Plötzlich ist die Aargauische Kantonalbank (AKB) eine der profitabelsten Banken der Schweiz. Die Bank im Besitz des Rüeblikantons hat im ersten Halbjahr ein glänzendes Resultat erzielt. Die sogenannte Cost-Income-Ratio sank um 7 Prozentpunkte auf das Rekordtief von 41,8 Prozent. Das bedeutet: Um einen Franken zu verdienen, muss die Bank lediglich 41,8 Rappen aufwenden – ein sensationeller Wert.
Anders ausgedrückt: Von jedem eingenommenen Franken bleiben 58,2 Rappen als Gewinn in der Kasse. In der Realwirtschaft würde man von einer Gewinnmarge von 58,2 Prozent sprechen. Keine andere Branche erzielt nur annähernd so hohe Margen wie die Banken – nicht die hochprofitable Pharmaindustrie, nicht die Luxuskonzerne.
Zum Vergleich: In der Welt der exportorientierten Industrie sind Margen von 10 Prozent in der Regel das Höchste der Gefühle. Verdient ein Unternehmen mehr, kommt unweigerlich der Druck der Kunden auf die Preise. Ein Beispiel: Der Zugbauer Stadler Rail erzielte 2022 eine Bruttogewinnmarge von 5,5 Prozent. Selbst weltweit äusserst erfolgreiche Nischenanbieter, die enorme Preissetzungspower haben wie das Klimatechnikunternehmen Belimo, erzielen Margen von knapp 20 Prozent.
Mit einer Cost-Income-Ratio von 41,8 Prozent nähert sich die Aargauer KB der Freiburger Kantonalbank (FKB), die als profitabelstes Institut der Schweiz gilt. In einem Selbstporträt schreibt die FKB, dass sie «oft als Vorbild in Sachen Effizienz erwähnt wird». Wirft man einen Blick in die Erfolgsrechnungen der Banken, wird schnell klar, was die Gewinne im ersten Halbjahr in die Höhe getrieben hat: Es sind die Erträge aus dem Zinsgeschäft, die zweistellig gewachsen sind. Bei der FKB stiegen sie um 36 Prozent, bei der AKB um 44 Prozent und bei Swissquote um sagenhafte 587 Prozent.
Zufallsgewinne ohne Anstrengung
Bei den gestiegenen Erträgen aus dem Zinsgeschäft handelt es sich um klassische Zufallsgewinne oder Windfall-Profite. Es sind Gewinne, die einfach in den Schoss fallen. Die Banken müssen sich dafür nicht anstrengen, es steckt keine Leistung dahinter. Seit die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins in mehreren Schritten auf 1,75 Prozent erhöht hat, werden die Cash-Bestände der Geschäftsbanken zu diesem Satz verzinst. Die SNB hat den Banken im ersten Halbjahr insgesamt 3,3 Milliarden Franken an Zinsen ausbezahlt.
Diese behalten das Geld für sich. Sie geben die Zinsen nicht breit an die Sparerinnen und Sparer weiter. Sie tun dies oft nur bei Nischenprodukten wie Kassenobligationen oder speziellen Sparplänen. Bei den normalen Sparkonten sind die Zinssätze der dominierenden Banken wie UBS und Raiffeisen bescheiden (UBS: 0,75 Prozent bis 50’000 Franken, 0,3 Prozent darüber); Raiffeisen: 0,6 Prozent). Bei den Lohnkonti gibt es nach wie vor keine Verzinsung.
Auf der anderen Seite haben die Banken die Hypothekarzinsen sofort an die Zinsentwicklung angepasst. Auch die Kredite für KMU haben sie verteuert. Meist mit der abenteuerlichen Begründung, dass wegen der steigenden Zinsen die Ausfallrisiken zugenommen hätten und deshalb noch mehr verlangt werden müsse.
Das alles führt dazu, dass die Zinsmargen der Schweizer Banken durch die Decke gehen. Da sich praktisch alle Banken gleich verhalten, gibt es keinen Druck auf die einzelnen Institute. Auch klopft niemand laut auf den Tisch, weder die Politik noch der Preisüberwacher oder die Wettbewerbskommission. Eine Windfall-Steuer, wie sie Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni (46) den Banken auferlegt, wäre in der Schweiz undenkbar – vorher fliesst das Wasser der Aare zurück in die Alpen.
Die Politik schweigt auch deshalb, weil viele Banken in Staatsbesitz sind und mit ihren Gewinnausschüttungen die Kantonsfinanzen aufbessern. Aber auch die Banken selbst streichen die Übergewinne ein. So hat die AKB im ersten Halbjahr die Löhne deutlich erhöht. Insgesamt stieg die Lohnsumme um 9,9 Prozent. Man kann es sich leisten.
Kein schlechtes Gewissen?
Bekommt man als Bankchef kein schlechtes Gewissen? AKB-Chef Dieter Widmer (56) sagt, dass die Mitglieder der Geschäftsleitung keine Lohnerhöhung erhalten hätten. Die Lohnerhöhung für alle anderen Mitarbeitenden würde «leicht» über dem Branchenvergleich liegen. Das Ergebnis sei auch nicht «zulasten der Kundinnen und Kunden» erzielt worden, so Widmer. Wie alle Banken habe auch die AKB «unter der Negativzinsphase gelitten». Heute biete seine Bank eine «überdurchschnittliche Verzinsung» der Kontoguthaben.
Die Mitarbeitenden von Swissquote profitieren noch stärker von der Zinswende. Der Personalaufwand stieg im ersten Halbjahr um 31 Prozent. Die Bank schüttet die Gelder eben in Form von Boni aus. Für CEO Marc Bürki (62) gehören Zinserträge «zum Alltag und zur Gesamtleistung einer Bank». «Die aktuelle Zinssituation ist nicht einfach ein Windfall-Profit, sondern eine Normalisierung nach Jahren der Negativzinsen», sagt er. «Negativzinsen waren grundsätzlich eine abnormale Situation, die jetzt korrigiert wurde.»
Die Banken als Opfer von Negativzinsen? Die jetzige Situation nur eine Normalisierung? Dagegen spricht: Gewinne und Gewinnmargen waren bei vielen Banken noch nie so hoch wie jetzt.
*Der Journalist Beat Schmid schreibt im SonntagsBlick über Finanzthemen. Er ist Herausgeber des Onlinemediums tippinpoint.ch