Jürg Brechbühl, Chef des Bundesamts für Sozialversicherungen im grossen BLICK-Interview
«Die Vernunft wird sich durchsetzen»

Der Chef des Bundesamts für Sozialversicherungen über das heiss diskutierte Rentenmodell das die SBB prüft.
Publiziert: 24.04.2013 um 20:12 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:29 Uhr
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Seit Juli 2012: Chef des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) ist SP-Mann Jürg Brechbühl (57).
Foto: Joseph Khakshouri
Interview: Matthias Pfander und Ruedi Studer

BLICK: Was halten Sie vom Rentenmodell, wie es die SBB diskutieren?
Jürg Brechbühl:
Kommentieren will ich das nicht. Wichtig ist, dass sich die Pensionskasse Gedanken macht, wie sie sich auf eine solide finanzielle Grundlage stellt. Es ist Sache des Stiftungsrats zu entscheiden, ob das diskutierte Modell dem Vertrauen der Versicherten in die Pensionskasse förderlich ist.

Sie drücken sich um eine konkrete Antwort. Nochmals: Was halten Sie vom SBB-Modell?
Unser Bundesamt ist für das BVG-Obligatorium zuständig. In diesem Bereich ist dieses Modell sicher kein gangbarer Weg. Denn es hat einen grossen Nachteil: Die Rentner haben weniger Sicherheit. Doch das Vertrauen in die Rente ist für die Pensionierten ganz entscheidend.

Und für das Überobligatorium gilt dieser Grundsatz nicht?
Doch. Die Sicherheit ist zentral! Daran muss jeder Stiftungsrat denken, bevor er einen solchen Entscheid fällt. Es kommt aber auch sehr auf die einzelne Kasse an. Bei einer Kasse mit sehr guten Leistungen ist ein solches Modell eher denkbar.

Würden die SBB das Modell umsetzen, könnte das eine Signalwirkung für andere Kassen haben?
Das glaube ich nicht, es gibt viele Kassen, die gegenüber einem solchen Modell skeptisch sind.

Hand aufs Herz: Für Sie wäre es interessant, wenn die SBB vorangehen und so den Weg für einen Leistungsabbau auch im BVG-Obligatorium bereiten.
Überhaupt nicht! Im BVG-Obligatorium – das sage ich klipp und klar – gibt es keinen Spielraum für einen Leistungs­abbau. Wenn hingegen eine komfortabel ausgestattete Pen­sionskasse andere Wege beschreitet, liegt das in der Verantwortung ihres Stiftungs­rates.

Die SBB-Lösung wird also nicht als Blaupause für die Revision der zweiten Säule dienen?
Nein, auf keinen Fall.

Glauben Sie, dass die SBB noch einen Rückzieher machen?
Dies ist denkbar, das Modell ist ja auch bloss eine geprüfte Variante. Zudem haben die Gewerkschaften im Stiftungsrat der SBB-Pensionskasse auch mehr Einfluss als in anderen.

Was passiert, wenn die SBB-Lösung scheitert?
Dann werden die SBB wohl den Umwandlungssatz senken, wie sie bereits angedeutet haben.

Also genau die Lösung, die Sie und SP-Bundesrat Alain Berset beim BVG-Obligatorium in der geplanten Altersvorsorge-Reform anstreben.
Um eine Senkung des Umwandlungssatzes kommen wir tatsächlich nicht herum. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Eine Senkung ist schlicht notwendig, weil sich sowohl die Lebenserwartung wie auch die Zinserwartung verändert haben. Damit die Pensionskassen den heute geltenden Umwandlungssatz von 6,8 Prozent finanzieren könnten, müssten sie pro Jahr im Schnitt 4,5 bis 5 Prozent Rendite erzielen. Das gab es in den letzten zehn Jahren nicht.


Bei der letzten, vom Volk abgelehnten BVG-Revision wollte man den Umwandlungssatz auf 6,4 Prozent runterdrücken. Mittlerweile ist gar von unter 6 Prozent die Rede. Wo zielen Sie hin?
Eine genaue Zahl nenne ich nicht. Der Umwandlungssatz muss einerseits möglichst nahe an der versicherungstechnischen Realität liegen. Andererseits muss die Vor­lage auch referendumsfähig sein. Und da ist mir der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach.

Also doch näher bei 6,4?
Irgendwo zwischen 5,5 und 6,4 Prozent. Einfach so korrekt wie möglich – und so, dass er politisch tragbar ist. Der ideale Umwandlungssatz ist ja sowieso für jede Pen­sionskasse anders. Je nach Anteil Aktive und Rentner.

Eine Senkung bedeutet am Schluss: Den Rentnern bleibt weniger im Portemonnaie.
Genau das gilt es zu verhindern. Wenn der Umwandlungssatz sinkt und das Leistungsniveau gleich bleiben soll, braucht es mehr Kapital. Es braucht also einen Mix verschiedener Kompen-sa­ionsmassnahmen.

Konkret?
Der versicherte Lohn und die Beiträge müssen ent­sprechend angepasst werden. Das erreicht man mit höheren Beiträgen, einem tieferen Koordinationsabzug oder dadurch, dass die Leute früher anfangen, in die zweite Säule einzuzahlen. Heute beginnt das Alterssparen mit 25 Jahren – neu könnte es mit 18 oder 20 Jahren sein.

Auch die Verwaltungskosten stehen in der Kritik.
Wir müssen sicherstellen, dass bei den Verwaltungskosten und der Transparenz die Hausaufgaben gemacht werden. Gelingt dies, sind die Leute bereit, höhere Beiträge zu zahlen.

Revolutionär sind Ihre Vorschläge nicht. Was halten Sie von frecheren Ideen wie der freien Wahl der Pensionskasse oder Kürzungen laufender Renten?
Gegenüber der freien Kassenwahl bin ich skeptisch. Das Beispiel Schweden zeigt, dass die Versicherten damit eher überfordert sind. Und ich bin strikt dagegen, laufende Renten zu kürzen.

Die letzten grossen Reformen sind gescheitert. Keine Angst vor einem neuen Scherbenhaufen?
Nein, ich bin mir sicher: Die Vernunft wird sich durch­setzen.

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