Auf einen Blick
Der Startup-Hype der vergangenen Jahre hat viele Jungunternehmer und Jungunternehmerinnen kommen und gehen sehen. Eine, die nicht nur Schlagzeilen machte, sondern auch Resultate liefert, ist Daniela Marino.
Die studierte Biotechnologin war an der Entwicklung eines Hauttransplantat beteiligt, das die Behandlung von Verbrennungsopfern auf eine neue Stufe heben dürfte. Das Produkt von Cutiss ist dicker als herkömmliche Produkte, es umfasst nicht nur die Epidermis, sondern auch die tiefer liegende Dermis und ist deshalb elastischer. Zudem wird es aus einem kleinen Stück gezüchtet, was dazu führt, dass weniger gesunde Haut entnommen werden muss.
Eben erst hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA ihr Okay für eine klinische Studie der letzten Phase gegeben, mit der das revolutionäre Hautprodukt made in Schlieren in acht europäischen Ländern an Patienten und Patientinnen mit schweren Verbrennungen getestet werden soll.
Nun setzt die Jungunternehmerin aus Zürich zum Sprung in die USA an. Im Massachusetts General Hospital, der weltweit ersten Adresse der Biomedizin, wurde erstmals in den USA ein vierjähriger Junge mit einem Transplantat aus Schlieren behandelt. «Die Situation war akut lebensbedrohlich», sagt Jeremy Goverman, ein auf die Behandlung von Verbrennungsopfern spezialisierter Chirurg am «Mass General». Die Haut des kleinen Jungen sei zu 90 Prozent verbrannt gewesen.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Handelszeitung» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.handelszeitung.ch.
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Zwei Anwendungen von total rund 500 Quadratcentimetern hat der Junge inzwischen bekommen. Das ist zwar noch nicht viel, aber die Resultate sind ermutigend. «Die Haut von Cutiss ist stabiler als konventionell kultivierte Haut», sagt der Verbrennungsspezialist. Zudem ziehe sich die Haut weniger zusammen, es komme weniger zu Verkürzungen – Eigenschaften, die gerade bei einem schnell wachsenden kleinen Jungen wichtig sind. Wenn es der Zustand des Jungen erlaubt – er war ein Jahr auf der Intensivstation –, sollen im Januar weitere Behandlungen erfolgen.
«Daniela und ihr Team versuchen, etwas zu machen, an das sich in der Verbrennungsmedizin sonst niemand wagt», sagt Jeremy Goverman: «Sie entwickelt richtige Haut, nicht nur ein Substitut.»
Schwieriger Transport zwischen Boston und Zürich
Eine Herausforderung war die Logistik. Das Hauttransplantat hatte eine Reise von 12’000 Kilometern hinter sich, bevor es in Boston eingesetzt werden konnte. Zuerst musste eine Hautprobe des Jungen von Boston nach Zürich geflogen werden, wo das Transplantat hergestellt wurde. Dieses musste dann wieder über den Atlantik repatriiert werden, mit einem Spezialtransport, um eine konstant tiefe Temperatur zu garantieren.
Neben den medizinischen Herausforderungen galt es für den Chirurgen, auch viel Papierkram und bange Stunden, als es nach dem Ausladen in Boston zu Verzögerungen kam, zu bewältigen. «Es gab einen Moment, da hatten wir den Kontakt zum Kurier und zum Transplantat verloren», sagt Jeremy Goverman.
Verbrennungsmedizin ist eine Nische. Es gibt nicht viele Spezialisten, die sich mit der Frage befassen, wie Patientinnen und Patienten geholfen werden kann, deren Haut – sie ist immerhin das grösste Organ des menschlichen Körpers – grossflächig verbrannt ist.
Cutiss peilt deshalb mittelfristig noch einen zweiten Markt an: den der ästhetischen Medizin. Dabei geht es um schwere Vernarbungen, etwa nach der Entfernung von Melanomen. Diese Patienten und Patientinnen brauchen zwar weniger Behandlungen als die Opfer von Verbrennungen, bei denen, wie beim kleinen Jungen aus Boston, oft lebenslang immer wieder transplantiert werden muss. Dafür gibt es bei den rekonstruktiven Behandlungen ein Vielfaches an Patientinnen und Patienten.
Für Cutiss und seine Gründerin Daniela Marino ist die Behandlung in Boston ein Meilenstein. Sie sagt: «Die erfolgreiche Anwendung in Boston wird uns bei den Gesprächen mit der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA unterstützen.» Einen Status als «Orphan Drug» hat das Produkt bereits, er garantiert exklusive Vermarktungsrechte über mehrere Jahre.
Produktion in Amerika ist geplant
Klar ist, dass sich die komplexe Logistik mit der Produktion in der Schweiz nicht wird halten lassen, sollte die Technologie in den USA breiter zur Anwendung kommen. Geplant ist deshalb eine weitere Produktionseinheit vor Ort. Sie besteht aus drei Modulen, eines in der Grösse einer Mikrowelle, mit dem die Hautzellen isoliert werden, und eines in der Grösse eines kleinen Kühlschranks, um die Zellen zu vermehren. Die Gewebeproduktion selbst erfordert ein drittes Modul, so gross wie ein US-Kühlschrank. Die Produktion, die bei Cutiss von Anfang an mitgedacht wurde, kann damit dezentral, in den Verbrennungszentren der grossen Spitäler, erfolgen.
Cutiss hat im Mai eine Finanzierungsrunde von über 25 Millionen Franken abgeschlossen, eine weitere Runde läuft. Um den Finanzierungsbedarf langfristig und insbesondere mit Blick auf eine Markteinführung zu sichern, stehen laut der Gründerin alle Optionen offen: IPO oder eine strategische Partnerschaft mit einem grossen Unternehmen. Mission: die Haut aus der Schweiz möglichst vielen Verbrennungsopfern wie dem kleinen Jungen aus Boston zur Verfügung zu stellen.