Was heisst «Inventurdifferenz» auf Französisch?
Ferdinand Hirsig: Différence des inventaires.
Nah dran, différence d’inventaire wäre korrekt. St. Galler Bratwurst enfrançais?
Die heisst auch auf Französisch so. Sonst ist es keine.
Nun ja, in den Volg-Prospekten wird sie als «saucisse à rôtir de Saint-Gall» ausgelobt. Letzte Franz-Vokabel: Dorfkönig?
Le roi du village.
Très bien. Wir prüfen Ihre Sprachkompetenz, weil Volg nach der Deutschschweiz auch in der Romandie zum Dorfkönig werden will. Ist le Volg ein Erfolg?
Wir sind gut unterwegs. Zurzeit ist Volg in der Romandie und im Wallis mit rund fünfzig Läden vertreten.
Beim Romandie-Start Ende 2011 lautete das Ziel aber: 70 Läden bis 2015.
Wie so oft im Geschäftsleben dauert alles ein wenig länger. Der leichte Rückstand schockiert mich nicht, wir haben keinen Druck.
Warum dauert alles länger?
Weil wir nicht genügend geeignete Läden fanden, die sich für eine Übernahme gelohnt hätten. Man kann immer kurzfristig nur auf den Umsatz fokussieren. Aber wenn man sieht, dass man mittelfristig auf keinen grünen Zweig kommt, dann lassen wir das lieber bleiben.
Übernehmen Sie nur Läden oder bauen Sie auch neue?
Wir machen beides. Aber stets im Mietverhältnis. Was uns Mut macht: Bei Wohnbauprojekten werden wir oft angefragt für den Betrieb eines Ladens im Erdgeschoss. Das zeigt, dass man uns mittlerweile auch in der Westschweiz kennt.
Wie lautet denn nun das revidierte Ziel?
Wir führen eine «Weisse-Flecken-Liste», daraus sollten pro Jahr fünf bis sechs neue Standorte entstehen.
Sodass le Volg dann im Jahr 2022 die Marke erreicht, die einst für 2015 anvisiert war?
Der Dorfkönig der Romandie sind wir noch nicht. Aber wie in der Deutschschweiz oft noch der einzige Laden im Dorf. Was mir wichtig ist: Wir haben in der Westschweiz mittlerweile Fuss gefasst und werden akzeptiert. Davor hatten wir Respekt und passten deshalb auch unsere Sortimente entsprechend an.
Im VolgOberhasli liegt der Fokus eher auf Elmer-Citro, im Volg du Landeron herrscht mehr Weisswein-Warendruck?
Ganz so simpel ist es natürlich nicht. Aber natürlich fängt es beim Wein an. Spezialitäten aus der Deutschschweiz kann man in der Romandie nicht verkaufen. Ausländische Weine sind auch schwierig. Man ist in der Westschweiz eher aufs eigene Terroir fokussiert: Walliser kaufen Walliser Wein, im Lavaux wünscht man sich einen guten Tropfen aus dem Lavaux und so weiter. Fleisch und Charcuterie funktioniert auch anders. Vor allem bei der Verpackung: Romands mögen Pastellfarben. Nicht zu vergessen die Molkerei: Mehr Weichkäse als Hartkäse. Und französische Marken wie Danone sind stärker gefragt als beispielsweise Emmi. Der Rest funktioniert ähnlich wie in der Deutschschweiz.
Und der Durchschnittseinkauf ist ebenso tief wie hier? Sie haben ihn mal mit 17 Franken beziffert und hinzugesetzt: «Dreimal nichts.»
In der Romandie sind es sogar nur 16 Franken. Aber dort wie hier gilt: Auch dreimal nichts jeden Tag gibt Geld.
Ein so tiefer Durchschnitts-Bon zeigt doch vor allem eines: Der Dorfbewohner macht den Grosseinkauf bei Migros und Coop, beim Discounter und im Ausland. Im Volg holt er sich am Samstag kurz vor Ladenschluss noch das wenige, das er vergessen hat. Zufrieden damit?
Wenn das so wäre, gäbe es uns nicht mehr. Was Ihrer These schon mal widerspricht: Montag ist unser stärkster Tag.
Auf dem Land kommen die gleichen Kunden oft täglich mehrmals in den Laden. Trotzdem: 17 Franken ist sehr wenig.
Der tiefe Kundenfranken hat auch einen Vorteil für uns: Für ein Päckli Marlboro, ein Joghurt und ein Sandwich fahren die Leute nicht ins Ausland. Selbst in grenznahen Läden spüren wir den Einkaufstourismus kaum.
In einer Ära, die von Effizienz und Zeitmangel geprägt ist, erstaunt es, dass die Dorfbewohner so viel Zeit im Volg verbringen. Haben sie nichts Besseres zu tun?
Das haben sie sicher. Aber dank der Nähe der Volg-Läden zu ihren Kunden können diese direkt im Wohnort und damit zeitsparend einkaufen. Die verlängerten Öffnungszeiten begünstigen diesen Trend. Das zeigt sich zum Beispiel beim Brot. Wenn der Laden früher um 18.30 Uhr schloss, kauften die Kunden ihr Brot für den Abend schon am Morgen ein. Heute kommen sie zusätzlich am Abend vorbei und holen sich ein frisches Brot. Und dann sollten Sie noch etwas wissen, Herr Güntert.
Was denn?
Die Schweiz ist nicht Zürich. Wenn Sie auch nur eine Viertelstunde aus der Stadt hinausfahren, sieht die Welt schon ganz anders aus. Weniger gehetzt, mehr Leute, die über Mittag zu Hause essen, mehr junge Familien. Man spaziert zum Laden, trifft Bekannte, kauft ein.
Eigentlich erstaunlich, dass Sie mit Volg nicht in die Städte gehen. Dort ist man vernarrt ins Landleben. Man chillt im Schrebergarten, lässt sich vom Bauernhof beliefern, liest «Landliebe» und züchtet Balkon-Tomaten. Warum vernachlässigen Sie dieses Traumrevier so sträflich?
Können Sie sich einen Volg am Zürcher Paradeplatz vorstellen? Ich mir nicht. Das wäre etwa so passend wie ein Prada-Shop im Muotatal.
Lidl macht keine 300 Meter entfernt vom Paradeplatz gute Geschäfte.
Lidl ist viel urbaner als wir. Volg ist ein Dorfladen-Konzept. Ein Volg mitten in Zürich wäre vielleicht spannend für japanische Touristen. Aber kaum für die Städter selber. Kommt hinzu: Stadt-Mieten können wir uns nicht leisten.
Wo kann Volg denn noch wachsen in der Deutschschweiz?
In vielen Gegenden. Etwas weniger in der Ostschweiz, weil wir hier praktisch in jedem Dorf schon einen Laden haben. Aber zum Beispiel im Raum Solothurn oder im Kanton Bern gibt es noch einige Möglichkeiten.
Seit Mai 2017 bietet Volg einen Online-Lieferservice. Wir hören von fünfzig bis sechzig Bestellungen monatlich. Fünfmal nichts.
Ich sage eher: Auf tiefem Niveau erfolgreich.
Berauschend klingt die Performance vom Dorfladen im Cyberspace nicht gerade.
Wir haben damit begonnen, weil wir lernen wollen. Ja, wir sind klein. Aber klein muss nicht doof heissen. Für unseren Online-Shop haben wir einen eigenen Ansatz gewählt. Die Auslieferung erfolgt nicht über eine Verteilzentrale, sondern geschieht in unseren Läden. Ende 2019 ziehen wir ein Fazit. Dass es finanziell nichts bringt, wissen wir heute schon. Aber finanziell bringt die Online-Sache auch anderen Online-Lebensmittel-Shops nichts.
Warum wissen Sie heute schon, dass Sie das Online-Geschäft nie profitabel betreiben werden können?
Das Hauptproblem ist die letzte Meile. Bei frischen Lebensmitteln muss man eine stabile Kühlkette hinbringen – und das ist nun einmal sehr teuer. Volgshop.ch hat eigentlich einen einzigen strategischen Aspekt: Wir wollen von der allgemeinen Entwicklung nicht abgehängt werden. Wir wollen lernen. In einer Low-Budget-Version. Unser Online-Kernteam besteht aus drei Mitarbeitenden.
Was sind die bisherigen Learnings?
Das wichtigste: Es funktioniert. Zweites Learning: Die Mitarbeitenden in den Läden sind in der Lage, neben dem eigentlichen Tagesgeschäft auch noch die bestellten Artikel zusammenzustellen. So wird auch sichergestellt, dass die Online-Umsätze im Laden bleiben, es gibt also keine Kluft zwischen offline und online.
Learning drei: Wenn Ihre Angestellten in den Läden Zeit haben, Online-Aufträge zu rüsten, waren sie bisher unterbeschäftigt.
Falsch. Unsere Leute vor Ort sind ausgelastet. Ein Haupt-Learning könnte Ende 2019 aber auch sein: Wir haben es probiert. Doch es besteht kein Bedarf.
Was ordert der Dörfler bei Volgshop.ch?
Das Leader-Produkt ist ganz klar die Banane. Gefolgt von Tomaten, Landbrot und Cognac-Steaks. Wir bedienen aber nur die ländliche Deutschschweiz ohne Städte und ohne Romandie. Dies mit zwei Optionen: Entweder Heimlieferung per Post oder «Click&Collect» im Laden. Das wird gut genutzt und bietet eine Upselling-Chance: Wer seine Online-Bestellung im Laden abholt, nimmt oft etwas Zusätzliches mit. Zum Beispiel ein Brot.
Lässt sich denn die ländliche Generation Y und Z überhaupt noch im Laden blicken? Oder schauen nur Kranke und Alte vorbei?
Schon wieder einer, der Volg in die Geriatrieabteilung des Detailhandels schieben will! Dagegen wehre ich mich vehement. Junge Familien etwa spielen eine wichtige Rolle in unserer Kundschaft. Teenager hingegen fehlen uns. Es bringt nichts, sich um dieses Segment zu bemühen. Sie finden uns nun mal nicht sexy. Aber sie gründen irgendwann eine Familie – und kommen wieder zu uns.
Bio-Produkte werden sie aber nicht finden. Warum verschläft Volg den Trend?
Wir schlafen nicht. Aber wir haben nun einmal eine ganz spezielle Ausrichtung: Produkte für den täglichen Bedarf. Unsere Läden sind im Schnitt 170 Quadratmeter gross, da ist nicht viel Platz, um rund 3500 verschiedene Artikel unterzubringen. Bio-Produkte können wir daher höchstens in grösseren Läden anbieten. Kommt dazu: Bio hat zwar einen gewissen Marktanteil in der Schweiz. Aber er wächst nicht.
Das hören wir von den Grossverteilern aber anders.
Es kommt drauf an, wie man zählt. Wenn man die Euro-Variante der Migros, die Marke Alnatura dazuzählt, dann wächst der Markt. Ich aber beziehe mich beim Stichwort Bio auf den Knospen-Kernmarkt, der vor allem von Coop beherrscht wird. Riesiges Wachstum ist da nicht drin. Würden wir das Thema kompetent spielen wollen, müsste ich ein paar Laufmeter frei machen im Laden. Dann muss ich vielleicht das Erdbeer-Joghurt entfernen, das unsere Kunden lieben und vermissen würden.
Ende 2017 sagte der abtretende Migros-Chef Herbert Bolliger, dass Bio nur eine Nische und keine effiziente Methode sei, um die Menschheit zu ernähren. Was sagt der Dorfkönig?
Ich bin kein Landwirtschaftsexperte.
Aber Topmanager im Bauernkonzern.
Herr Bolliger hat insofern recht, als man kaum die ganze Schweiz nur mit Bio-Produkten ernähren könnte. Weil uns der Boden fehlt dafür. Was dazukommt: Bio-Produkte sind teurer als solche aus konventioneller Produktion. Das kann und will sich nicht jede und jeder leisten.
Von Ihnen heisst es, dass Ihre Lieblingsmusik die Kassenmusik sei. Da müssten Sie doch höhere Preise für Bio-Produkte lieben.
Das mit der Musik stimmt. Der andere Teil nicht. Weil er reinem Umsatzdenken entspringt. Wenn die Einstandspreise auch höher sind, schaut unter dem Strich nicht mehr raus. Vergessen Sie nie: Der Umsatz ist nur ein Satz. Das wirklich interessante Satzzeichen jedoch ist die Marge.
Die für Volg wichtigen Jungfamilien, in Birkenstocks unterwegs, tätowiert und vegan kalibriert, wollen doch Bio-Produkte.
Die meisten, die so aussehen, wohnen in Zürich. Und falls die eventuell Insekten-Food mögen sollten – auch gut. Aber bei uns ist das kein Thema.
Wie ist Volg in diesem Jahr unterwegs?
Ziemlich gut. Wir haben im ersten Halbjahr ein Umsatzwachstum von rund 2 Prozent erzielt.
2018 brachte Wetterextreme. Zunächst die Russenpeitsche, dann die Hitzewelle. Wie beeinflusst das Ihren Geschäftsgang?
Hitze ist Volg-Wetter. Glatteis auch. Heiss ist gut, weil unsere Kunden dann keine Lust haben, ins Shopping-Center zu reisen. Sie holen ihre Grill-Koteletts lieber im nahe gelegenen Volg. Ab einem Meter Schnee und Glatteis spielt ein ähnlicher Effekt: Man mag nicht weit fahren mit dem Auto, sondern kauft in der Nähe ein. Ich bin jedenfalls momentan froh, dass ich nicht Chef eines Einkaufszentrums bin. Wobei: Als Volg muss man das Wetter auch richtig managen können.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
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