Kein westliches Land ist der Grossmacht näher als die Schweiz
Wir sind Chinas Lieblinge

Bundespräsident Ueli Maurer widmet sich seit einer Woche den Beziehungen mit China. Zu Recht: Die Supermacht liebt die Schweiz.
Publiziert: 28.04.2019 um 00:08 Uhr
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Schüler der Basler Chinesisch-Schule für Kinder «Han Tong».
Foto: Stefan Bohrer
Moritz Kaufmann
Moritz KaufmannWirtschaftsredaktor

Seidenstrassen-Gipfel in China, Frühlingsferien in Basel. In der Chinesisch-Schule «Han Tong» rollt ein Bub fröhlich über den Boden: Die Mandarin-Lektion steht an. Es ist die Hauptsprache Chinas und die Muttersprache von knapp 900 Millionen Menschen, die am meisten verbreitete der Welt.

In der Ferienzeit bietet «Han Tong» ganztägige Betreuung – inklusive einer Stunde Mandarin am Vor- und Nachmittag. Heute repetieren vier Kinder Schriftzeichen. «Es ist sehr wichtig, dass sie die Punkte und Striche in der richtigen Reihenfolge schreiben», erklärt Qin Xu Hauser, Inhaberin der Schule, «sonst gibt es ein Durcheinander.»

«Schweiz hat sich stets China-freundlich verhalten»

Den meisten Schweizern ist China fremd, einigen sogar unheimlich. Doch die Chinesen lieben die Schweiz. Und wir profitieren davon. «Die Schweiz ist wohl das westliche Land mit den engsten Beziehungen zu China», sagt ­Patrick Ziltener, Professor für Soziologie an der Uni Zürich. Der China-Kenner hat letztes Jahr wissenschaftlich ausgewertet, wie sich das Freihandelsabkommen zwischen den beiden Staaten auswirkt. Allein, dass die Eidgenossenschaft es abschliessen konnte, zeigt ihren hohen Stellenwert. Weder der EU noch den USA ist es gelungen, ein solches Abkommen auszuhandeln. Der Schweiz schon. Warum?

«Einerseits stellt die Schweiz von der Grösse her keine Bedrohung dar. Andererseits hat sie im Umgang mit China alles richtig gemacht», sagt Ziltener. Damit ist unter anderem ­gemeint, dass Bern 2015 beschloss, Mitglied der chinesisch geführten Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) zu werden. Oder: dass sie von Anfang an bei der 
«Belt and Road»-Initiative mitmachte – der viel zitierten neuen Seidenstrasse. Und diese Woche nahm Ueli Maurer auf Einladung des chinesischen Staatsoberhaupts Xi Jinping erneut an einem Seidenstrassen-Gipfel in Peking teil. Ziltener: «Die Schweiz hat sich stets China-freundlich verhalten.»

Massiver Handelsbilanz-Überschuss für die Schweiz

Das wissen die Machthaber in Peking zu schätzen. Und so kaufen sie fleissig unsere teuren Medikamente, schmucken Uhren und präzisen Maschinen. 2017 exportierte die Schweiz Güter für fast 24 Milliarden Franken nach China, während von dort nur Waren im Wert von etwa 13 Milliarden über die Grenze kamen. Ergebnis: ein massiver Handelsbilanz-Überschuss für das Hochlohnland Schweiz!

Ganz anders liegen die Dinge für die USA. Im letzten Jahr lieferte China für 43 Milliarden Dollar mehr Güter in die USA als umgekehrt. Donald Trump (72) bringt dieses Handelsbilanz-Defizit so in Rage, dass er mehrmals kurz davor war, einen Wirtschaftskrieg mit dem Reich der Mitte anzuzetteln.

Heikle Themen werden nicht angesprochen

Spannungen zwischen der Schweiz und China auf offi­zieller Ebene gab es zuletzt vor 20 Jahren. 1999 besuchte der damalige Präsident ­Jiang Zemin Bern. Auf dem Bundesplatz versammelten sich Demonstranten, die lautstark ein freies Tibet forderten. Jiang reagierte hässig, ignorierte die anwesenden Bundesräte. Haarscharf schlitterte die Schweiz an einem diplomatischen Eklat vorbei.

Die Schweizer Diplomaten haben daraus gelernt. Heikle Themen – etwa den miserablen Umgang mit Minderheiten, den katastrophalen Zustand der Pressefreiheit oder fehlende demokratische Rechte – sprechen sie gar nicht mehr an. Zumindest nicht öffentlich. Das brachte der Schweiz in China einen hervorragenden Ruf ein. «Ruì shì» heisst «Schweiz» auf Chinesisch. Wörtlich übersetzt: «Glückliches Volk». Und viele Chinesen wollen dieses Land der Zufriedenen sehen: 1,7 Millionen Übernachtungen bescherten sie letztes Jahr der Schweizer Hotellerie. In zehn Jahren ist dieser Wert um astronomische 450 Prozent gewachsen. China ist heute der viertwichtigste Auslandsmarkt von Schweiz Tourismus.

Umgekehrt interessieren sich vor allem Exporteure für die Volksrepublik und deren 1,4 Milliarden Einwohner. Rund 500 Anfragen von Schweizer Firmen zu China beantwortet die Organisa­tion Switzerland Global Enterprise (SGE) jedes Jahr. Sie berät im Auftrag des Bundes Schweizer ­Unternehmen, die im Ausland geschäften wollen.

Freihandelsabkommen als Vorteil für die Schweiz

«Das Potenzial von ­China ist enorm. Selbst Nischenmärkte fallen riesig aus», sagt Daniel Bont, SGE-Chefberater für China. Die Schweiz hat dank des Freihandelsabkommens einen Vorteil gegenüber Konkurrenten aus der EU oder Amerika. Die Zölle sinken schrittweise über 15 Jahre hinweg. Das heisst: Jedes Jahr wird China noch ein bisschen attraktiver. Bont: «Der Anreiz zur Nutzung des Freihandelsabkommens nimmt stetig zu.»

Durch die neue Seidenstrasse wird China noch näher an die Schweiz he­ranrücken. «Es ist ein Projekt der Superlative», sagt Christian Wurst, Europa-CEO der in Basel ansässigen Logistik-Firma Panalpina, die enorm von den chinesischen Investitionen in die Infrastruktur profitiert. «Ein Zug von Europa nach China braucht heute etwa 14 bis 17 Tage», schätzt Wurst. Wenn die neuen Verbindungen stehen, sinke die Reisedauer auf drei bis vier Tage. Damit werde die Bahn eine Konkurrenz zur Luftfracht, mit der sonst teure Güter transportiert werden.

Geopolitik ist in der Chinesisch-Schule im Basler Ring-Quartier weit weg. Und doch: Für Basel mit seinen Pharmariesen ist sie ein Standortvorteil. Wenn nicht gerade Ferien­zeit ist, lernen hier 80 Kinder in 16 Klassen Mandarin. «Chinesisch lernen ist für Kinder einfacher. Sie fragen nicht so viel nach», sagt Lehrerin Xu Hauser.
Die vier kleinen Sprachstudenten im Klassen­zimmer bemalen ihre Hände und albern herum. Sorgen machen müssen sie sich nicht. Wer in 
der ­neuen Welt Chinesisch spricht, hat die ­Zukunft auf seiner ­Seite.

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