IT-Unternehmer Kudelski zum Umgang mit der Digitalisierung
«Ein Hackerangriff ist kein Spiel, sondern Krieg!»

Seit 30 Jahren ist André Kudelski als IT-Unternehmer tätig. Er stört sich am fehlenden Selbstvertrauen der Schweizer, wünscht sich mehr Innovation statt Regulation und erklärt, was Kartoffeln mit Digitalisierung zu tun haben.
Publiziert: 25.07.2021 um 10:08 Uhr
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Aktualisiert: 26.07.2021 um 16:02 Uhr
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André Kudelski ist seit 30 Jahren Verwaltungsratspräsident und CEO der Kudelski S.A.
Foto: François Wavre | lundi13
Interview: Christian Dorer und Adrien Schnarrenberger

Es ist wie im Film: Schummrig-blaues Licht füllt den abgedunkelten Raum, rund zwei Dutzend junge Männer mit Kopfhörern sitzen dicht an dicht vor Computern, über deren Bildschirme Zahlenreihen flimmern. Die Cybersecurity-Spezialisten wehren Attacken auf die Server von Kudelskis Kunden ab. Im Moment ist die Lage ruhig. Bei Angriff wechselt das Raumlicht auf Grün, bei hoher Gefahr auf Rot (kein Witz). Für das Interview wechseln wir in ein Sitzungszimmer, wo wir uns normal zu sprechen getrauen.

Seit mehr als 30 Jahren beschäftigen Sie sich mit Innovation. Was ist «the next big thing», die nächste grosse Innovation?
André Kudelski: Ich weiss nicht, ob man es das nächste «big thing» nennen kann. Klar ist: Der Umgang mit der Digitalisierung wandelt sich in allen Lebensbereichen. Zum Beispiel haben wir bereits nicht mehr Autos mit Computer, sondern Computer mit Rädern.

Persönlich André Kudelski

André Kudelski (61) ist Verwaltungsratspräsident und CEO der Kudelski S.A. mit Sitz in Cheseaux-sur-Lausanne VD. Das Unternehmen mit 3250 Mitarbeitenden ist ein weltweit führender Anbieter von Cyber-Sicherheitslösungen. Kudelski studierte an der ETH Lausanne Physik, stieg 1984 in der Firma des Vaters ein und übernahm 1991 den Chefposten. Kudelski, nebenbei Präsident der Innovationsagentur Innosuisse, ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona und in Lutry bei Lausanne.

André Kudelski (61) ist Verwaltungsratspräsident und CEO der Kudelski S.A. mit Sitz in Cheseaux-sur-Lausanne VD. Das Unternehmen mit 3250 Mitarbeitenden ist ein weltweit führender Anbieter von Cyber-Sicherheitslösungen. Kudelski studierte an der ETH Lausanne Physik, stieg 1984 in der Firma des Vaters ein und übernahm 1991 den Chefposten. Kudelski, nebenbei Präsident der Innovationsagentur Innosuisse, ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona und in Lutry bei Lausanne.

Was braucht es, damit die Leute den neuen Technologien vertrauen?
Es gibt zwei Arten, mit einer neuen Technologie umzugehen: Entweder bin ich neugierig auf Neues und probiere es aus. Oder ich will zuerst sicher sein, dass es funktioniert, und keine Risiken eingehen. In einigen Teilen Europas wurde die Kartoffel verboten, bis es zu einer Hungersnot kam. Erst dann haben sie die Kartoffel probiert. Krisen zwingen dazu, neue Lösungen zu finden und die Einführung neuer Technologien zu beschleunigen, wie die Covid-19-Pandemie gezeigt hat.

Gewinnen immer die, die etwas wagen?
Die Balance ist wichtig. Wir sollten weder zu ängstlich noch zu euphorisch sein gegenüber Veränderungen. Entscheidend ist, dass die Konsumenten anhand umfassender Information ihre Entscheidung selber treffen können.

Muss der Staat für mehr Transparenz sorgen?
Ich bin kein Fan von Überregulierungen. Gleichzeitig ist es wichtig, auch da, dass der Konsument weiss, was ein Produkt beinhaltet. Nur dann kann er wirklich entscheiden. In der Medizin gibt es Behandlungen, die riskanter sind als andere. Trotzdem kann es sinnvoll sein, das Risiko bewusst zu wählen.

Zum Beispiel?
Nehmen wir die Impfstoffe gegen das Coronavirus. Es ist ein Unterschied, ob man mit Astrazeneca, Moderna oder Biontech/Pfizer geimpft wird. Darum sollte man die Wahl haben. Ich bin froh, dass ich in den USA geimpft wurde. Dort konnte ich selbst entscheiden und nur mir selbst die Schuld geben, wenn ich die falsche Wahl getroffen habe.

Welchen Impfstoff haben Sie gewählt?
Biontech/Pfizer.

Wie wird die Digitalisierung unseren Umgang mit Krankheiten beeinflussen?
Künftig wird es nicht mehr nötig sein, sich bei gewissen chronischen Krankheiten ständig im Spital behandeln zu lassen. Es wird Geräte geben, welche die Kontrolle und Medikation übernehmen, und das kann man von zu Hause aus machen. So wird sich die Lebensqualität der betroffenen Patienten verbessern. Und die Behandlungskosten sinken auch noch.

Welche Auswirkungen wird dies auf die Medikamentenentwicklung haben?
Für gewisse Krebsarten zum Beispiel brauchen wir neue Medikamente, die viel stärker individualisiert werden können. Jeder Patient bekommt eine auf ihn abgestimmte Behandlung.

Wird das nicht viel teurer?
Im alten Paradigma ja, aber potenziell nein, wenn wir intensiv künstliche Intelligenz nutzen, um diese Entwicklung zu vereinfachen und die Medikamente automatisch auf den einzelnen Patienten zuzuschneiden.

Wo steht die Schweiz in der Digitalisierung im Vergleich zum Ausland?
Schweizer Konsumenten kaufen gerne die neusten Produkte und sind auf dem neusten Stand, sowohl bei Handys als auch bei Laptops. Nachholbedarf gibt es allerdings beim Umgang mit der Digitalisierung. Hier hinken wir hinterher, zum Beispiel im Vergleich zu den USA, weil wir zuerst analog denken und erst dann digital, statt direkt digital zu denken.

Wie kann die Schweiz führend werden in Sachen Digitalisierung?
Die Schweiz muss mutiger werden. Zuerst müssen wir unsere Universitäten und Hochschulen stärken, um genügend Topleute auszubilden. Dann ist es wichtig, dass wir Kollaborationen eingehen, und dafür müssen wir ein noch attraktiverer Partner werden auf der internationalen Bühne.

Die Corona-Krise hat Mängel aufgezeigt: Ärzte schickten ihre Zahlen noch per Fax ans Bundesamt, die Covid-App war ein Flop ...
Der Staat sollte mehr auf Start-ups setzen und bereit sein, Produkte oder Dienstleistungen von ihnen oder von Unternehmen, die sich noch nicht bewährt haben, zu kaufen.

Sie sind seit 30 Jahren CEO. Wie halten Sie das so lange aus?
Weil es mir grosse Freude macht! Ich liebe die Arbeit mit meinen Teams und mit den Kunden. Inzwischen lebe ich zu zwei Dritteln in Arizona, wo wir unseren zweiten Hauptsitz haben.

Wie sehen Sie die Schweiz mit Ihrem Blick von aussen?
Die Schweiz ist viel besser, als wir Schweizer meinen. Das Problem ist unser fehlendes Selbstvertrauen. Die Amerikaner probieren Sachen einfach aus. Wir sollten den Amerikanern folgen und mehr sagen: Grossartig, das ist kein Problem!

Laufen die USA deshalb Europa den Rang ab in der Digitalisierung?
Die EU meint, sie habe einen einheitlichen Rechtsraum. In Tat und Wahrheit sind die europäischen Staaten sehr nationalistisch. Jedes Land hat seine eigenen Gesetze, was beispielsweise die Cybersecurity sehr anspruchsvoll macht. Und dann gibt es einen Witz, der es auf den Punkt bringt, wie die verschiedenen Wirtschaftsräume mit Innovation umgehen: Die Amerikaner sagen: «Probieren wir es aus!» Die Chinesen sagen: «Übernehmen wir es!» Und die Europäer sagen: «Regulieren wir es!»

Wo äussert sich übertriebene Regulierung?
Etwa bei der künstlichen Intelligenz: Da ist Europa inhaltlich nicht der Hauptakteur, aber mit Abstand am weitesten mit der Regulierung. Es sind zwei Philosophien: Europa will immer sofort alles regulieren, bevor etwas startet. Die USA machen einfach mal und regulieren später, falls nötig. Europa versucht, Schlechtes per Gesetz zu verhindern. Die USA lassen viel Spielraum, doch wenn es schiefgeht, sind die Konsequenzen viel drastischer.

Woher kommt das?
Ich erkläre mir das mit der Natur: Die Menschen in den USA leben seit je mit viel mehr Risiken. An der Westküste etwa gibt es Klapperschlangen, Berglöwen und Wüsten. Das alles kann tödlich sein. In Europa ist die Natur im Alltag an Land selten tödlich.

Zumindest für Unternehmen lebensbedrohlich sind Cyberattacken. Wie können wir uns schützen?
Die meisten Computer sind nicht sicher vor Hackern, weil viele Menschen nicht vorsichtig sind. Das fängt beim E-Mail an: Wir sollten bei jedem E-Mail prüfen, ob es echt ist. Aber einer auf eine Million verhält sich immer dumm. Es reicht, wenn ein einziger Punkt in Ihrem System nicht genügend geschützt ist – dann ist der Hacker drin.

Wenn ein Unternehmen nach einem Angriff erpresst wird: Empfehlen Sie zu zahlen oder nicht?
Ein solcher Angriff ist kein Spiel, sondern Krieg! Die Hacker werden versuchen, alle Back-ups zum Verschwinden zu bringen und das Servicecenter anzugreifen, also dort, wo die Kunden Zugriff haben. Wenn das tatsächlich gelingt, ist vermutlich eine Zahlung nötig, weil sonst das Geschäft zusammenbricht. Wir haben dazu ein Spezialteam, das in der Lage ist, in solchen Situationen Hilfe anzubieten.

Wie gefährdet sind staatliche Einrichtungen?
Wenn es um Cybersicherheit geht, haben wir kollektiv zu wenig getan, da wir die Digitalisierung nicht ernst genug genommen haben. Kritische Infrastrukturen wie Kommunikation, Strom oder Wasser sind klare Ziele für Hacker und sollten ständig besser abgesichert werden.

Ein Tipp zum Schluss: Welchen Beruf soll eine junge Person lernen, was hat langfristig Zukunft?
Ausbildungen im Bereich der künstlichen Intelligenz, Cybersecurity und der mobilen Kommunikation sind sehr vielversprechend. Ich rate aber vor allem eines: Hört nie auf zu lernen! Bei mir ging es erst richtig los mit dem Lernen, als ich den Master bereits absolviert hatte.

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