Auch in der Teppichetage eines Fast-50-Milliarden-Konzerns mit weltweit 123'000 Mitarbeitern steht so etwas wie ein Familientisch. Da thront ein Patron mit grosser Machtfülle, umgeben von einer Entourage aus Managern. Wenn Toppositionen neu zu besetzen sind, geht es an diesem Tisch hoch her. Und der, der oben sitzt, offenbart seinen Charakter.
Beim Basler Pharmakonzern Novartis sass auf dem Stuhl des Verwaltungsratspräsidenten jahrzehntelang Daniel Vasella, den man auch den «Sonnenkönig» nannte, vor dem man je nach Tagesform des absolutistisch Regierenden mal Günstling, mal Ausgestossener war.
Als einer der Günstlinge galt Jörg Reinhardt, ein promovierter Pharmazeut, der schon 1982 in der Novartis-Vorgänger-Firma Sandoz tätig war, in die fünf Jahre später auch der Arzt Vasella eintrat und die von Marc Moret, dem Grossvater von Vasellas Frau mit eiserner Hand präsidiert wurde. Es liesse sich folgern, der um zwei Jahre jüngere Reinhardt sei ein Weggefährte von Vasella. Dieser erkor ihn denn auch 2008 zum Chief Operating Officer, zum Leiter des Novartis-Tagesgeschäfts, also zur Nummer zwei im Konzern. Gewöhnlich ist dies ein Sprungbrett für ganz oben.
Doch als sich der Patron am Kopfende des Novartis-Tisches 2010 entschloss, nach 14 Jahren endlich den Platz zu räumen, wollte er dort keinen deutschen Pharmazeuten, sondern einen Marketing-Mann, der die teuren Medikamente zu verkaufen wusste.
Der «Sonnenkönig» hatte gesprochen und der Verstossene verliess den Hof. Chef wurde Joe Jimenez, der für Ketchup-Hersteller oder Investment-Gesellschaften tätig gewesen war. Vielleicht aber dachte Vasella ja viel weiter als alle anderen – nämlich daran, dass auch seine Ära irgendwann enden würde.
2013 zu seinem Sechzigsten, war es so weit. Da griff Vasella zum Telefon, um seine letzte Personalie zu regeln – seine Nachfolge im Präsidium. Er wählte die Nummer von Jörg Reinhardt. Was folgte, war ein Dialog, den der Anrufer einmal nachgezeichnet hat:
Vasella: «Hast du noch schlechte Gefühle mir gegenüber?»
Reinhardt: Schweigt.
Vasella: «Und wie sieht es Joe gegenüber aus?»
Reinhardt: «Mit ihm habe ich kein Problem. Es war ja dein Entscheid.»
Vasella: «Auch der Verwaltungsrat hatte mit entschieden.»
Reinhardt: «Den hast du beeinflusst.»
Vasella: «Dann müssen wir uns treffen!»
Und so kam der Verstossene doch an den Kopf des Novartis-Tischs. Sollte Vasella dies schon länger im Kopf gehabt haben, hätte es von geradezu visionärer Weitsicht gezeugt. Denn da nur an der Nahtstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart Neues für die Zukunft wachsen kann, war anzunehmen, dass der Rückkehrer die Ära seines Vorgängers mit Nachdruck beenden würde.
Das Tandem Jimenez/Reinhardt jätete vieles, was in Vasellas Garten so gewuchert war in den Jahrzehnten seiner Herrschaft. Am Schluss bleiben im wesentlichen Pharma und Generika, und im Novartis-Biotop herrschte wieder Ordnung. Als all dies vollbracht und nur noch für die kränkelnde Sparte der Augenheilkunde ein neues Beet zu suchen war, kündigte Joe Jimenez vergangene Woche seinen Rücktritt als Novartis-Chef an.
Vielleicht hat sich Jörg Reinhardt an sein eigenes Schicksal erinnert und unaufgeregt und den neuen CEO ohne personelle Kollateralschäden aus dem Hut gezaubert. Vasant Narasimhan heisst der Mann, bisher Entwicklungschef, ein indischstämmiger US-Amerikaner.
Möglicherweise hat der Novartis-Präsident auch nur analysiert, welcher Kopf nach dem Arzt Vasella und dem Marketingmann Jimenez als dritter in der Geschichte der Firma auf die Kommandobrücke gehört. Für eine Zeit, in der sich auch das Pharmabusiness immer stärker in diese Richtung entwickelt, wählte Reinhardt ganz nüchtern einen Naturwissenschaftler. Er scheint dem vormaligen Tischherr Vasella im Denken also gar nicht so unähnlich zu sein.