«Kunde warf mir Krawatten ins Gesicht»
Hier geht bei OVS das Licht aus

BLICK verbrachte die letzte Stunde im OVS von Winterthur ZH. «Je tiefer die Preise, desto tiefer das Niveau der Kunden», sagt die Shop-Managerin.
Publiziert: 21.07.2018 um 20:46 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 21:47 Uhr
Der letzte Laden schliesst seine Türen
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Bei OVS in Winterthur ZH geht das Licht aus:Der letzte Laden schliesst seine Türen
Moritz Kaufmann

«Alles muss raus», steht auf den Schildern. Das letzte Stück, das über den Kassentisch geht, ist ein langes, leichtes Sommerjäckchen. Ursprünglich hätte es 89 Franken gekostet. Weg geht es für 26.

Kurz vor fünf am Samstagnachmittag in der OVS-Filiale in Winterthur ZH drängen immer noch Kunden hinein – in einen der letzten von 132 OVS-Shops, der überhaupt noch betrieben wird. Viele haben schon vorher aufgegeben. Wenige Minuten später geht der Laden zu. Für immer.

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Eine Stunde vor Ladenschluss herrscht in Winterthur Chaos.
Foto: Siggi Bucher

Blanche Müller (15) und ihre Mutter Iris (58) sind zum ersten Mal im OVS, angelockt von den tiefen Preisen: «Schade, dass er zugeht», sagt Blanche, «ich wäre gerne nochmals gekommen.»

«Unter jeder Kanone»

Hätte OVS immer so viele Kunden gehabt wie in dieser letzten Stunde seiner Existenz – der Konkurs wäre undenkbar gewesen. Nicht mal zwei Jahre hielten die italienischen Besitzer durch. 2017 wurden alle Charles-Vögele-Kleider verramscht, die Gestelle mit OVS-Ware aufgefüllt. Jetzt muss auch die raus. Zusammen mit der Schminke, den Lampen, den Tischen, den Spiegeln: «Je tiefer die Preise, desto tiefer das Niveau der Kunden», klagt die Laden-Managerin, an den SonntagsBlick-Reporter gewandt. Mit Bild oder ihrem Namen in die Zeitung will sie nicht – mit OVS möchte keine der Verkäuferinnen mehr in Verbindung gebracht werden.

Aber etwas zu erzählen, das haben sie. «Ein Kunde warf mir heute Nachmittag Krawatten ins Gesicht. Das habe ich noch nie erlebt», erzählt die Chefin, noch immer aufgewühlt. So viel sei geschrieben worden über den Konkurs. Aber nichts darüber, wie sich die Kunden während der Liquidation benahmen: «Einfach unter jeder Kanone.»

Viel Frust, viel Stolz

Viel Frust ist zu spüren. Aber auch Stolz. Darüber, dass man das Geschäft bis zur letzten Minute am Laufen hielt. Die Winterthurer OVS war eine Vorzeigefiliale. Gemessen am Umsatz gehörte sie zu den Top Ten der Schweiz. Jetzt schmeissen Schnäppchenjäger die Kleider einfach auf den Boden. Kinder schreien. Doch die Verkäuferinnen haben ihren Laden noch im Griff, bewahren den letzten Rest von Ordnung.

Alles Geld, das sie jetzt noch einnehmen, geht in einen Topf zur Bezahlung des Personals. Letzter Arbeitstag ist der nächste Donnerstag. Bis dahin seien die Löhne garantiert, hat man den Verkäuferinnen versprochen. Und der Augustlohn, der gemäss Kündigungsfrist noch bezahlt werden müsste? Oder die Überstunden? Unklar. «Ich hätte noch Anspruch auf 12000 Franken», sagt die Laden-Managerin.

Noch keine neue Stelle

Sie macht sich Sorgen um ihre Existenz. Einen neuen Job hat sie noch nicht. Genauso wenig wie ihre Kolleginnen. «Ich habe 28 Jahre für Vögele gearbeitet», sagt eine. Die letzten zwei Jahre hiess der Arbeitgeber nun OVS.

Im Juli habe sie zehn Bewerbungen geschrieben. Alles Absagen. Immerhin: Von 1180 Angestellten haben 300 eine neue Stelle, heisst es von offizieller Stelle. 50 Lehrlinge hatte das Unternehmen. Zehn haben diesen Sommer noch abgeschlossen, 35 konnte man weitervermitteln, fünf wollten die Lehre nicht fortsetzen.

Tränen fliessen

Die Uhr schlägt fünf in Winterthur. Noch immer wollen Leute rein, doch die Schiebetür öffnet sich nicht mehr. Bei den Verkäuferinnen fliessen Tränen. Nächste Woche müssen sie noch die Überschussware verpacken. Die Kartons stehen schon bereit. Dann müssen die vier Stockwerke geputzt werden. Damit der Laden bei der Schlüsselübergabe an den Vermieter besenrein ist.

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