Kundentäuschung leicht gemacht
Rabatt-Schlacht ohne Hemmungen

Viele Läden deklarieren Rabatte falsch. Kontrollen gibt es selten, die Bussen sind gering. Doch nun werden sogar diese Vorschriften liberalisiert.
Publiziert: 16.06.2023 um 15:20 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 16:10 Uhr
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Die Rabattvorschriften sollen liberalisiert werden (im Bild: Coop-Supermarkt-Filiale, Symbolbild).
Foto: Keystone
Andreas Valda
Handelszeitung

«Bis zu 50 Prozent Rabatt». Das grossformatige Logo, weiss auf rotem Grund, scheint das Programm des Einrichtungshauses Conforama zu sein. Ob in den Läden oder im Online-Auftritt: Überall sticht es ins Auge. Doch seit letzter Woche hat diese Werbung einen Beigeschmack erhalten. Conforama wurde wegen Falschdeklaration von Rabattpreisen im Kanton Waadt zu einer Busse von 5000 Franken und einer Wiedergutmachungszahlung von 1,5 Millionen Franken verurteilt.

Was genau die Detailhändlerin falsch machte, ist derzeit unbekannt. Das vollständige Urteil steht aus. Offiziell heisst es nur, dass die Firma wegen eines «Verstosses gegen die Verordnung über Preisangaben» verurteilt wurde. Die Parteien können es in einer höheren Instanz anfechten.

Doch das Urteil hat in der Branche für viel Aufsehen gesorgt. Nicht so sehr, weil schon andere, grosse Anbieter wie Ochsner Sport, Fust oder M-Electronics bei der Rabatttrickserei erwischt wurden. Sondern auch, weil das erstinstanzliche Gericht in Lausanne das Einrichtungshaus zu einer Kompensationszahlung von 1,5 Millionen Franken zugunsten des Kantons verurteilt hat. Das ist weit mehr als die Maximalbusse von 20’000 Franken, die das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb bei Verstössen gegen die Preisbekanntgabebestimmungen vorsieht.

Nationalrat will Rabattpolitik liberalisieren

Doch fast niemand bemerkte, dass das Parlament am Dienstag fast zeitgleich einen Entscheid von einiger Tragweite gefällt hat: Es will die Regeln zur Anschreibepflicht bei Rabatten liberalisieren.

Der Entscheid geht auf einen Vorstoss der Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder zurück. Sie ist in ihrer Rolle als Verbandspräsidentin quasi Cheflobbyistin der Swiss Retail Federation, welche die schweizerischen Detailhändlerfirmen in Bundesbern vertritt.

Das Votum im Nationalrat war eindeutig. 139 zu 42 dafür. Nur die SP-Fraktion war dagegen, alle anderen Fraktionen dafür, selbst die Grünen. So kann erwartet werden, dass der Vorstoss auch den Ständerat passiert. Danach hat der Bundesrat die Pflicht, die Preisanschreibregeln zu liberalisieren.

Rabatte ohne zeitliche Beschränkung

Es geht um zwei Punkte: erstens, wie lange ein Produkt zum Normalpreis in der Auslage sein muss, bevor es rabattiert werden darf. Und zweitens, wie lange es danach zum Rabattpreis angeboten werden darf. In beiden Punkten soll laut Nationalrat massiv gelockert werden.

Bisher galt: Ein Produkt darf nur im Rabatt angeboten werden, wenn es vorher tatsächlich zum Normalpreis angeboten wurde. Und die Rabattdauer darf nur die Hälfte der Zeit sein, zu der das Produkt zum Normalpreis in der Auslage war – und maximal zwei Monate lang.

Ein Beispiel: Wenn ein Möbel 500 Franken kostet und sechs Monate lang im Angebot war, darf es längstens zwei Monate zu einem Rabattpreis verkauft werden. Danach gilt wieder der Normalpreis.

Diese zeitliche Beschränkung ärgerte die Detailhändler. Denn im Voraus weiss man als Anbieter nie, wie gut ein rabattiertes Produkt läuft. Verkauft es sich zu 20 Prozent Rabatt nicht, so gewährt man später einen Rabatt von 30 oder 50 Prozent. Doch dann passierte es nicht selten, dass die vorgeschriebene Rabattdauer bereits abgelaufen ist und eine Händlerin wieder den Normalpreis verlangen muss.

Hinzu kommt, dass sie die Preisabschläge entfernen und die Etikette neu anschreiben muss. «Diese Umetikettierung ist ein riesiger Aufwand für die Firmen und Mitarbeitenden», kritisiert die Verbandschefin von Swiss Retail Federation, Dagmar Jenni.

Neu soll nun gelten: Vier Wochen in der Auslage zum Normalpreis genügt, um dann frei zum Rabattverkauf in unbeschränkter Dauer zu sein. Wenn der Preis sich erneut ändert, muss das Produkt nicht umetikettiert werden, sondern die bisherigen Preisänderungen bleiben sichtbar.

Parmelin argumentierte fast allein dagegen

Die Konsumentenorganisationen wurden mit dem Vorstoss auf dem linken Fuss erwischt. Die Stiftung für Konsumentenschutz kommentierte ihn nicht. Die Westschweizer Schwesterorganisation Fédération romande des consommateurs (FRC) zeigte sich zwar ablehnend. FRC-Direktorin Sophie Michaud Gigon, zugleich Waadtländer Nationalrätin, stimmte dagegen. Aber sie konnte ihre Fraktion, die Grünen, nicht von einem Nein überzeugen.

Michaud hatte nur Wirtschaftsminister Parmelin auf ihrer Seite. Er lehnt die Änderung ab und sagte am Dienstag, die bisherigen Regeln hätten sich bewährt. Vor allem betonte er, dass sich die Kantone gegen eine Liberalisierung ausgesprochen hätten und die heutige schweizerischen Rabattregeln in der EU Standard seien.

Wie weiter bei Conforama?

Wie es mit Conforama konkret weitergeht, ist unklar. Die Firma gelobt Besserungen. Er sagt aber, man könne «absolut nicht nachvollziehen», wie das Gericht sie zu einer Strafzahlung von 1,5 Millionen Franken verurteilt habe. «Die Beanstandungen – durchgestrichene Preise – betrafen weniger als hundert Produkte.»

Es sei «völlig unmöglich, dass diese wenigen Produkte für Conforama einen Gewinn von 1,5 Millionen generiert hätten», sagte ein Firmensprecher auf Anfrage.

Auf diese Begründung warten jetzt die ganze Branche und die Gewerbepolizeien der Kantone. Was ist der genau strafrechtliche Tatbestand und die juristische Grundlage, die zu dieser erstmaligen, happigen Kompensationszahlung von 1,5 Millionen Franken geführt haben? Die Conforama-Anwälte wollten am Dienstag keine weiteren Angaben machen. Das Gericht sagte gegenüber der «Handelszeitung», man werde das Urteil «innert vier Wochen» verschicken. Und der obsiegende Waadtländer Staatsanwalt machte auf Anfrage keine Angaben dazu, wie er die Preisanschreibverstösse erhoben und juristisch taxiert hatte.

Rabatttricksereien sind gang und gäbe

Sophie Michauds Westschweizer Verband FRC war es auch, der den Conforama-Fall 2018 ins Rollen gebracht hatte. Der Verband liess die Rabattpraxis untersuchen und sah viele Tricksereien, darunter manche bei Möbeln, die zu oft und zu lange im Sonderangebot waren. Also zeigte der FRC Conforama an. Der zuständige Staatsanwalt ging vier Jahre später heimlich in die Läden und fand in seinen Stichproben vergleichbare Missstände. So kam es zum Strafverfahren gegen Conforama wegen unlauteren Wettbewerbs, das jetzt in aller Munde ist.

Verurteilt wegen Preistricksereien wurden auch schon andere Detailhändler, wenn auch zu sehr geringen Bussen. Dies, weil das Gesetz es so festlegt.

  • 2018 Ochsner Sport: Der Anbieter bezahlte bloss 4000 Franken Busse. Der FRC hatte die Tricksereien zur Anzeige gebracht.
  • 2020 Fust und M-Electronics: Bussen von 4000 beziehungsweise 3000 Franken. Der FRC hatte die Tricksereien zur Anzeige gebracht.
  • 2021 machte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Untersuchung in Online-Shops und fand bei jedem zweiten, kontrollierten Rabattprodukt (von total 644 Produkten) eine Falschangabe. Wer die Firmen waren, sagte das Seco nicht. Erst die Zeitschrift «Saldo» machte die Resultate 2022 publik: Verschuldet haben dies Lipo, Livique, Möbel Pfister, XXXLutz, Decathlon, Vedia, Dell, Brack und Coop Bau + Hobby. Die Zeitung «20 Minuten» griff in einer eigenen Recherche die Fälle nochmals auf und fand heraus, dass nur ein Teil dieser vom Seco aufgegriffenen Firmen tatsächlich strafrechtlich zur Kasse gebeten wurden.

«Die heutige Regelung der Rabattpreise hat keine abschreckende Wirkung», kritisiert Nationalrätin Michaud Gigon. «Man kann die lächerlich tiefen Bussen in die Preiskalkulation einpreisen und Falschdeklaration zum Geschäftsmodell erheben.» Dies wirft sie auch Conforama vor. Einer Modernisierung der Rabattregeln verschliesst sich Michaud aber nicht. Sie sagt jedoch, dass neue Regeln den unlauteren Wettbewerb unterbinden und die Täuschung der Konsumentinnen und Konsumenten verhindern müssen.

Laut Michaud Gigon dürfte die vom Lausanner Gericht verfügte Kompensationszahlung erstmals eine abschreckende Wirkung zeigen. «Ich hoffe sehr, dass sie vor höheren Gerichten Bestand hat», sagt die Konsumentenschützerin. Das Seco und Swiss Retail Federation wollten den Fall nicht beurteilen.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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