Fünf Tage vor dem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Estavayer-le-Lac FR herrscht Hochbetrieb im Atelier der Firma Märithüsli in Meiringen BE. Sie ist die grösste Herstellerin von Edelweiss-Hemden der Schweiz. Die Näherinnen sind hoch konzentriert bei der Arbeit – nur das Geratter der Nähmaschinen füllt den Raum.
«Alle Angestellten machen zurzeit Überstunden», sagt Geschäftsführerin Therese Jenni (60). «Das ganze Team zieht mit, das freut mich.» Die Produktion ist aufwendig: Über 30 Arbeitsschritte und eine Stunde Zeit sind pro Hemd nötig.
«Nur bei denen von Christian Stucki brauchen wir zwei Stunden», sagt Inhaber Alfred Jenni (63) und lacht. «Er ist kräftig gebaut, seine Hemden benötigen mehr Stoff. Und wir müssen die Knöpfe doppelt annähen, damit auch ja nichts reisst.» In all den Jahren sei das aber noch nie passiert.
Das Eidgenössische sei nicht nur für die Sportler ein Höhepunkt, sondern auch für das Familienunternehmen aus dem Berner Oberland. «Es ist wichtig, dass wir mit einem Stand vor Ort sind, wenn sich die ganze Schwingerszene trifft», sagt Marketingchef Samuel Jenni (31).
2010 in Frauenfeld gewann Kilian Wenger (26) den Königstitel. Doch vor lauter Aufregung hatte er vor dem Wettkampf sein Schwingerhemd vergessen. «Ein Betreuer kam ganz aufgeregt an unseren Stand und fragte, ob wir ein Wengerhemd in seiner Grösse hätten.» Zum Glück sei noch eines vorrätig gewesen. «Wer weiss, ob Kilian sonst Schwingerkönig geworden wäre», sagt Alfred Jenni.
Auch in Estavayer-le-Lac ist Märithüsli mit einem Stand präsent. Sechs Leute stehen im Einsatz – von 5.30 Uhr morgens bis tief in die Nacht hinein. Hotelzimmer brauchen die Jennis nicht: Die Eltern schlafen im Auto, Sohn Samuel im Marktstand auf dem Boden.
In Meiringen stellen die 25 Angestellten pro Jahr 8000 Hemden her. Vor allem Einzelanfertigungen und Kleinserien. Grossserien von 12'000 Stück werden im Tessin produziert.
«In einem Jahr mit einem Eidgenössischen verkaufen wir 15 Prozent mehr», sagt Samuel Jenni. Die Stoffe bezieht die Firma in Österreich. In der Schweiz gibt es keine Weberei, die sie noch herstellt.
Im Ausland zu produzieren, kommt für Therese Jenni nicht in Frage. «Schwingerhemden sind unser Kerngeschäft. Da sind wir stark, das wollen wir nicht aus den Händen geben.»
Doch Artikel fürs Oktoberfest etwa bezieht das Märithüsli in Österreich. «Die können das besser als wir», sagt die Geschäftsführerin.
Angst vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland haben die Jennis nicht. «Ich nehme es keinem Bauern übel, der sich ein Hemd für 20 Franken kauft», meint Alfred Jenni. «Die meisten kommen aber schnell wieder zu uns zurück: Unsere Hemden sind teurer, aber sie halten länger.»
Früher sei das Schwingerhemd ein reiner Bauernartikel gewesen. «Heute ist es eine Art moderne Tracht. Wer es trägt, zeigt, dass er zur Schweiz und ihren Werten steht», sagt Samuel Jenni.
Eher dezentere Modelle verkaufen sich auch auf Märkten in Städten wie Winterthur ZH gut. Ausserdem werde die Kundschaft zusehends jünger.
Die Hemden finden Absatz rund um den Globus. Vor allem bei Auslandschweizern. Sogar aus Südafrika habe sich kürzlich eine Kundin gemeldet. «Sie hat uns ein Foto ihrer Bluse geschickt. Und uns gefragt, wie sie das Stück waschen soll», sagt Therese Jenni.
Verkaufsschlager ist seit Jahren der Klassiker, das hellblaue Edelweiss-Hemd mit kurzen Ärmeln und ohne Kragen für 78 Franken. Das Sortiment wird aber ständig ausgebaut. «Früher brachten wir alle fünf Jahre einen neuen Schnitt auf den Markt», erinnert sich Alfred Jenni. Heute seien die Abstände kürzer. «Die Hemden sind modischer geworden, die Schnitte variieren. Zudem experimentieren wir mit neuen Farben.»
Aufs Eidgenössische hin lanciert Märithüsli ein Hemd in Jeansblau. «Wir haben ein Jahr lang im Geheimen, aus Angst vor Nachahmern, daran herumgetüftelt», sagt Samuel Jenni.
Auch den Stoff entwickle man ständig weiter. «Früher war er recht hart. Heute ist er weicher und trotzdem stärker.» Mehr will er nicht verraten. «Das ist unser Geheimnis.»
Auf einen Favoriten für den Königstitel will sich Alfred Jenni nicht festlegen. «Ob Stucki Christian, Wenger Kilian oder Sempach Thomas: Hauptsache, es gewinnt ein Schwinger, der unser Hemd trägt.»