Keine Bieridee!
Quöllfrisch-Brauer wird zum Pizzaiolo

Appenzeller Bier Brauerei-Chef Karl Locher will ein Zeichen gegen Food-Waste setzen und lanciert Produkte, die auf Brauabfällen basieren. Material hat er genug.
Publiziert: 16.07.2020 um 19:19 Uhr
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Aktualisiert: 18.02.2021 um 12:55 Uhr
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Karl Locher will mit seinen neuen Produkten einen Beitrag im Kampf gegen Foodwaste leisten.
Foto: Philippe Rossier
Michael Heim («Handelszeitung»)

Karl Locher hat mal wieder getüftelt. Der Patron der gleichnamigen Brauerei, die vor allem für ihr Quöllfrisch und die Marke Appenzeller Bier bekannt ist, will den Food-Waste beim Bierbrauen reduzieren. Locher hat neue Produkte entwickelt, die auf Resten des Brauprozesses basieren – oder auf «Rohstoffen», wie er es formuliert. Jetzt geht er mit diesen auf den Markt.

Aus Malztreber, dem verbrauchten Braugetreide, und Bierhefe bäckt Locher in der eigenen Bäckerei brezelartige Kringel und Panettone, die er zudem mit Ingwer-resten aus der Herstellung seines Ginger Beer versetzt. Auch zu Chips verarbeitet Locher den Treber. Und aus den ersten und letzten Litern beim Bierbrauen, die sonst weggeschüttet werden, wird Balsamico-Essig.

Das exotischste Produkt aber wächst in einem grossen Becken: Die Brauerei Locher züchtet jetzt auch Fische. Felchen, um genau zu sein. Diese ernähren sich zu einem grossen Teil von Brauabfällen, denn das eigens entwickelte Fischfutter besteht zu gut 40 Prozent aus Hefe, die nach dem Brauen übrig bleibt. Zwei Tonnen Hefe hat Locher so schon verarbeitet, nun wachsen die Fische heran. Noch schwimmen die meisten in ihrem Becken. «Doch die erste Charge ist bereits voll an die Gastronomie verkauft», sagt Locher stolz.

Rohstoffe doppelt nutzen

Entstanden sei das nicht von gestern auf heute, erzählt Locher. Zwanzig Jahre lang habe er schon an der Fischzucht getüftelt, habe auch die Experten vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) beigezogen. Alles ist durchdacht. Selbst die Ausscheidungen der Fische werden via Kompostieranlage verwertet und landen im Gemüsegarten.

Locher sagt, ihm gehe es weniger um das Geschäft als um die Ökobilanz. «Wenn wir das Getreide erst fürs Brauen verwenden und danach noch Chips daraus herstellen, nützen wir die Landwirtschaftsfläche quasi doppelt.» Vor zwei Jahren hat er die Snacks das erste Mal an der Basler Gastro-Messe Igeho präsentiert. Mittlerweile werden sie im Ostschweizer Detailhandel vertrieben.

Auch Pizzas bäckt die Brauerei Locher neuerdings. Der Teig basiert zu einem grossen Teil auf Malzresten, Brauhefe und unvergorenem Bier. Bereits verlassen pro Tag 400 Fertigpizzas Lochers Bäckerei, verkauft vor allem in die nähere Umgebung und über den Online-Shop. Locher macht keinen Hehl daraus, dass er damit nur einen kleinen Teil des Trebers seiner Brauerei verbraucht. «Wir könnten theoretisch die ganze Schweiz mit Pizza versorgen», witzelt er. «Jeden Tag.» Denn Brauabfälle hat Locher genug.

Von der Dorfbrauerei zur Nummer drei

Die Appenzeller Brauerei ist innert einer Generation von einem kleinen Lokalversorger zur grössten Schweizer Brauerei in Familienbesitz mutiert. Den Marktanteil beziffert Locher auf «6 Prozent», was wohl stark tiefgestapelt ist. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Brauerei längst zweistellig unterwegs ist. Ihre Position als drittgrösste Brauerei hinter der Feldschlösschen-Gruppe von Carlsberg sowie Heineken mit seinen Brauereien Eichhof und Calanda gilt in der Branche als unbestritten.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.

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Gebraut wird das meiste Appenzeller Bier heute nicht mehr im alten Sudhaus neben dem schnuckeligen Stammhaus am Rande des Appenzeller Dorfzentrums, sondern in einem riesigen Industriebau am anderen Ende des Orts. Kaum zu übersehen für jeden, der mit der Bahn nach Appenzell fährt. Erst vor wenigen Jahren eröffnet, soll die neue Produktion bereits gut ausgelastet sein, hört man. Im alten Sudhaus dagegen braut Locher vor allem die Spezialitätenbiere.

Um alle Brau-Nebenprodukte zu verarbeiten, müsste Locher also noch viele Pizzas belegen, Panettone backen oder Cracker frittieren. Doch ihm geht es auch um das Signal. «Wir wollen anderen Unternehmen zeigen, was man tun kann, um Lebensmittelreste zu verwerten.» Und an die Konsumenten appelliert er, sich zu überlegen, was man mit seinem Konsum auslöse. Ob die Produkte rentabel werden, sei ihm unwichtig, sagt Locher. Doch er wäre nicht Karl Locher, wenn nicht das eine oder andere Produkt irgendwann auch kommerziell durchstarten würde.

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