Die Morgenluft nach der Pandemie ist schon fast zu riechen. Das normale Leben wird nun hoffentlich bald zurückkehren. Zumindest die Teile, die wir so schmerzlich vermisst haben.
Es gibt jedoch auch Dinge, die aus der Not geboren wurden und sich als «gar nicht schlecht» herausgestellt haben. Das Homeoffice, zum Beispiel, ist für viele Arbeitgeber und auch viele Arbeitnehmer eine überraschend positive Erfahrung.
An guten Erfahrungen hält man fest, deshalb wird das Homeoffice mit ziemlicher Sicherheit ein Teil unseres Lebens bleiben. Experten rechnen damit, dass es vor allem Hybridformen sein werden, also eine Mischung aus Büropräsenz und Homeoffice, die den Arbeitsalltag prägen werden. Auch das Thema Geschäftsreise wird vermutlich nie mehr das sein, was es war. Lange Rede, kurzer Sinn: Unsere Mobilität hat sich verändert. Deshalb wird es kurz- und mittelfristig eine Herausforderung sein, die ÖV-Infrastrukturen so auszulasten, dass ihre Kosten auf möglichst viele Schultern verteilt werden können. Denn eine hohe Auslastung kann langfristig günstige Preise ermöglichen.
Schon vor der Krise waren unsere Züge durchschnittlich nur zu rund 30 Prozent ausgelastet. Sicher haben Sie auch gerade ein Bild vom morgendlichen Stossverkehr im Kopf und fragen sich, wo die leeren Plätze eigentlich waren? Wir müssen uns klarmachen, wie gross und dicht unser Netz ist. Viele Verbindungen befördern eben keine Pendlerströme, sie werden aus Gründen des Service Public angeboten und sind weit davon entfernt, rentabel zu sein.
Probleme soll man an der Wurzel packen. Die Wurzel des Stossverkehrproblems ist nicht der ÖV, sondern gesellschaftliche Entwicklungen. Wir müssen uns Fragen wie diese stellen: Ist es wirklich nötig, dass der Schulstart der meisten Schulen mit dem Arbeitsstart vieler Arbeitnehmer zusammenfällt?
Wenn der ÖV hier die Problemlösung liefern muss, reden wir entweder von Kapazitätsausweitungen (teuer!) oder preislicher Lenkung (teuer und ungerecht!).
Lassen wir den ÖV lieber die Probleme lösen, die er lösen kann – da hat er genug zu tun. Die durchschnittliche Auslastung der Züge, S-Bahnen, Trams und Busse muss mindestens auf Vorkrisenniveau zurück. Mehr wäre noch wünschenswerter, nicht nur aus Sicht der Klimajugend. Die Mission heisst, möglichst viele abgewanderte Kunden zurückzuholen und neue Kunden hinzuzugewinnen. Gelingt das nicht, müssen die Kosten der Bereitstellung auf immer weniger Nasen verteilt werden. Dann steht schnell das Schreckgespenst «Preiserhöhung» im Raum.
Es braucht also Kunden, Kunden und nochmals Kunden. Aber wie?
Sind wir ehrlich, wer kauft mit der Erfahrung der jüngsten Vergangenheit noch gerne ein im Voraus zu zahlendes Jahresabo? Die starre Welt der Vorauszahlabonnemente und -billette hat sich zumindest in Teilen zu einer Hypothek entwickelt. Wir wachsen immer mehr aus der analogen Welt heraus. Selbst viele unserer Seniorinnen und Senioren sind längst in der digitalen Welt zu Hause. Da erstaunt es schon, dass die ÖV-Branche die Technik bisher häufig «nur» nutzte, um althergebrachte Produkte digital zu vertreiben. Wo sind die wirklichen innovativen digitalen Produkte wie z.B. flexible Abonnemente mit verschiedenen Rabattstufen und Maximalpreisdeckel?
Wer Inspiration braucht, was alles möglich ist – ein Blick nach Österreich oder Deutschland ist erhellend. Unsere Nachbarn handeln. Und bei uns? Zu viele Akteure. Zu viele verschiedene Interessen. Wenig Bewegung.
Wenn der ÖV im besten Sinne des Wortes ein Massentransportmittel bleiben soll, muss zielgerichtete Bewegung in die Sache kommen. Die Bedürfnisse der Kunden gehören ins Zentrum aller Diskussionen. Wenn «gut und günstig» nicht das Ziel ist, werden wir uns mittelfristig mit «teuer und exklusiv» herumschlagen müssen. Deshalb muss nun endlich die Basis für alle weiteren Entwicklungsstufen geschaffen werden – nämlich ein einfaches, faires, nachvollziehbares ÖV-System. So, wie es der Bundesrat verlangt.