Foto: Thomas Meier

Immer mehr Väter erziehen allein zuhaus – Arbeitgeber unterstützen das Modell
«Ich sagte meinen Kindern: Wir schaffen das»

Tiziano Snozzi ist geschieden, alleinerziehender Vater von zwei Kindern und arbeitet Vollzeit. Wie der 48-Jährige Beruf und Familie unter einen Hut bringt, erzählt er BLICK.
Publiziert: 04.12.2019 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2019 um 11:20 Uhr
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Tiziano Snozzi und seine Kinder Lion und Nayla gehen zusammen durch dick und dünn.
Foto: Thomas Meier
Sven Zaugg

Nach der Trennung von seiner Frau gab es für Tiziano Snozzi (48) keine Alternative. Die Kinder Lion (12) und Nayla (9) wollten beim Papi bleiben. Für Snozzi, der sagt, dass er mit Leib und Seele Vater sei, war schnell klar: «Ich übernehme Verantwortung!» Aber wie bringt ein Vater, der Vollzeit als Projektleiter bei einer grossen Firma arbeitet, Familie und Beruf unter einen Hut?

Snozzi suchte nach familienverträglichen Lösungen mit der Schule, der Gemeinde und seinem Arbeitgeber und bat Familie und Freunde um Unterstützung. Gibt es einen Mittagstisch, welche Unterstützung bietet die Gemeinde, wie flexibel zeigt sich der Arbeitgeber? Snozzi machte sich schnell schlau.

Kinder helfen mit

Vor allem seitens seines Arbeitgebers erhielt Snozzi viel Unterstützung. «Ich konnte meine Arbeit flexibler gestalten, sogar Home-Office-Tage einschieben», sagt Snozzi. «Die Kinder geben Takt und Tempo vor, da muss man sich anpassen.» An zwei Tagen die Woche kommt Snozzi nach Hause, kocht für Lion und Nayla. Die restlichen Mittage schaut eine Tagesmutter nach dem Rechten.

«Auch die Kinder müssen mithelfen und selbständiger werden», sagt Snozzi. «Ich habe Lion und Nayla gesagt: Jetzt müssen wir ein Team werden. Ohne euch geht es nicht.» Die Kinder lächeln verschmitzt. «Wir müssen unsere Ämtli machen, aber die sind nicht so schlimm», sagt Lion. Ohne die Mithilfe meiner Kinder würde es nicht gehen, ergänzt Snozzi.

«Wir merken schon, dass Papi viel zu tun hat. Manchmal vergisst er, den Salat zu rüsten», meint Nayla, während die ganze Familie im Gespräch mit BLICK am Mittagstisch Papas Ghackets mit Hörnli‎ geniesst.

«Ich will Vater sein»

Es gibt Zeiten, da fühlt sich Snozzi als Aussenseiter. Denn alleinerziehende Väter sind noch immer eine Minderheit in der Schweiz, auch wenn deren Zahl in den vergangenen Jahren auf tiefem Niveau stetig steigt. Für Snozzi ein klares Indiz dafür, dass traditionelle Rollenbilder in der hiesigen Gesellschaft immer noch dominieren. Er plädiert dafür, dass diese verkrusteten Muster endlich aufgebrochen werden. «Wir leben doch nicht mehr im 19. Jahrhundert!»

«Nach einer Scheidung bleiben die meisten Kinder bei der Mutter, und der Vater zahlt», sagt Snozzi. Das ist kaum verwunderlich, denn noch immer verdienen Männer mehr als Frauen. «Ich aber wollte nie nur der Geldlieferant in der Familie sein. Ich will meine Kinder erziehen, Zeit mit ihnen verbringen.»

Snozzi nimmt dabei nicht nur den Staat in die Pflicht, der dafür sorgen müsse, dass das Versprechen der Lohngleichheit endlich umgesetzt werde. «Letztlich liegt es auch an den Unternehmen, mehr familienfreundliche Jobs zu schaffen und sich für alleinerziehende Väter einzusetzen.» Alleinerziehende, Väter wie Mütter, brauchten flexiblere Möglichkeiten, die Familie zu organisieren.

Als Team zusammengewachsen

Lion und Nayla sind froh, dass der Vater Zeit für sie hat, obwohl er von Montag bis Freitag arbeitet. «Papi schaut mit uns die Hausaufgaben an, und am Wochenende machen wir meistens schöne Sachen», sagt Nayla. «Selten kann es auch sein, dass wir einen Mittag alleine sind», ergänzt Lion. Dann habe Papi aber bereits vorgekocht. «Hörnli und Ghackets aufwärmen ist ja kein Problem», sagt Lion.

Snozzi ist sichtlich stolz, dass seine Kinder Verantwortung übernehmen, dass man als Team zusammengewachsen sei. «Wir schaffen das schon! Gälled, Chind?»

Immer mehr alleinerziehende Väter

In der Schweiz sind alleinerziehende Väter wie Tiziano Snozzi eine Minderheit. Das zeigen aktuelle Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS). Im Jahr 2010 waren 10'460 Haushalte mit einem allein lebenden Vater und mindestens einem Kind unter 18 Jahren gemeldet. Bis 2017 stieg die Zahl auf 15’239. Im Gegensatz dazu waren 92'021 Haushalte mit einer allein lebenden Mutter und mindestens einem Kind unter 18 Jahren gemeldet. Insgesamt zählt das BfS 1'268'006 Haushalte mit einer allein lebenden Mutter oder einem allein lebenden Vater und mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren. Das entspricht einer Zunahme von knapp 7,2 Prozent seit 2010.

In der Schweiz sind alleinerziehende Väter wie Tiziano Snozzi eine Minderheit. Das zeigen aktuelle Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS). Im Jahr 2010 waren 10'460 Haushalte mit einem allein lebenden Vater und mindestens einem Kind unter 18 Jahren gemeldet. Bis 2017 stieg die Zahl auf 15’239. Im Gegensatz dazu waren 92'021 Haushalte mit einer allein lebenden Mutter und mindestens einem Kind unter 18 Jahren gemeldet. Insgesamt zählt das BfS 1'268'006 Haushalte mit einer allein lebenden Mutter oder einem allein lebenden Vater und mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren. Das entspricht einer Zunahme von knapp 7,2 Prozent seit 2010.

18 Wochen Eltern-Urlaub bei Nestlé

Zwei Grosskonzerne preschen vor: Nestlé führt ab 2020 die genderneutrale Elternauszeit ein. Die Hauptbetreuungsperson – egal, ob Vater oder Mutter – bekommt neu 18 Wochen voll bezahlte Elternzeit. In der Schweiz gewährt Nestlé aktuell 16 Wochen. Die Richtlinie gilt auch für adoptierte Kinder oder Pflegekinder. Die Zweitperson kann sich neu mindestens vier Wochen Zeit nehmen, um das Kind zu betreuen. Hierzulande zahlt das Unternehmen bislang fünf Tage für junge Väter. 2022 will Nestlé den Wechsel weg vom bezahlten Mutter- oder Vaterschaftsurlaub weltweit umgesetzt haben, verspricht das Unternehmen. In der Schweiz arbeiten 9600 Mitarbeitende für den Lebensmittelriesen.

In der Praxis genderneutral ist auch Pharmakonzern Novartis. Väter können sich 18 Wochen voll bezahlt ihrem Nachwuchs widmen. Selbst, wenn sie nicht Hauptbetreuer sind. Mütter haben den gleichen Anspruch. - Julia Fritsche

Zwei Grosskonzerne preschen vor: Nestlé führt ab 2020 die genderneutrale Elternauszeit ein. Die Hauptbetreuungsperson – egal, ob Vater oder Mutter – bekommt neu 18 Wochen voll bezahlte Elternzeit. In der Schweiz gewährt Nestlé aktuell 16 Wochen. Die Richtlinie gilt auch für adoptierte Kinder oder Pflegekinder. Die Zweitperson kann sich neu mindestens vier Wochen Zeit nehmen, um das Kind zu betreuen. Hierzulande zahlt das Unternehmen bislang fünf Tage für junge Väter. 2022 will Nestlé den Wechsel weg vom bezahlten Mutter- oder Vaterschaftsurlaub weltweit umgesetzt haben, verspricht das Unternehmen. In der Schweiz arbeiten 9600 Mitarbeitende für den Lebensmittelriesen.

In der Praxis genderneutral ist auch Pharmakonzern Novartis. Väter können sich 18 Wochen voll bezahlt ihrem Nachwuchs widmen. Selbst, wenn sie nicht Hauptbetreuer sind. Mütter haben den gleichen Anspruch. - Julia Fritsche

«Väter sollen feste Betreuungszeiten übernehmen»

BLICK: In der Schweiz lebt nach einer Trennung der Eltern immer noch der grösste Teil der Kinder bei der Mutter. Woran liegt das?
Markus Gygli: Väter erhalten bis heute keinen Vaterschaftsurlaub, der ihnen ab der Geburt des Kindes die gleichen Chancen auf vergleichbar viel Zeit für den Nachwuchs gibt. Zudem werden Mütter, die nicht bei ihrem Nachwuchs bleiben wollen oder können, geächtet. Das führt dazu, dass sich Paare noch immer in einem traditionellen Rollenmodell organisieren. Nach der Trennung akzentuiert sich diese Ungleichheit.

Welchen Einfluss hat die berufliche Situation?
Väter, denen traditionell die Ernährerrolle zugeschrieben wird, haben Angst, sich die Karrierechancen zu verbauen, wenn sie ihr Arbeitspensum zugunsten der Kindesbetreuung reduzieren. Hier muss ein Umdenken stattfinden.

Seit 2014 gilt bei einer Trennung die gemeinsame elterliche Sorge. Was hat sich seither für die Väter getan?
Sowohl das revidierte Unterhalts- als auch das Sorgerecht sehen heute weitestgehend gleiche Regeln für Väter und Mütter vor. Gerichte sind verpflichtet, die geteilte Obhut durchzusetzen – in bestimmten Fällen sogar gegen den Willen eines Elternteils.

Wer trägt die grössere finanzielle Last?
Der Unterhalt orientiert sich neu am Aufwand für die Kindesbetreuung. Alimente für den Lebensunterhalt der Ex-Partnerin sind viel seltener geschuldet. Zudem muss der Elternteil, der für die Kinder sorgt, heute schneller für ein Einkommen sorgen.

Wie können sich Väter auf eine Trennung vorbereiten?
Wir raten den Vätern, unmittelbar nach der Geburt des Kindes feste Betreuungszeiten zu übernehmen. Mit allen Konsequenzen, wie etwa der Reduktion des Arbeitspensums. Im Privaten heisst dies nicht selten auch, gegen Vorurteile und Spott anzukämpfen.

Was muss geschehen, damit Mütter und Väter endlich gleichberechtigt sind?
Mütter und Väter brauchen endlich die gleichen Startbedingungen. Die Elternzeit muss gleichmässig verteilt sein. Es ist erwiesen, dass sich Männer, die sich in der wichtigen Anfangszeit schon engagieren, wichtige Kompetenzen für die Betreuung aneignen. Ausserdem wird die Mutterschaftsstrafe mit einer ausgewogenen Elternzeit abgeschafft, weil die Familiengründung für Väter und Mütter so eine gleich lange Abwesenheit vom Arbeitsmarkt bedeutet.

– Sven Zaugg

Markus Gygli (51), Präsident des Männer-Dachverbands.
Thomas Egli

BLICK: In der Schweiz lebt nach einer Trennung der Eltern immer noch der grösste Teil der Kinder bei der Mutter. Woran liegt das?
Markus Gygli: Väter erhalten bis heute keinen Vaterschaftsurlaub, der ihnen ab der Geburt des Kindes die gleichen Chancen auf vergleichbar viel Zeit für den Nachwuchs gibt. Zudem werden Mütter, die nicht bei ihrem Nachwuchs bleiben wollen oder können, geächtet. Das führt dazu, dass sich Paare noch immer in einem traditionellen Rollenmodell organisieren. Nach der Trennung akzentuiert sich diese Ungleichheit.

Welchen Einfluss hat die berufliche Situation?
Väter, denen traditionell die Ernährerrolle zugeschrieben wird, haben Angst, sich die Karrierechancen zu verbauen, wenn sie ihr Arbeitspensum zugunsten der Kindesbetreuung reduzieren. Hier muss ein Umdenken stattfinden.

Seit 2014 gilt bei einer Trennung die gemeinsame elterliche Sorge. Was hat sich seither für die Väter getan?
Sowohl das revidierte Unterhalts- als auch das Sorgerecht sehen heute weitestgehend gleiche Regeln für Väter und Mütter vor. Gerichte sind verpflichtet, die geteilte Obhut durchzusetzen – in bestimmten Fällen sogar gegen den Willen eines Elternteils.

Wer trägt die grössere finanzielle Last?
Der Unterhalt orientiert sich neu am Aufwand für die Kindesbetreuung. Alimente für den Lebensunterhalt der Ex-Partnerin sind viel seltener geschuldet. Zudem muss der Elternteil, der für die Kinder sorgt, heute schneller für ein Einkommen sorgen.

Wie können sich Väter auf eine Trennung vorbereiten?
Wir raten den Vätern, unmittelbar nach der Geburt des Kindes feste Betreuungszeiten zu übernehmen. Mit allen Konsequenzen, wie etwa der Reduktion des Arbeitspensums. Im Privaten heisst dies nicht selten auch, gegen Vorurteile und Spott anzukämpfen.

Was muss geschehen, damit Mütter und Väter endlich gleichberechtigt sind?
Mütter und Väter brauchen endlich die gleichen Startbedingungen. Die Elternzeit muss gleichmässig verteilt sein. Es ist erwiesen, dass sich Männer, die sich in der wichtigen Anfangszeit schon engagieren, wichtige Kompetenzen für die Betreuung aneignen. Ausserdem wird die Mutterschaftsstrafe mit einer ausgewogenen Elternzeit abgeschafft, weil die Familiengründung für Väter und Mütter so eine gleich lange Abwesenheit vom Arbeitsmarkt bedeutet.

– Sven Zaugg

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