Die Schweizer Bauern ächzen unter der Bürokratie. Neben Vorgaben von Grossverteilern und Labels müssen sie sich an bis zu 1300 Regeln vom Bund halten. Andernfalls zahlt dieser die überlebenswichtigen Direktzahlungen nicht aus. Beim kleinsten Fehler sprechen die Behörden horrende Strafen aus (BLICK berichtete).
Hinzu kommt: Obwohl total 2,8 Milliarden Franken an Direktzahlungen fliessen, verdient ein Bauer im Mittel 44’000 Franken pro Jahr – weit unter dem Schweizer Schnitt.
Markus Ritter (49), Präsident des Schweizer Bauernverbandes, sagt: «Viele Bauern haben finanzielle Probleme.» Die Folgen: Sie nehmen einen Nebenerwerb an und damit noch mehr Arbeit. «Ein Teufelskreis, aus dem man nur noch schwer ausbrechen kann.»
Suizide häufen sich
Viele Bauern zerbrechen an diesem Druck. In den letzten 20 Jahren machten pro Jahr mehr als 1300 Betriebe dicht. Dramatisch: 2016 haben sich alleine in der Waadt acht Bauern das Leben genommen; 2015 waren es vier. Der Kanton setzt Pfarrer Pierre-André Schütz (67) ein, der zu helfen versucht. «Die Verzweiflung der Bauern wird unterschätzt», sagt er zu BLICK.
Für den Rest der Schweiz sind keine Zahlen zu Suiziden im bäuerlichen Milieu bekannt. Gespräche mit Experten zeigen: Die Not ist nicht nur in der Westschweiz gestiegen. Bauernpräsident Ritter: «Vielen Landwirten geht die Luft aus. Wir stellen eine Häufung von Suiziden fest.» Die Verzweiflung spiegelt sich auch in der Statistik des Bäuerlichen Sorgentelefons wider: Im Jahr 2015 gingen 153 Anrufe ein, 2009 waren es noch 90.
Hilfsangebote werden ausgebaut
BLICK weiss: Weil die Nachfrage so stark steigt, entstehen zahlreiche neue Hilfsangebote: Der Bäuerinnen- und Landfrauenverband schult seine Mitarbeiterinnen, besser mit verzweifelten Anruferinnen umzugehen und sie an Experten zu vermitteln. Der Bündner Bauernverband lanciert im Januar die Telefon-Hotline Offene Türe.
Bis Landwirte sich an diese Stellen wenden, ist es aber ein grosser Schritt: «Bauern sind es gewohnt, sich selbst zu helfen oder in der Familie um Rat zu fragen», sagt Sonja Imoberdorf (35) von der Berner Fachhochschule. «Externe Hilfe wird meist erst geholt, wenn es schon fast zu spät ist. Deshalb ist die Früherkennung wichtig.»
Imoberdorf untersucht, ob landwirtschaftliche Treuhänder das Schlimmste verhindern könnten. Sie haben Einblick in die Finanzen und könnten rechtzeitig Alarm schlagen. Ein Grossteil der Bauern nimmt die Hilfe von Treuhändern in Anspruch und zahlt sie aus dem eigenen Sack. Das allein zeigt, wie komplex der Bürokratie-Dschungel geworden ist.