Kritik an Klimabilanz der Schweizer Rohstoffkonzerne
Grüner Anstrich dank Gaskochern für die Ärmsten

Die CO2-Emissionen von Vitol, Trafigura, Glencore, Mercuria und Gunvor sollen 100-mal grösser sein als jene der Schweiz – und viel höher als deklariert. Zu diesem Schluss kommt die NGO Public Eye. Die Rohstoffbranche wehrt sich: Die Berechnungsmethode sei «irreführend».
Publiziert: 10.11.2024 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 13.11.2024 um 16:07 Uhr
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Luftaufnahme der Mutanda-Kupfermine von Glencore in der Demokratischen Republik Kongo: Der Abbau von Rohstoffen fügt Mutter Erde enorme Schäden zu.
Foto: Bloomberg via Getty Images

Auf einen Blick

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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Zwei Monate vor Silvester herrscht beim europäischen Erdbeobachtungsdienst Copernicus bereits Gewissheit: 2024 wird das wärmste Jahr seit Messbeginn. Wie sich dieser Trend stoppen lässt, wird ab Montag an der Weltklimakonferenz in Aserbaidschan diskutiert. Einmal mehr.

Die Schweiz hat mit 9 Millionen Einwohnern nur einen beschränkten Einfluss auf das Weltklima. Dennoch ist die Eidgenossenschaft von Bedeutung, wenn es um den weltweiten CO2-Ausstoss geht. Der Grund: Grosse Teile des weltweit geförderten Erdöls und anderer Rohstoffe werden über die Kantone Genf, Zug und Tessin abgewickelt.

Vitol, Trafigura, Glencore, Mercuria und Gunvor – fünf Rohstoffriesen, die hierzulande ansässig sind – wissen um die Reputationsrisiken, die ihr Geschäftsmodell mit sich bringt. Seit einigen Jahren erläutern sie deshalb in Nachhaltigkeitsberichten, wie sich ihre Tätigkeiten auf Mensch und Umwelt auswirken – und was sie tun, um die negativen Einflüsse einzudämmen.

Doch nun gibt es harsche Kritik an diesen «Sustainability»-Reports. In einem noch unveröffentlichten Bericht, der Blick vorliegt, kommt die Nichtregierungsorganisation Public Eye zum Schluss, dass sich die Schweizer Rohstoffkonzerne in ihren Hochglanzbroschüren umweltfreundlicher darstellen, als sie sind.

Grosse Abweichungen bei CO2-Emissionen

Laut der Auswertung beliefen sich die indirekten Treibhausgasemissionen von Vitol, Trafigura, Glencore, Mercuria und Gunvor vergangenes Jahr auf 4043 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Damit seien die Emissionen der genannten Firmen fast viermal höher als deklariert – und 100-mal grösser als jene der Schweiz, deren Wirtschaft und Bevölkerung pro Jahr etwas mehr als 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre ausstossen.

Nicht alle Rohstoffkonzerne kommen gleich schlecht weg. Bei Gunvor ist die Differenz zwischen den deklarierten CO2-Emissionen (422 Mio. Tonnen) und der Schätzung von Public Eye (465 Mio. Tonnen) relativ gering.

Vitol dagegen wies Treibhausgasemissionen in Höhe von 30 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten aus, während Public Eye auf 1306 Mio. Tonnen kommt. Mercuria wiederum deklarierte zuletzt einen Ausstoss von lediglich 4 Mio. Tonnen Kohlendioxid, die Nichtregierungsorganisation spricht von 496 Mio. Tonnen.

Der Grund für die enormen Abweichungen: Die Rohstoffhändler berücksichtigen in ihren Berichten meist nur die Emissionen der eigenen Produktionsanlagen und Schiffe. Public Eye dagegen schätzte auch die indirekten Emissionen aus der Nutzungsphase der gehandelten Rohstoffe Kohle, Öl und Gas – also die Treibhausgasemissionen, die entstehen, wenn diese zur Energiegewinnung verbrannt werden.

Rohstoffverband spricht von «grober Vereinfachung»

«Diese Emissionen sind kein Nebenschauplatz, sondern ein integraler und materieller Bestandteil des Geschäftsmodells der Rohstoffhändler», heisst es im Bericht. Mercuria, Vitol, Trafigura und Glencore würden dem kaum Rechnung tragen. «Einzig bei Gunvor erscheinen die berichteten Zahlen vollständiger und damit glaubhafter», so die Nichtregierungsorganisation.

Die Konzerne reagieren wortkarg auf die Kritik. Da der Bericht nicht im Detail bekannt sei, könne man sich nicht ausführlich dazu äussern, so der Tenor.

Gegensteuer gibt es aber von Suissenégoce, dem Verband des Schweizer Rohstoffhandels. Deren Generalsekretärin Florence Schurch (49) bezeichnet die Berechnungsmethode von Public Eye als «bewusst irreführend». 

Der Bericht wälze die gesamte Verantwortung für die CO2-Emissionen auf die Händler ab und spreche die Öffentlichkeit von jeglicher Beteiligung frei. «Das ist eine grobe Vereinfachung, die der Realität unserer vernetzten Welt nicht gerecht wird.»

Schurch betont, dass selbst die Europäische Union, die für ihre strengen Umweltvorschriften bekannt sei, Unternehmen nicht allein für die Emissionen im «Scope 3» – also beim Verbrennen der Treibstoffe – verantwortlich mache.

Für sie ist deshalb klar: «Statt nach vereinfachten Schuldzuweisungen zu suchen, ist ein kooperativer Ansatz erforderlich, der alle Akteure – darunter Händler, Produzenten, Konsumenten und politische Entscheidungsträger – zusammenbringt, um gemeinsame und wirksame Lösungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erarbeiten.»

Neues Geschäftsfeld: Handel mit Klimazertifikaten

Dass am Klimawandel nicht nur die Rohstoffkonzerne schuld sind, ist unbestritten. Public Eye wirft den Verantwortlichen von Vitol, Trafigura, Glencore, Mercuria und Gunvor jedoch vor, ihre Milliardengewinne in den fortlaufenden Ausbau der fossilen Energien zu stecken, anstatt die Energiewende ernsthaft voranzutreiben.

Kritisch sieht die Organisation in diesem Zusammenhang auch den Handel mit Klimazertifikaten. Dieser Markt sei intransparent und werde von den Rohstoffkonzernen vermehrt dazu genutzt, um ihre Profite zu erhöhen. Zudem werde die Emissionsreduktion vieler Projekte überschätzt, so die Autoren.

Als Beispiel nennt Public Eye etwa ein Emissionsgutschriften-Projekt von Vitol. Der Rohstoffkonzern hat dafür gesorgt, dass 2,1 Millionen Gaskocher in Ländern Subsahara-Afrikas verteilt wurden. Diese sind im Vergleich zu einer simplen Feuerschale oder einem offenen Feuer klimaschonend und zudem besser für die Gesundheit der Benutzer.

Mit Altruismus hat das Ganze aber nichts zu tun, wie Vitol auf Anfrage von Blick selbst klarstellt. «Die Entscheidung, in Kochherde zu investieren, wird auf die gleiche Weise getroffen wie alle anderen Geschäftsentscheidungen», schreibt eine Sprecherin. Der Handel mit Emissionszertifikaten sei Teil der Strategie von Vitol und werde verwaltet «wie alle anderen Geschäftsbereiche».

Der hübsche Nebeneffekt: Durch das Geschäft mit Klimakompensationen erhalten die Rohstoffriesen einen grünen Anstrich.

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