Nach dem tödlichen Schuss auf einen 17-Jährigen bei einer Verkehrskontrolle in einem Pariser Vorort ist gegen den mutmasslichen Schützen ein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Der Polizist sei der «vorsätzlichen Tötung beschuldigt» und in Untersuchungshaft genommen worden, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit.
Der jugendliche Nahel M.* war am Dienstag auf dem Fahrersitz eines Autos bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre erschossen worden. In einem Video war zu sehen, wie der Polizist mit seiner Waffe auf den Fahrer zielt und aus nächster Nähe schiesst, als das Auto plötzlich beschleunigt. Bei der Kontrolle war zuvor der Satz zu hören: «Du kriegst eine Kugel in den Kopf.»
Präsident Emmanuel Macron (45) hatte gesagt, der Tod des Jugendlichen sei «nicht zu erklären und nicht zu entschuldigen». Am Donnerstag verurteilte er die Gewalt gegen «Institutionen und die Republik». Diese sei absolut nicht zu rechtfertigen.
Nach dem Vorfall war es zwei Nächte in Folge in mehreren Städten des Landes zu massiven Protesten gegen Polizeigewalt und Aussschreitungen gekommen. Autos und Mülleimer brannten, mehrere Menschen wurden festgenommen.
Um eine dritte Nacht mit Krawallen zu verhindern, mobilisierte Innenminister Gérald Darmanin (40) landesweit 40'000 Polizisten. Premierministerin Élisabeth Borne (62) rief gemeinsam mit anderen Politikern zur Ruhe auf. Legitime Emotionen dürften nicht zu einer Eskalation der Lage führen.
Mutter fordert «Gerechtigkeit für Nahel»
Aufgrund weiterer erwarteter Proteste sollte im Grossraum Paris am Donnerstagabend ab 21.00 Uhr der Bus- und Strassenbahnverkehr «zum Schutz des Personals und der Fahrgäste» eingestellt werden, wie die Regionalpräsidentin von Île-de-France, Valérie Pécresse (55), im Kurzbotschaftendienst Twitter mitteilte. Bei den gewaltsamen Protesten am Mittwoch hatte es auch Angriffe auf mehrere Strassenbahnen und Busse gegeben.
In Nanterre fand am Donnerstag ein Trauermarsch zu Ehren des getöteten 17-Jährigen statt. Dessen Mutter, die zu dem Marsch aufgerufen hatte, sass auf einem Lieferwagen, der den Protest begleitete, und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Gerechtigkeit für Nahel». Nach Angaben der Polizei nahmen rund 6200 Menschen teil. Sie hielten eine Schweigeminute ab. Im Anschluss kam es jedoch zu Ausschreitungen, Bränden und dem Einsatz von Tränengas durch die Polizei. Wie die Zeitung «Le Parisien» und der Sender BFMTV berichteten, wurden Beamte mit Molotow-Cocktails beworfen. Die Polizei überwachte die Lage mit Hubschraubern und zog Spezialkräfte in Nanterre zusammen.
Clamart, eine Stadt im Département Hauts-de-Seine östlich von Paris, verhängte angesichts der Proteste eine Ausgangssperre. Sie soll von Donnerstag bis Montagmorgen von jeweils 21.00 bis 06.00 Uhr gelten. (AFP)
*Name bekannt