Industrie in der Krise
Freier Fall im Blindflug

Wohin die Schweizer Industrie genau steuert, ist ungewiss. Klar ist nur, die Lage ist ernst, für viele Unternehmen gar bedrohlich, wie eine Umfrage von Swissmem zeigt.
Publiziert: 26.05.2020 um 17:59 Uhr
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Aktualisiert: 26.08.2020 um 07:18 Uhr
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Wo die Reise der Schweizer Industrie hingeht, ist ungewiss.
Foto: PD
Christian Kolbe

«Wir wissen es nicht», ist ein Satz, den man von Topmanagern selten hört. Und doch war er an der Medienkonferenz von Swissmem, dem Branchenverband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, mehrfach zu hören. Sowohl Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher (52) als auch Verbandspräsident Hans Hess (65) äusserten ihn. Hess sagte sogar: «Wie wissen noch nicht einmal, wie tief der Abschwung sein wird.»

Eine Branche im Blindflug – entsprechend gross ist der Pessimismus der Industriefirmen: 72 Prozent befürchten, einen Verlust zu machen oder so wenig Geld zu verdienen, dass es für Investitionen in die Zukunft der Firma nicht reicht. Dass also die Mittel für Forschung und Entwicklung fehlen, wie eine Umfrage von Swissmem zeigt.

Düstere Aussichten

Dabei stehen die Zeichen eh schon auf Sturm: Der Umsatz der gesamten Industrie ist schon 2019 gefallen, ein Trend, der sich im ersten Quartal 2020 weiter verschärft hat. Das gleiche Bild bei den Auftragsbeständen: Neue Aufträge kommen nur wenige rein, zudem wurden während des Lockdowns auch noch bestehende Aufträge storniert. Das Ergebnis: Die Kapazitätsauslastung lag im April über die ganze Industrie gesehen bei noch rund 80 Prozent.

Besserung ist nicht in Sicht. Der sogenannte Einkaufsmanagerindex (PMI) in der Industrie ist wegen der Corona-Pandemie fast weltweit auf ein historisches Tief gefallen. Schlechte Nachricht für all die Firmen in der Schweiz, denn die Industrie exportiert rund 80 Prozent ihrer Produkte ins Ausland. Wenn die Einkaufsmanager grosser Industriefirmen rund um den Globus nicht auf Shoppingtour gehen, dann trifft das die Schweizer Zulieferer hart.

Jetzt droht eine Entlassungswelle

Eine Branche im freien Fall – das kann nichts Gutes für die Arbeitsplätze bedeuten. Im Moment verhindern Kurzarbeit und Corona-Kredite eine Abbau- und Pleitewelle. Doch das dürfte so nicht bleiben. «Ein Personalabbau ist unumgänglich», sagt Swissmem-Präsident Hess. In welchem Rahmen? «Wir wissen es einfach nicht», sagt Direktor Brupbacher. Mit Verweis auf die Finanzkrise gibt er aber einen Hinweis, wie gross die Welle sein könnte, die gerade auf die Industrie und ihre Angestellten zurollt: «Zwischen 2008 und 2010 gingen über 20'000 Jobs verloren.»

Den Beschäftigungsrückgang konnte die Industrie erst vor wenigen Jahren umkehren, und bereits stehen die Folgen der Corona-Krise vor der Tür! Deshalb will Swissmem nun Taten von der Politik sehen. Die Industriezölle sollen schon auf Januar 2021 abgeschafft werden. Die brächte den Firmen eine Entlastung um 125 Millionen Franken und weniger Bürokratie.

Parlament muss zustimmen

Zudem sollen die Bezugsdauer der Kurzarbeitsentschädigung auf 18 Monate und die Frist für die Einreichung der Corona-Kreditgesuche bis Ende 2020 verlängert werden. Denn der Anteil der Industrie an der Summe der ausgezahlten Kredite liegt erst bei rund 10 Prozent.

Noch sind die meisten Firmen liquide, doch könnte sich dies bald ändern. Allerdings kosten all diese Forderungen viel Geld. Ob das Parlament in der nächsten Session nochmals so in Spendierlaune ist wie in der Corona-Sondersession im Mai, das muss sich erst weisen.


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