Job-Stress-Index 2015
Kein Volk von Jammeri

Ein Umfrage der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz zeigt, dass die meisten Schweizer den Herausforderungen der Arbeitswelt gewachsen sind. Doch die Anzahl der Gestressten nimmt ständig zu.
Publiziert: 15.11.2015 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 05:30 Uhr
Nur jeder Fünfte fühlt sich gestresst – die Chefs kaum je.
Foto: Igor Kravarik
Von Guido Schätti (Text) und Igor Kravarik (Illustration)

Stress? Haben wir doch alle. Ausbildung, Job, Beziehung – das Leben ist nun mal keine Wellness-Oase. Bei vielen gehört es sogar zum guten Ton, gestresst zu sein: im Beruf, aber auch in der Freizeit. Wer Stress hat, ist am Arbeitsplatz gefragt und weiss mit dem Leben etwas anzufangen.

Alles kein Problem also? Ist Stress nur ein Modebegriff? Auch, aber nicht nur. Denn es gibt auch ne­gativen Stress. Nicht der Stress, der Adrenalinschübe auslöst und zu Höchstleistungen antreibt. Sondern Stress, der auslaugt, erschöpft und krank macht.

22,5 Prozent der Schweizer Erwerbstätigen leiden unter Stress.

22,5 Prozent der Schweizer und Schweizerinnen leiden unter dieser Form von Stress. Hochgerechnet ergibt dies 1,1 Millionen Erwerbstätige. «Eine hohe Arbeitsbelastung ist ein wichtiger Grund dafür», sagt Thomas Mattig (43), Direktor von Gesundheitsförderung Schweiz. «Aber auch übermässiger Zeitdruck oder ständige Konflikte mit Arbeitskollegen oder Vorgesetzten können zu Stress führen.»

Die mit den Krankenkassenprämien finanzierte Stiftung befragte knapp 3000 Erwerbstätige zu ihrer Situation am Arbeitsplatz. Resultat: Gut ein Fünftel ist gestresst, ebenso viele fühlen sich ziemlich oder sogar sehr erschöpft.

Die gute Nachricht: Mehr als 60 Prozent der Befragten fühlen sich fit und spüren keine Anzeichen von Erschöpfung. Und rund die Hälfte steht zwar unter Druck, hat aber genügend Ressourcen, um damit umzugehen. Knapp 30 Prozent haben keinen Stress.

Die Mehrheit hat den Stress damit im Griff. Doch der Anteil der Gestressten nehme zu, so Mattig: «Die Herausforderungen der Arbeitswelt haben zugenommen.» Die normalen Angestellten leiden stärker als die Chefs. «Die Arbeitsbelastung steigt zwar für beide», sagt er, «aber Führungskräfte haben mehr Gestaltungsmöglichkeiten.»

Dass der Stress steigt, liegt auch daran, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden. 75 Prozent der Befragten arbeiten auch in der Freizeit. Ein Drittel checkt täglich die E-Mails, im Schnitt fünfmal pro Tag. «Die ­Leute gehen mental ständig wieder an die Arbeit. Das ist schlecht für die Erholung», sagt Thomas Mattig.

Die Firmen profitieren zwar davon, dass ihre Mitarbeiter auch in der Freizeit arbeiten. Unter dem Strich geht die Rechnung gemäss der Studie aber nicht auf. Wegen Krankheit und Produktivitätsverlusten kostet Stress die Firmen rund fünf Milliarden Franken jährlich. «Mit besseren Arbeitsbedingungen könnten die Unternehmen viel Geld sparen», so Mattig. Das beste Antistressmittel sei, den Mitarbeitern Wertschätzung zu geben und ihnen so viele Freiräume wie möglich einzuräumen.

«Wer unter Stress leidet, dem muss geholfen werden», sagt Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (55). «Wir wollen das Problem nicht verniedlichen.» Er warnt aber davor, wegen 20 Prozent, die Probleme haben, die ganze Arbeitswelt umbauen zu wollen. Denn die Gründe lägen nicht nur dort: «Bei Stress und Erschöpfung spielen meist auch private Prob­leme oder der Umgang mit neuen Kommunikationsmitteln eine Rolle.» Die Schweiz habe gar keine andere Wahl, als die Produktivität weiter zu steigern. «Wir haben weltweit die höchsten Löhne und Arbeitskosten», sagt Vogt. «Nur wenn wir produktiver sind als die anderen, haben wir eine Chance.»

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