Der Hauptsitz von MSC Cruises ist in einem äusserlich unscheinbaren Verwaltungsgebäude in Genf untergebracht. Kaum ist man jedoch eingetreten, befindet man sich in einer anderen Welt: Die kreisrunde Lobby mit dem Marmorboden könnte ebenso gut an Bord der 5700 Passagiere fassenden MSC Bellissima sein, deren bemerkenswert präzises Modell den Raum schmückt. Auch das Design des Sitzungsraums ist jenem eines Schiffes nachempfunden. Fehlt nur das Schaukeln!
Herr Vago, Corona traf Ihre Branche besonders hart. Wie ist die Situation heute?
Pierfrancesco Vago: Schon in den Anfängen der Pandemie waren wir im Notfall-Modus. Ab März mussten wir 70’000 Passagiere und 30’000 Crew-Mitglieder aus aller Welt sicher nach Hause bringen – eine riesige Herausforderung! Gewisse Länder liessen zeitweise nicht mal mehr die eigenen Bürger wieder einreisen.
Welches war die verrückteste Situation?
Das letzte Schiff, die MSC Magnifica, lief nach einer Weltreise erst am 20. April in Marseille ein. Als die Passagiere ins Schiff stiegen, war die Welt noch in Ordnung. Auf See feierten sie letzte unbeschwerte Partys. Einige wollten nicht mehr von Bord, weil sie sich vor der neuen Welt fürchteten, die sie da draussen erwartete.
Wo befinden sich Ihre 17 Kreuzfahrtschiffe?
Wir mussten für jedes einen Hafen oder einen Ankerplatz finden, was gar nicht einfach war. Je rund 50 Crew-Mitglieder sind für den Unterhalt an Bord. Die Schiffe müssen bewegt werden, sonst entstehen Schäden, denn sie sind zum Fahren gemacht, nicht zum Stehen. Inzwischen haben wir sie über die ganze Welt verteilt, sodass wir überall bereit sind, sobald man wieder loslegen kann.
Was ist mit Ihren mehr als 30‘000 Mitarbeitern?
Unser Ziel ist es, niemanden zu entlassen. Die Büroangestellten rund um den Globus erhalten lokal staatliche Unterstützung. Crew-Mitglieder haben auch in normalen Zeiten befristete Verträge. Das bedeutet, dass die meisten von ihnen – da die Verträge im Zuge der Pandemie ausgelaufen waren – momentan auf neue Verträge warten, die starten, sobald die Schiffe wieder auf See sind.
Die Kreuzfahrt ist nur ein Pfeiler der verschwiegenen MSC Mediterranean Shipping Company Holding. Ihr Ursprung liegt in der Containerschifffahrt, sie ist mit einem Umsatz von 26 Milliarden Franken die Nummer 2 der Welt, bei den Kreuzfahrten die Nummer 4.
Die Firma wurde 1970 vom italienischen Kapitän Gianluigi Aponte (79) in Genf gegründet. Das nichtkotierte Unternehmen ist noch heute fest in den Händen der Familie: Sohn Diego Aponte führt das Cargo-Geschäft und die Hafenanlagen, Tochter Alexa die Finanzen, Kreuzfahrt-Chef Pierfrancesco Vago ist der Schwiegersohn, die Schwiegertochter Ela leitet die Cargo-Schiffe, und Gianluigi Apontes Gattin Rafaela entscheidet über die Inneneinrichtung der Schiffe.
Wegen des anhaltenden Kreuzfahrtbooms bestellte MSC Cruises zehn weitere Schiffe. Sie bieten je 5000 bis 7000 Passagieren Platz und werden bis 2027 ausgeliefert. Die Corona-Krise hat die Branche stark getroffen: Während fünf Monaten wurde die Schifffahrt komplett eingestellt. Mitte August 2020 nahm im Hafen von Genua mit der MSC Grandiosa das erste Schiff seinen Betrieb wieder auf, am 19. Oktober das zweite.
Die Kreuzfahrt ist nur ein Pfeiler der verschwiegenen MSC Mediterranean Shipping Company Holding. Ihr Ursprung liegt in der Containerschifffahrt, sie ist mit einem Umsatz von 26 Milliarden Franken die Nummer 2 der Welt, bei den Kreuzfahrten die Nummer 4.
Die Firma wurde 1970 vom italienischen Kapitän Gianluigi Aponte (79) in Genf gegründet. Das nichtkotierte Unternehmen ist noch heute fest in den Händen der Familie: Sohn Diego Aponte führt das Cargo-Geschäft und die Hafenanlagen, Tochter Alexa die Finanzen, Kreuzfahrt-Chef Pierfrancesco Vago ist der Schwiegersohn, die Schwiegertochter Ela leitet die Cargo-Schiffe, und Gianluigi Apontes Gattin Rafaela entscheidet über die Inneneinrichtung der Schiffe.
Wegen des anhaltenden Kreuzfahrtbooms bestellte MSC Cruises zehn weitere Schiffe. Sie bieten je 5000 bis 7000 Passagieren Platz und werden bis 2027 ausgeliefert. Die Corona-Krise hat die Branche stark getroffen: Während fünf Monaten wurde die Schifffahrt komplett eingestellt. Mitte August 2020 nahm im Hafen von Genua mit der MSC Grandiosa das erste Schiff seinen Betrieb wieder auf, am 19. Oktober das zweite.
Seit Mitte August haben Sie wieder ein Schiff mit Passagieren auf See, vergangene Woche ist ein zweites gestartet. Wie geht das?
Wir haben ein 500-seitiges Sicherheitskonzept entwickelt. Der wichtigste Pfeiler: das Testen von jeder Person an Bord! Unsere Crew-Mitglieder müssen sich dreimal testen lassen: vor der Abreise in ihrer Heimat, beim Einschiffen, dann müssen sie 14 Tage in Quarantäne, und erst nach dem dritten Test dürfen sie mit der Arbeit beginnen.
Und die Passagiere?
Wir machen bei jedem einen Antigen-Test. Wenn jemand positiv getestet wird, machen wir den klassischen PCR-Test. Ich halte das Testen für die wichtigste Massnahme überhaupt, damit unsere Welt wieder in eine Art Normalzustand kommt. Sobald das Testen einfacher wird, etwa über die Atmung, und schnell Resultate vorliegen, können Sie sehr häufig testen und jeden, der vom Virus betroffen ist, schneller und effizienter identifizieren, sodass er nicht mit den anderen Gästen an Bord gehen kann.
Wie funktionieren die Landgänge?
Wir organisieren Ausflüge, bei denen die Passagiere in ihrer Gruppe bleiben und so – wie in einer Blase – unter dem Schutz der gleichen Massnahmen wie an Bord stehen. Wir stellen sicher, dass jeder Ort, der besucht wird, jede Person, die mit den Gästen in Kontakt kommt, während sie an Land sind, die gleichen strikten Massnahmen einhält, die auch an Bord gelten. Hier sind wir sehr streng: Wenn jemand die Gruppe verlässt, darf er nicht mehr zurück aufs Schiff. Kürzlich besuchte jemand Freunde in einer Stadt. Wir holten das Gepäck von Bord und organisierten die Rückreise.
So abgeschottet zu reisen ist unattraktiv.
Es ist heute auch nicht gleich lustig, in eine Bar zu gehen. Wir leben in einer neuen Welt! So ist es nun mal. Die Psychologie ist ebenso wichtig: Die Leute sollen sich beim Reisen wohlfühlen.
Apropos Psychologie: Derzeit boomen abgelegene Ferienhäuser. Kommen die Touristen wirklich zurück auf ein Schiff mit Tausenden anderen Menschen?
Schiffsreisen faszinieren die Menschen. Einige werden sich aber an das Schiff in Yokahama erinnern, auf dem zu Beginn der Krise Passagiere an Covid-19 starben, und die Behörden niemandem erlaubten, das Schiff zu verlassen.
Können Sie garantieren, dass Ihre Schiffe auch mit Covid-19-Fällen an Bord anlegen dürfen?
100 Prozent! Zurzeit läuft das eine Schiff, das wir wieder in Betrieb haben, hauptsächlich italienische Häfen an. Deshalb besprach ich unser Schutzkonzept mit der italienischen Regierung, mit dem Transportministerium, mit dem Gesundheitsministerium, ich ging in Genua zu den Hafenbehörden und zum Bürgermeister. Ich habe die Zustimmung von allen. Das Gleiche gilt für Malta, Griechenland und überall, wo unsere Schiffe fahren.
Was passiert, wenn Sie einen Fall an Bord haben?
Eine infizierte Person wird in einer mit speziellen Luftfiltern ausgestatteten Kabine isoliert. Und weil alle an Bord ein Armband mit Sensor tragen, wissen wir, mit wem sie Kontakt hatte. Alle direkten Kontakte kommen in Quarantäne. Im Heimathafen habe ich eine eigene gesundheitsbezogene Struktur, sodass keine Behörde sagen kann, sie nehme den Patienten nicht auf, weil die Kapazitäten fehlten.
Können Sie so überhaupt kostendeckend fahren?
Nein, im Moment sind die Fahrten ein Verlustgeschäft. Jetzt geht es darum, dass wir die Kreuzfahrt wieder aufleben lassen. Die Passagiere, die bisher an Bord gingen, waren glücklich! Einige fragten mich, warum ihre Regierung sie nicht gleich gut schützen könne wie wir auf dem Schiff. Wir hatten bereits wieder 16’000 Passagiere.
Wie viele mussten Sie beim Boarding abweisen?
Etwa 100 Personen wurde wegen ihres Gesundheitszustands die Einschiffung verweigert, etwa wegen ihrer Temperatur, ihrer medizinischen Informationen oder Verletzung der neuen Gesundheitsvorschriften an Bord. Manche von ihnen wurden positiv getestet.
Ist Ihr Unternehmen stabil genug, um die Krise zu überleben?
Ja, die MSC Gruppe ist ein Schifffahrtskonglomerat: Kreuzfahrten sind ein kleiner Teil, wir betreiben auch Cargo-Schiffe, Fähren, Häfen und Logistik. Die Gruppe als Ganzes verdient gut, die einzelnen Bereiche helfen einander. Als Familienunternehmen sind wir weder börsenkotiert, noch schauen wir auf die Quartalszahlen. Vor 50 Jahren startete mein Schwiegervater bei null. Seither haben wir uns nie auch nur einen Franken Dividende ausbezahlt, sondern immer den gesamten Gewinn ins Unternehmen investiert.
Was sind die Nachteile eines Familienunternehmens?
Dass die Verwaltungsratssitzungen zu Hause beim Nachtessen stattfinden (lacht).
Was bringt die Zukunft?
Ich erwarte einen schwierigen Herbst und eine Stabilisierung ab Dezember. Leichter verfügbare Tests werden eine gewisse Normalisierung bringen, 2021 wird vermutlich die Impfung erhältlich sein, 2022 zumindest in der westlichen Welt wieder vieles so sein wie vor der Krise.
Sie sind in den letzten Jahren stark gewachsen und haben zehn weitere Schiffe bestellt, die bis 2027 ausgeliefert werden sollen. Werden Sie die wie geplant übernehmen?
Ja, denn die Nachfrage wird zurückkommen. Glücklicherweise haben wir darunter vier Luxusschiffe: Nach der Pandemie wird mehr Platz und mehr Privatsphäre bei einem bestimmten Gästetyp noch mehr gefragt sein. Heute unternehmen erst rund zwei Prozent der europäischen Bevölkerung eine Kreuzfahrt. Da liegt noch viel Potenzial.
Kreuzfahrten verursachen einen hohen CO2-Ausstoss und gelten als Umweltsünde. Sie haben ein Image-Problem!
Unsere Branche hat ein schlechtes Image, weil es viele alte Schiffe gab, die Schweröl verbrennen und die das Wasser nicht recyceln. Heute ist Umweltschutz der Schlüssel für die Zukunft der Kreuzfahrtschiffe und des Tourismus allgemein. Jedes unserer Schiffe kostet eine Milliarde Franken und wird auf 30 Jahre abgeschrieben. Damit kaufe ich die Technologie der Zukunft: Bei uns geht kein Tropfen Wasser über Bord, alles wird wiederverwertet. Die MSC World Europa wird im Oktober 2022 geliefert und mit LNG betrieben, einem verflüssigten Erdgas.
Auch Gas verursacht CO2.
Biologisches LNG hat eine neutrale CO2-Bilanz, weil es mit Solarenergie hergestellt wird. In der Zukunft ist auch Wasserstoffantrieb ein Thema. Das Ziel ist null negative Auswirkungen auf die Umwelt!
Ein weiteres Problem der Kreuzfahrten: Sie gelten als überaltert.
Völlig falsch! Unser Passagier ist im Durchschnitt 43 Jahre alt. Auch immer mehr Familien entdecken, wie praktisch es ist, das gleiche Hotelzimmer für die ganze Woche zu haben, aber jeden Tag eine andere Stadt zu besuchen.
Machen das die Städte noch mit, wo sie gerade entdeckten, wie angenehm es ist, wenn sie nicht von Tagestouristen überschwemmt werden?
Wir wollen die Städte nicht überschwemmen, sondern ihnen Wertschöpfung bringen. Venedig hat 30 Millionen Besucher pro Jahr. Die Kreuzfahrt bringt davon bloss eine Million. Diese aber tätigen zwei Drittel aller Ausgaben von Touristen: Sie wohnen ein paar Tage vor der Einschiffung in einem Hotel, nehmen ein Wassertaxi, kaufen Souvenirs. Durchschnittlich gibt ein Passagier 150 Euro pro Tag aus.
In Venedig gibt es Proteste gegen die Kreuzfahrtschiffe, die durch die Lagune fahren.
Das stimmt, aber heutzutage gibt es Demonstrationen, die die Schiffe dringend zurückfordern. Die Kreuzfahrtindustrie hat nie den Wunsch geäussert, vor dem Markusplatz durchzufahren. Es gibt etwas ausserhalb den Industriehafen Maghera für Frachtschiffe und Öltanker. Wir möchten gerne dort anlegen, aber die Behörden warten nach vielen Jahren mit ihrer Entscheidung immer noch zu.
Was läuft schief?
Wir werden als Schuldige hingestellt. Aber in Wirklichkeit sind wir Gefangene des Entscheidungsmangels anderer. Wir können die neue Route nur fahren, wenn die Behörden dies genehmigen – sonst sitzen wir in der alten fest.
Die Schiffe werden immer grösser. Wann ist das Maximum erreicht?
Grössere Schiffe bedeuten mehr Attraktionen an Bord und mehr Platz für alle. Unsere grössten Schiffe fassen knapp 7000 Passagiere. Mehr geht wegen der Häfen kaum. Die Schiffe können zwar noch etwas breiter und höher werden, aber nicht länger.
Welches ist Ihre Lieblingsroute?
Ich habe keine Lieblingsroute, ich liebe das Meer als Ganzes.
Bestimmt noch immer Ihre Schwiegermutter das Design auf den Schiffen?
Wir haben natürlich Innenarchitekten, und wenn wir ein Pub planen, so muss es wie ein englisches Pub aussehen. Aber tatsächlich hat meine Schwiegermutter die grossartige Gabe, Stil, Materialien und Qualität der MSC-Schiffe zu definieren – und da wählen wir immer die beste und nicht die günstigste Variante.
Werden Ihre Kinder eines Tages in die Firma einsteigen?
Mein Schwager hat drei wundervolle Kinder, ich habe zwei – und wissen Sie was? Alle fünf sind total fasziniert von der Schifffahrt! Aber nicht nur innerhalb der Familie: Auch viele Kinder unserer Top-Manager identifizieren sich sehr stark mit dem Unternehmen. Die nächste Generation ist gesichert.
Es ist ja eigentlich ein Zufall, dass MSC den Sitz in der Schweiz hat ...
… es ist sehr einfach: Frau Aponte ist in der Schweiz geboren, und Herr Aponte, der Firmengründer, ist aus Italien nach Genf gekommen und hat Frau Aponte geheiratet (lacht). Er arbeitete anfangs bei einer Bank, dann zog es ihn zur Schifffahrt. Er leihte sich Geld und startete die Firma vor 50 Jahren. Wir sind also eine richtige Schweizer Unternehmung. Aber eine mit internationaler Ausrichtung, weil wir Mitarbeiter aus der ganzen Welt beschäftigen.
Ist es nicht irgendwie ironisch, dass Sie in einem Land ohne Meeranstoss sind?
Ja, und vielleicht hat die Schweiz deshalb nie richtig verstanden, welch grosse Chance die Schifffahrt für die Wirtschaft haben könnte. Wir haben viele Schweizer Zulieferer: von der ABB-Technik über die Luxusshops bis zum Genfer Wein in den Restaurants. Die Schweiz könnte ein Zentrum für die Schifffahrt werden.
Pierfrancesco Vago (59) ist seit 2013 der Executive Chairman der MSC Cruises. Die Genfer Reederei ist die viertgrösste Kreuzfahrt-Anbieterin der Welt. Sie beschäftigt 30’500 Angestellte in 69 Ländern, besitzt 17 Schiffe – und ist ein Familienunternehmen. Pierfrancesco Vago wuchs in Italien auf, studierte Wirtschaft in Cambridge und arbeitet seit 2000 für MSC. Seine Frau und er haben eine Tochter und einen Sohn im Teenageralter.
Pierfrancesco Vago (59) ist seit 2013 der Executive Chairman der MSC Cruises. Die Genfer Reederei ist die viertgrösste Kreuzfahrt-Anbieterin der Welt. Sie beschäftigt 30’500 Angestellte in 69 Ländern, besitzt 17 Schiffe – und ist ein Familienunternehmen. Pierfrancesco Vago wuchs in Italien auf, studierte Wirtschaft in Cambridge und arbeitet seit 2000 für MSC. Seine Frau und er haben eine Tochter und einen Sohn im Teenageralter.