Die Personalnot im Führerstand bleibt akut. Die SBB erwartet für das nächste Jahr keine Entspannung. Das kostet Kraft. Die Frustration beim Personal wächst.
Die Situation befeuert die Wechsellust der Angestellten. Einst galt es unter Lokführern als schlechter Stil, die SBB zu verlassen und bei der BLS oder SOB anzuheuern. Die Unternehmen ihrerseits hüteten sich davor, Personal bei anderen abzuwerben. In der aktuellen Not ist aber vieles anders. Das zeigt eine BLICK-Umfrage unter den SBB-Konkurrenten.
Fluktuation steigt
Ein BLS-Sprecher bestätigt: «Arbeitgeberwechsel sind heutzutage häufiger.» Das Berner Unternehmen ist die Nummer zwei im Schweizer Eisenbahnwesen. Es leidet, ähnlich wie die SBB, unter Mangel im Führerstand. Seit Anfang Oktober zahlt die BLS 100 Franken extra, wenn Lokführer auf einen freien Tag verzichten und stattdessen arbeiten. Die Regelung gilt vorerst bis Ende April 2020.
Details zu den Personalrochaden gibt die Firma nicht bekannt. Wer räumt schon gern ein, Lokführer an die Konkurrenz abtreten zu müssen? «Wir führen keine Statistik darüber, von welchem Unternehmen unsere Mitarbeitenden zu uns gelangt sind oder für welches sie die BLS verlassen haben», so der Unternehmenssprecher.
RhB mit Schnellbleiche
Was die Fluktuation weiter befeuert: Früher waren die Hürden für einen Wechsel höher, weil es keine einheitliche Ausbildung gab. Das änderte sich vor über zehn Jahren. Seither spielt der Markt – offenbar zugunsten der kleinen Betreiber. Ein Sprecher der Rhätischen Bahn (RhB) sagt, das Unternehmen sei zwar «permanent» auf der Suche nach neuen Lokführern. Bei der RhB herrsche aber kein «akuter Mangel». Das liege auch an den Umschulungskursen.
Das ist eine Art Schnellbleiche für das Lokpersonal anderer Unternehmen. Eine Umschulung dauert vier Monate – eine ganze Ausbildung dagegen 16 Monate. Die nächste Klasse startet im Frühling und ist bereits fast ausgebucht.
Bus statt Zug im Wallis
Ein grosses Rekrutierungsvorhaben treibt derweil die Südostbahn SOB voran. Sie braucht neue Lokführer für die Gotthard-Bergstrecke. «Der grösste Teil der Stellen konnte bereits besetzt werden», sagt ein Sprecher.
Von einer akuten Notlage will auch die Matterhorn-Gotthard-Bahn nichts wissen. Und das, obschon das Unternehmen auf der Strecke von Brig nach Fiesch VS auf Ersatzbusse setzt. Zu Randzeiten ist der Zug vorerst gestrichen. Hintergrund sind Abgänge und Krankheiten, aber kein «strukturelles Problem», wie ein Sprecher betont.
Angespannte Lage bei der SBB
Wirklich? «Auf zwei im ersten Halbjahr platzierten Lokführerausschreibungen haben wir insgesamt 53 Bewerbungen erhalten», sagt der Sprecher. Dreizehn Anstellungen resultierten daraus. Und auch eine neue Ausschreibung von Anfang Oktober sei auf ähnliche Resonanz gestossen. Das heisst: Bereits im nächsten Frühjahr soll der Engpass behoben sein.
Die SBB können davon nur träumen. Die Lokführer des Branchenprimus müssen auch 2020 einen Extra-Effort leisten, um die Reisenden an ihr Ziel zu bringen.