BLICK: Sie haben mit Tito Tettamanti die Studie «Ein Europa der Zukunft» finanziert. Warum?
Konrad Hummler: Wir sehen die EU an einem Wendepunkt. Finanzkrise, Brexit und die Initiative gegen die Masseneinwanderung haben die Situation völlig verändert.
Nun wollen Sie Einfluss nehmen?
Es geht darum: Was ist die Antwort unseres Landes auf diese neue Ausgangslage? Wir benötigen eine öffentliche Diskussion. Diese Studie ist ein Diskussionsbeitrag.
Sie sehen neue Möglichkeiten für die Schweiz?
Nach dem Brexit wird es eine dritte Kraft ausserhalb der EU geben. Dass der Brexit die Position der Schweiz gegenüber der EU stärkt, ist eine Option. Die Schweiz ist in einer Körperschaft, welche nun auch für die Engländer interessant sein könnte.
Sie meinen die Efta?
Ja. Es ist bedauerlich, dass unsere Aussenpolitik diese Option nicht thematisiert. Wir haben uns im Bilateralismus bequem eingerichtet.
Was schliessen Sie daraus?
Man darf nicht davon ausgehen, dass die Bilateralen auch in Zukunft funktionieren. Ist dieser bilaterale Weg auch für unsere junge Generation zielführend?
Und?
Die Bilateralen erlauben nur eine eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeit. Genügt das für die Beziehungen der Schweiz zum Rest der Welt?
Ihre Meinung?
Unsere Exporte sprechen eine deutliche Sprache. Die Ausfuhren in die EU sind in den vergangenen Jahren von 60 Prozent auf vielleicht 55 Prozent zurückgefallen. Südostasien, China haben zugelegt. Fast die Hälfte unserer Wirtschaft ist nicht europazentriert; eine grosse Wertschöpfung findet ausserhalb statt. Wir müssen dies mindestens äquivalent behandeln wie die EU.
Sie sind nicht gegen die EU, aber gegen einen Beitritt?
Wir müssen dringend eine Strategie des Nicht-Beitritts entwickeln.
Darauf soll Ihre Studie Antworten geben?
Sie zeigt Alternativen zum Dogma vieler EU-Politiker auf, die das Heil in einer immer stärkeren Integration sehen. Das kann eine Diskussion um eine Strategie des Nicht-Beitritts in der Schweiz befruchten.
Ihre Studie will in einem Europa der Clubs unterschiedliche Integrations-Geschwindigkeiten innerhalb der EU in den Griff bekommen. Was heisst das?
Diese Clubs sollen eine Art Zweckverbände sein, wie wir sie in der Schweiz in öffentlichen Körperschaften ja kennen.
Konkreter bitte!
Es sind Zweckverbände unterhalb der nationalen Ebene, die aber grenzübergreifend und thematisch ausgerichtet sind. Es geht dabei um das in der Schweiz verankerte Prinzip der Subsidiarität: Eine höhere politische Ebene soll eine gesellschaftliche Aufgabe nur dann übernehmen, wenn die untere diese nicht ausreichend erfüllt. In der EU wird dieses Organisationsprinzip oft mit dem Gang nach Brüssel unterlaufen.
Dieser Tage erscheint ein Buch, welches Sie zusammen mit dem Ökonomen Franz Jaeger herausgeben: «Kleinstaat Schweiz – Auslauf- oder Erfolgsmodell?» Überlebt unser Kleinstaat?
Europa wird aufgrund der Demografie wirtschaftlich schrumpfen. In anderen Teilen der Welt ist das Gegenteil der Fall. Für einen Kleinstaat bedeutet dies, wendig und anpassungsfähig zu bleiben. Da sind wir wieder bei einer Strategie des Nicht-Beitritts aus Voraussetzung für das Überleben.
Kann sich die Schweiz in einer komplexen Welt behaupten?
Natürlich gibt es in einer multipolaren Welt faktische Machtverhältnisse. Die Kunst einer geschickten Aussenpolitik bedeutet, aussenpolitische Interessenlagen auszutarieren und zu bewirtschaften. Wenn sich die Schweiz aber nur auf die europäische Hauptstadt Brüssel fokussiert, geht diese Fähigkeit verloren.
Die Macht des Faktischen hat wohl auch dazu geführt, dass Sie mit dem Verkauf der Bank Wegelin den Banker hinter sich gelassen haben. Sind Sie heute froh?
Ich habe ohne eigenes Unternehmen mehr Zeit. Aber ich habe das Banking nicht gern hinter mir gelassen. Ich habe 750 Mitarbeiter verloren. Mit vielen war ich befreundet.
Wären Sie heute noch gerne Banker?
Nein. Ich würde es vermutlich auch meinen Kindern nicht mehr raten. Es gibt heute andere Bereiche, die mindestens so vielversprechend sind wie es das Finanzgeschäft einmal war.
Was raten Sie jungen Leuten?
Weil heute alles von Digitalisierung spricht, alles digitalisiert wird, sage ich: Geht ins Analoge, in die andere Richtung als dorthin, wo alle hinrennen.
So glauben Sie auch noch an das gedruckte Wort?
Absolut. Es ist die Frage des Inhalts. Gut Geschriebenes, Hintergründiges wird immer Konjunktur haben – auf Papier oder digital.
Trauern Sie dem NZZ-Präsidium noch nach, welches Sie im Zuge des Wegelin-Verkaufs abgegeben haben?
Ja, schon. Die strategischen Herausforderungen im Medienbereich sind enorm und extrem spannend. Ich hätte gerne gestaltend mitgewirkt.
Hätten Sie einen Plan für die NZZ gehabt?
Es geht mit der Marke NZZ nur über den journalistischen Inhalt. Aber man muss diesen konsequent gehen. Es geht um die Frage, wie sich eine NZZ in einer globalen Medienwelt bewegen kann. Man müsste zum Beispiel in englischer Sprache publizieren und die weltweit besten Journalisten an das Blatt binden können. Eine solche Strategie wäre mit dieser Marke möglich.
Konrad Hummler (64) war bis zum Verkauf eines Grossteils des Privatkundengeschäfts an die Raiffeisen Schweiz im Jahre 2012 geschäftsführender Teilhaber der Bank Wegelin & Co.
Im Zusammenhang mit dem Verkauf, der auf Druck der amerikanischen Steuerbehörden zustande kam, gab Hummler auch sein NZZ-Präsidium ab. Heute ist Hummler publizistisch, beratend und als Investor tätig. Er sitzt im Verwaltungsrat des Ostschweizer Technologiekonzerns Bühler.
Konrad Hummler (64) war bis zum Verkauf eines Grossteils des Privatkundengeschäfts an die Raiffeisen Schweiz im Jahre 2012 geschäftsführender Teilhaber der Bank Wegelin & Co.
Im Zusammenhang mit dem Verkauf, der auf Druck der amerikanischen Steuerbehörden zustande kam, gab Hummler auch sein NZZ-Präsidium ab. Heute ist Hummler publizistisch, beratend und als Investor tätig. Er sitzt im Verwaltungsrat des Ostschweizer Technologiekonzerns Bühler.