhin Swissness suggeriert. Vertrauenswürdig geht anders.
Unzählige Dropshipping-Firmen am Markt
Doch Letzteres zeigt auch: Die Adressen der seltsamen Onlineshops liegen beileibe nicht nur in den Niederlanden. Die Firma bergerzurich.com beispielsweise, die in der Schweiz fleissig Onlinewerbung macht, hat ihren Sitz im Hongkonger Stadtteil Mongkok, einem der am dichtesten besiedelten Orte der Welt mit unzähligen kleinen Firmen und Läden.
Nun ist es nicht so, dass die Firmen nichts liefern. Sie agieren per klassischem «Dropshipping»: Bei diesem Geschäftsmodell verkauft ein Onlinehändler Produkte, die er physisch gar nicht hat. Stattdessen werden die Bestellungen direkt vom Hersteller oder Grosshändler an den Endkunden versendet.
Wo die Zwischenhändler sind, ist erst im Problemfall relevant. Zurückgenommen wird kaum je etwas. So wie es bei Claudio Rangognini der Fall war.
Merke: Wo .ch draufsteht, ist oft nicht .ch drin. Vor der Bestellung ist ein Blick auf den Firmensitz und auf Googlemaps, auf Bewertungsplattformen oder auf die Liste des Konsumentenschutzes dringend empfohlen.