IKRK-Chef über die katastrophale Lage im kriegsgeplagten Land
Wann hört das Töten in Syrien auf, Herr Maurer?

Mit blockierten Fluchtrouten auf dem Balkan kann IKRK-Chef Peter Maurer (60) leben. Doch Assads Krieg gegen sein Volk deprimiert ihn.
Publiziert: 14.06.2016 um 14:25 Uhr
|
Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:15 Uhr
1/6
IKRK-Präsident Peter Maurer an der Kunstausstellung "Parcours humain - Kunst für Menschlichkeit" im ehemaligen Tramdepot Burgernziel in Bern.
Christian Maurer

Herr Maurer, aus Syrien kommen weniger Flüchtlinge nach Europa. Sind die Grenzschliessungen auf dem Balkan legitim?
Als IKRK-Präsident ist es nicht meine Sache, über die Legitimität zu urteilen, das ist eine politische Frage. Wenn Sie gefragt hätten, ob sie legal sind, hätte ich Ja gesagt. Im Moment sehen wir keine unmittelbar negativen humanitären Auswirkungen, die wir nachweisen können.

Peter Maurer, Chef des IKRK, im Interview mit SonntagsBlick in der Ausstellung «Parcours Humain» in Bern.
Foto: Marco Zanoni / Lunax

Hat das Waffenstillstandsabkommen von Anfang Jahr das Leben der Syrer verbessert?
Das Leben geht weiter. Es gibt eine illegale Ökonomie, die jene Syrer versorgt, die noch Geld haben. Sorgen machen uns die Leute, die aus dieser Ökonomie herausfallen, weil sie kein Geld haben: die Alten, die kinderreichen Familien, häufig auch Frauen.

Wie stehts um die Sicherheit?
Kriegsrealität vor Ort heisst nicht, dass alle Tage überall geschossen wird. Es bedeutet einfach, dass das Leben extrem schwierig ist. Es gibt Blockaden und Kämpfe, dann vielleicht wieder mal zwei Monate Ruhe. Was die Leute beschäftigt, ist die riesige Unsicherheit. Man weiss nie, wann es wieder los geht. Oder ob das Leben jemals wieder normal wird.

IKRK-Präsident Peter Maurer im Februar mit Einheimischen in Babila, einem Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus.
Foto: ZVG

Sie reisen regelmässig nach Syrien. Was sehen Sie dort?
Auffallend ist das riesige Ausmass der Zerstörung nach nur fünf Jahren Bürgerkrieg. Der hat mitten in den Städten stattgefunden. Hunderttausende sind direkt betroffen. Ich war in Homs: Das Zentrum ist zerstört. Viele Quartiere auch. Auf der anderen Seite bemühen sich die syrische Regierung, der IS und al-Nusra sowie alle anderen Gruppierungen, medizinische Dienste anzubieten, Schulen offen zu halten, die Wasserversorgung zu organisieren. Dort kann das IKRK unterstützen, damit minimale Infrastruktur wieder funktioniert.

Kann das IKRK jetzt im ganzen Land arbeiten?
Syrien bleibt für uns die komplizierteste humanitäre Aktion. Es gibt Hunderttausende Syrer, zu denen wir keinen Zugang haben. Jede unserer Operationen ist immer noch ausserdordentlich schwierig auszuhandeln. Wir haben extreme Schwierigkeiten, mit allen Konfliktparteien einen Dialog zu führen, der uns humanitäre Operationen in einem normalen Ausmass ermöglicht.

Peter Maurer, Chef des IKRK, im Interview mit SonntagsBlick in der Ausstellung «Parcours Humain» in Bern.
Foto: Marco Zanoni / Lunax

Haben Sie Hoffnung?
Ich habe keinen Grund, beim syrischen Konflikt Entwarnung zu geben. Die Infrastruktur des Landes ist stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, weshalb der syrische Konflikt so eine riesige Bevölkerungsvertreibung zur Folge hat.

Wird der Flüchtlingsdruck weiter andauern?
In absehbarer Zeit sehen wir keine Perspektive, wie die Infrastruktur für ein normales Leben der Millionen vertriebener Syrer so gestaltet werden kann, dass sie dorthin zurück gehen, wo sie herkommen. Ich habe wenig Hoffnung, dass die Gewalt nachlassen wird.

Sie sehen keine Chance für Verhandlungen?
Die Gespräche in Genf bleiben prekär. Der Waffenstillstand war eigentlich gar keiner. Ich nenne ihn eine teilweise Einstellung der Feindseligkeiten.

Quelle: Missing Migrants
Foto: Ringier Infografik

Das reichte nicht?
An ein paar Orten gabs keine Kämpfe mehr. Aber es waren zu wenige, um eine kritische Masse zu erreichen, die das Land zu stabilisieren vermag. Er war ein Tropfen auf den heissen Stein. Er half, den Leuten ein bisschen Hoffnung zu geben. Wir brauchen eine andere Qualität von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Sie glauben also nicht an ein baldiges Ende des Bürgerkriegs in Syrien?
Ich sehe es einfach nicht! Wenn ich unsere täglichen Berichte lese, sind wir weit weg von irgendeiner Perspektive. Die gesamte Dynamik deutet nicht darauf hin, dass der Krieg bald vorbei sein könnte.

Peter Maurer, Chef des IKRK, im Interview mit SonntagsBlick in der Ausstellung «Parcours Humain» in Bern.
Foto: Marco Zanoni / Lunax

Sie haben soeben die Kunstausstellung Parcours humain in Bern eröffnet, die den Krieg und die Flüchtlingskrise thematisiert. Kann Kunst mehr sei als ein fader Abklatsch der Realität?
Mir geht es vielleicht anders als den meisten Menschen. Ich finde es inzwischen einfacher, Schrecken real zu sehen als wenn er künstlerisch verarbeitet ist.

Wie das?
In der Realität kann ich handeln: versuchen, sie zu verändern und verbessern. Das Kunstwerk ist wie es ist, man ist ihm ausgeliefert. Und Künstler haben ja oft die Gabe, die Dinge auf den Punkt zu bringen und zuzuspitzen, bis es schmerzt.

Die Kunstausstellung Parcours humain im ehemaligen Tramdepot Burgernziel in Bern dauert bis zum 26. Juni.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.