Wo Schweiz draufsteht, soll auch Schweiz drin sein. So die Idee der Swissness-Verordnung. Ständerat Thomas Minder (55, parteilos) sieht in ihr derweil nur noch «Birchermüesli». Eifrige Lobbyisten der Nahrungsmittel-Industrie hätten die Vorlage mit ihren vielen Sonderwünschen verwässert, kritisiert er.
Einer dieser Sonderwünsche: Produkte mit dem Schweizer Kreuz benötigen ab Januar eigentlich 80 Prozent Schweizer Zutaten. Rohstoffe sollen aber nicht mitgerechnet werden, wenn sie in der Schweiz temporär nicht verfügbar sind oder sich nicht in der gewünschten Qualität produzieren lassen. Von dieser Klausel macht die Nahrungsmittelindustrie regen Gebrauch. Beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) sind schon 65 Anträge für Ausnahmebewilligungen eingegangen (siehe unten).
Ausnahmen könnten Einkauf im Ausland fördern
Für Eipulver etwa ist ein solcher hängig. 600 Tonnen importieren Lebensmittelhersteller jährlich. Schweizer Produzenten gibt es keine. Lokal produziertes Eipulver wäre heute schlicht zu teuer, sagt Thomas Fischer, Chef des zweitgrössten Eierverarbeiters «Fischer Eier». Doch die Swissness-Vorlage hätte die Möglichkeit geboten, in der Schweiz eine konkurrenzfähige Industrie aufzubauen: «Wenn Lebensmittelhersteller, die mit Swissness werben wollen, gezwungen wären, Schweizer Eipulver zu verwenden, entstünde die Chance, in der Schweiz eine Produktion aufzunehmen.»
Und genau das wäre das Ziel der Swissness-Vorlage gewesen, erklärt Ständerat Minder. Der Schweizer Markt sollte das Signal erhalten, Waren zu produzieren, von denen es zu wenig gibt. «Wenn mangelnde Rohstoffe im Ausland eingekauft werden, und immer noch das Schweizerkreuz auf der Verpackung steht, verfehlt die Swissness-Vorlage ihr Ziel», sagt Minder.
Eierverarbeiter Fischer befürchtet sogar, die Ausnahmen könnten das Einkaufen im Ausland fördern: «Lebensmittelhersteller könnten von Schweizer Flüssigei auf ausländisches Eipulver umsteigen. Das wäre billiger, und die Hersteller müssten nicht einmal den Verlust des Schweizerkreuzes befürchten.» Dasselbe könnte auch mit anderen Rohstoffe passieren.
«In der Schweiz gibt es keine Hersteller»
Von der Swissness wollen auch Nestlé und Hochdorf profitieren. Die beiden grössten Hersteller von Babynahrung stellten mehrere Anträge auf Ausnahmen bezüglich Laktose und Molkenproteinen, beides wichtige Bestandteile von Babynahrung. Die Konzerne wollen sie weiterhin importieren, das Schweizerkreuz aber behalten.
«In der Schweiz gibt es keine Hersteller von Molkenproteinpulver und Laktose, die diese Produkte in den verlangten Babynahrungs-Qualitäten herstellen», begründet Hochdorf-Sprecher Christoph Hug die Anträge. Die benötigten Mengen könnten mit der heimischen Produktion nur teilweise erreicht werden. «Zudem können wir aufgrund der unterschiedlichen qualitativen Anforderungen nicht jede mögliche Laktose herstellen», so Hug.
Fondue-Wein soll Ausnahme werden
Das BLW beugt sich nun über die Anträge. Es gibt nach Konsultation der Branche, der Landwirtschaft und der Konsumentenvertreter eine Empfehlung an Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (64) ab. Er befindet über die Anträge im Herbst, die ersten Ausnahmen werden auf zwei Jahre gewährt. Dass Chancen dafür bestehen, zeigen die bereits abgegebenen Empfehlungen. Für Hochproteinweizen und Weisswein für Fertigfondue empfiehlt das BLW die Annahme.
Für folgende Rohstoffe wurden Ausnahmen beantragt (Auswahl):
Molkenproteine und Laktose
Eiweiss-, Eigelb- und Volleipulver
Himbeerpüree
Bio Weizen
Industrie-Weisswein für Fertigfondue und Essig
Gewürzgurken und Silberzwiebeln
Himbeerpüree und -konzentrat
Schwarze Johannisbeer Püree
Käsepulver
Cassis- und Himbeersaftkonzentrat
Honig
Waffeln für Cornets
Hauchdünne Mandelkaramellplättchen