Knapp zwei Kilo wiegt das Päckli. «Macht 15 Euro 90», sagt Sabine Möll (47). Sie führt die Poststelle in Gailingen am Hochrhein (D). «In sechs bis zehn Tagen ist es dort.» Hans Schlatter (75) zückt 20 Euro, zahlt und witzelt: «Hoffentlich lassen die Zöllner die Schoggi drin.»
Aus Schaffhausen sind er und seine Frau angereist – zwölf Kilometer, um der Tochter ein Paket nach Zentralasien zu senden. «Es ist günstiger, und es kommt schneller an», sagt Ruth Schlatter (75).
Umgerechnet Fr. 19.50 kostet der Versand ab Gailingen. Ab Schaffhausen wären es 160 Franken, achtmal so viel – bei einer Lieferfrist von zwei bis fünf Werktagen. Wer mehr Geduld hat – zwölf bis 20 Tage – zahlt 59 Franken, bei Lieferfristen bis 30 Tagen sind es immer noch 49 Franken. Genauso teuer wären ab der Schweiz die Geschenkpäckli für den Sohn in Uganda.
Die Schlatters sind nicht die einzigen Schweizer, die von Deutschland aus Pakete verschicken.
Mehr Schweizer Kunden als Deutsche
«60 Prozent unserer Kunden reisen aus der Schweiz an», sagt Möll. «Sie kommen während des ganzen Jahres, in der Adventszeit aber viel häufiger.» Ihr Laden gleicht einem Krimskramsgeschäft. Sie nimmt Briefe und Pakete entgegen – und verkauft nebenher Batterien und Waschpulver, Seife und Zigaretten.
Ihre Schweizer Kunden leben an der Grenze, jedoch nicht nur. «Viele kommen aus Zürich», sagt Möll. «Darunter auch Firmen.» Die tiefen Porti lockten sie an. «Zudem umgehen sie so für Pakete innerhalb der EU die Zollgebühren – und müssen keine Zollformulare ausfüllen.»
Die Schweizer Post ist nicht alarmiert. «Wir gehen von Einzelfällen aus», sagt ihr Sprecher Oliver Flüeler. Zumal in der Schweiz die Qualität stimme, die Waren versichert seien. Wer nicht nahe der Grenze wohne, für den lohne es sich nicht.
Weit gefehlt. In Zürcher Cafés, in der Migros in Küsnacht ZH oder auf Spielplätzen in Rüschlikon ZH sprechen ausländische Zuzüger offen über die billige deutsche Post.
Sie wissen: Ein 2-Kilo-Paket in den EU-Raum kostet ab der Schweiz zwischen 37 und 90 Franken, ab Deutschland umgerechnet nur Fr. 10.90. Noch extremer sind die Preisunterschiede nach Übersee, etwa nach China oder Australien. Muss es schnell gehen, kostet das 2-Kilo-Paket dorthin 160 Franken, sonst 59 Franken. Ab Deutschland sind es stets 15 Euro 90.
Seit sechs Jahren lebt die deutsche Architektin Tine R.* (43) am Zürichsee. Sie hat drei Kinder, ist verheiratet mit einem Schweden. Ihre Verwandten leben in Skandinavien, Deutschland und Spanien. «Ich verschicke die gesamte Weihnachtspost ab Deutschland», sagt sie. «Es ist so, so, so viel teurer in der Schweiz.»
Kein Zollformular
Zu Weihnachten sendet sie zehn Pakete in EU-Länder, meist im allerletzten Moment. Sie spare Hunderte von Franken und fülle keine Zollformulare aus. «Sende ich ab Zürich, sehen die Empfänger auf dem Paket, was ich schenke.»
Regelrechte Post-Kurierdienste hätten Amerikaner, Deutsche und Schweden aufgebaut, weiss R. «Fährt einer nach Deutschland, nimmt er für alle Briefe und Pakete mit.» Stundenlang wartete sie letzten Dezember im Schneegestöber vor der Post in Jestetten (D). «In der Schlange standen nur Personen, die in der Schweiz wohnen.»
Den Päckli-Touristen auf den Fersen sind deutsche Zollbeamte. Täglich patrouillieren sie vor Mölls Geschäft. Greifen sie Schweizer auf, die Sachen für mehr als 300 Euro verschicken, stellen sie Bussen aus und verlangen sofort den Zoll.
Mit «deutlich höheren Produktionskosten» erklärt Post-Sprecher Flüeler die Preisunterschiede. Die deutsche Post, der weltweit grösste Logistikkonzern, lasse billige Sub-Sub-Unternehmer für sich arbeiten. Sie besitzt Frachtfirmen wie DHL – und somit eigene Flugzeugflotten.
Die Löhne machen den Unterschied
Angestellte der Schweizer Post verdienen im Schnitt 6879 Franken monatlich. Möll zahlt nicht Beamtenlöhne, sondern den Tariflohn des Einzelhandels. Das sind minimal 1856 Franken im Monat – ein Viertel dessen, was Schweizer Pöstler als Lohn erhalten.
Die Schweizer Post biete weltweit das «dichteste Annahmenetz», sagt Sprecher Flüeler. Teuer erfüllen 1673 voll bediente Poststellen, 559 Agenturen und 1264 Hausservicestellen den Service public.
Anders die deutsche Post. Sie betreibt keine einzige eigene Filiale. Längst hat sie das Geschäft an Private wie Möll ausgelagert. Sie halten für den Postkonzern die Kosten tief – und drücken so die Preise.