Schweizer Koloss frisst sich durch Paris
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Besuch auf Mega-Baustelle:Schweizer Koloss frisst sich durch Paris

Historischer Durchstich für Implenia in Frankreich – BLICK war dabei
Schweizer Koloss frisst sich durch Paris

Als einziges Medium hat BLICK auf der Tunnelbohrmaschine des Schweizer Bauriesen Implenia den ersten Durchstich des Grand Paris Express miterleben dürfen. Die Reportage aus den Banlieues im Grossraum Paris.
Publiziert: 04.03.2020 um 22:56 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2020 um 22:02 Uhr
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27. Februar 2020: Grosser Tag für Implenia. Der erste Tunneldurchstich in Frankreich steht für den Schweizer Bauriesen kurz bevor. BLICK ist dabei. Treffpunkt: Noisy-le-Grand im Osten von Paris.
Foto: Philippe Rossier
Ulrich Rotzinger (Text) und Philippe Rossier (Fotos), Paris

Zentimeter um Zentimeter frisst sich Malala durch den Untergrund von Noisy-le-Grand im Osten von Paris. Noch einen halben Meter. Ungefähr 30 Minuten. Carlos Gayan (50) richtet konzentriert den Blick auf die Monitore. Millimeterarbeit. Der spanische Maschinist ist Navigator der Tunnelbohrmaschine (TBM) Malala – ein Ungetüm aus 1450 Tonnen Stahl mit 106 Metern Länge. Mit einer Form wie der eines U-Boots. Malala hat sogar Druckkammern, die es an der Bohrspitze braucht.

Die knapp sechs Quadratmeter grosse Führerkabine im vorderen Drittel von Malala ist Gayans Reich. «Es ist das erste Mal, dass ich in Frankreich einen Tunneldurchstich mache», sagt er in gebrochenem Französisch. «Was hier gerade passiert, ist sehr speziell für mich und mit vielen Emotionen verbunden.»

«Vollendung eines wichtigen Meilensteins»

Mit jeder Minute näher am Durchstich scharen sich mehr und mehr Arbeiter um Gayan. Die Luft staubgeschwängert, es riecht nach Beton. Für jeden hier unten in fast 30 Metern Tiefe sei heute ein besonderer Tag, sagt Olivier Böckli (52). Der Frankreich-Chef des Schweizer Baudienstleisters Implenia hat BLICK auf die Malala mitgenommen.

Als am 27. Februar um 10.36 Uhr die letzten Gesteinsbrocken fallen, der Durchstich auf dem Teilstück der Linie 15 vollbracht ist, leuchten Böcklis Augen. «Das ist ein fantastisches Gefühl, weil enorm viel Arbeit dahintersteckt. Für uns ist dieser Durchstich die Vollendung eines wichtigen Meilensteins.»

Bei Carlos Gayan im Führerstand bleibt es ruhig. Er verfolgt weiter den Bohrvorgang, justiert ein paar Schalter und Knöpfe. Denn bis der Koloss, diese Riesenblechkiste, wie Böckli sagt, zum Stillstand kommt, braucht es noch etwas Zeit.

Gotthard-Know-how war beste Empfehlung

Der Schweizer Böckli baut seit 2014 das Frankreich-Geschäft von Implenia auf. Der Durchbruch gelang mit dem Zuschlag für Teilstrecken des Grand Paris Express. Das grösste Infrastrukturprojekt Europas im Umfang von 40 Milliarden Franken. Das bestehende, sternförmige Metro-Netz der Hauptstadt wird bis 2030 verlängert und um zwei grosse Ringbahnen ergänzt.

Bis 2014 sei Frankreich für ausländische Baufirmen praktisch nicht zugänglich gewesen, sagt Böckli. Sie zogen bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand gegenüber einheimischen Firmen den Kürzeren. «Es ist nicht selbstverständlich, dass wir bislang drei Lose für den Grand Paris Express gewinnen konnten.»

Was gab dann doch den Ausschlag für Implenia? Böckli nennt das Bekenntnis zum Werkplatz Frankreich, den Aufbau lokaler Jobs. Aber auch Schweizer Werte wie Qualitätsarbeit, Verlässlichkeit und Pünktlichkeit spielten eine Rolle. «Wir haben uns auch mit unserem Gotthard-Know-how im Ausland empfohlen.»

Damit sei man mit Partnern schliesslich zum Zug gekommen. ETH-Bauingenieur Böckli, der unter Höhenangst leidet und darum in den Tunnelbau gegangen ist, war beim Gotthard-Basistunnel federführend. Er kann folglich gut Vergleiche ziehen: «So wie der Gotthard ist auch Grand Paris eine Jahrhundertbaustelle.»

Setzungen als grösstes Risiko beim Pariser Tunnelbau

Der Unterschied zwischen dem Grand Paris Express und dem Gotthardtunnel auf alpinem Gebiet? Die TBM muss im Pariser Agglomerationsverkehr an die Baustelle verfrachtet und in Einzelteilen in die Schächte hinuntergelassen werden, erklärt Böckli. Der Zusammenbau erfolgt unter Tage. «Ein enormer logistischer Aufwand.» Dann arbeite man in Paris auf urbanem, dicht besiedeltem Gebiet mit zum Teil historischen Gebäuden. Und treffe im Untergrund auf wesentlich weicheres Sedimentgestein.

«Darum kommt eine Erddruck-Tunnelbohrmaschine zum Einsatz», erklärt Böckli. Um Setzungen des Untergrunds zu vermeiden. «Wir müssen Tunnel bauen, ohne Schäden an der Oberfläche auszulösen.» Im Schnitt schafft der Riesenbohrer zwölf Meter am Tag, setzt sogenannte Tübbinge. Das sind vorgefertigte Platten aus Beton, die um die TBM herum den Tunnel absichern.

Knochen, Bomben und Höhlen

Dabei kann es gefährlich werden: Wir treffen zum Teil auf Hohlräume, unterirdische Steinbrüche, die nicht kartografisch erfasst worden sind. In der Tiefe stiess Böckli auch schon mal auf Fossilien und Knochen. Bei Aushub von Bahnhöfen weiter oben lauern bisweilen verschüttete, nicht detonierte Kriegsbomben.

Das Mega-Projekt hat auch seine Schattenseite: Der Pariser Stadtkern mit seinen gut 2,5 Millionen Bewohnern dehnt sich auf dem Gebiet der Banlieues (über 10 Millionen) aus. In den Vororten treiben die Aussichten auf eine bessere ÖV-Anbindung ans Zentrum die Preise für Mieten und Eigenheime in die Höhe.

Dadurch werden die ärmeren Bewohner weiter in die Peripherie gedrängt – und haben später noch einen längeren Arbeitsweg in die City. Zusammen mit dem Lärm der Tunnelbauer sorgt das immer wieder für prekäre Situationen, hat Böckli erlebt.

Grand Paris Express – grösstes Infrastrukturprojekt Europas

Der Weg vom einen zum anderen Ende von Paris ist eine halbe Weltreise. Das liegt am sternförmigen Metronetz im Stadtkern. Insbesondere der Nordosten und Osten ausserhalb der Pariser Ringautobahn, die als ÖV-Wüste gelten, sollen bis 2030 besser ans Stadtzentrum angebunden werden. Den Umfang des bestehenden Netzes verdoppeln zwei Ringbahnen. Die Vision des Mega-Projekts Grand Paris Express geht aber noch weiter. Zu den neuen 200 Kilometern Schienen, vier neue Linien vollautomatisiert und Verlängerung zweier bestehender Verbindungen (ohne Lokführer) sowie 68 neue Bahnhöfe, erhoffen sich die Gründerväter auch 115'000 neue Jobs und die Ansiedlung von 160'000 Unternehmen. Kurz: Es ist das grösste Infrastrukturprojekt Europas – einmal fertig, soll Paris Englands Hauptstadt London als grösste Metropole ablösen. Dessen Entwicklung hat zwei Etappen: Bauphasen mit Linien, deren Inbetriebnahme für die Olympischen Sommerspiele 2024 vorgesehen ist (rot). Und diejenigen, die danach in Betrieb genommen werden können (violett).

Der Weg vom einen zum anderen Ende von Paris ist eine halbe Weltreise. Das liegt am sternförmigen Metronetz im Stadtkern. Insbesondere der Nordosten und Osten ausserhalb der Pariser Ringautobahn, die als ÖV-Wüste gelten, sollen bis 2030 besser ans Stadtzentrum angebunden werden. Den Umfang des bestehenden Netzes verdoppeln zwei Ringbahnen. Die Vision des Mega-Projekts Grand Paris Express geht aber noch weiter. Zu den neuen 200 Kilometern Schienen, vier neue Linien vollautomatisiert und Verlängerung zweier bestehender Verbindungen (ohne Lokführer) sowie 68 neue Bahnhöfe, erhoffen sich die Gründerväter auch 115'000 neue Jobs und die Ansiedlung von 160'000 Unternehmen. Kurz: Es ist das grösste Infrastrukturprojekt Europas – einmal fertig, soll Paris Englands Hauptstadt London als grösste Metropole ablösen. Dessen Entwicklung hat zwei Etappen: Bauphasen mit Linien, deren Inbetriebnahme für die Olympischen Sommerspiele 2024 vorgesehen ist (rot). Und diejenigen, die danach in Betrieb genommen werden können (violett).

Tunnel-Gegner werfen Molotowcocktail

Er berichtet von einem Erlebnis beim Bau der Linie 11, dem ersten Los, das Implenia gewonnen hat. In Rosny-sous-Bois musste man einen Schacht rund 50 Meter neben einem Hochhaus ausheben. Eine Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit und Sozialbauten, wo sich Auswärtige nachts besser nicht aufhalten sollten, so Böckli. Aber gerade dort wurde rund um die Uhr im Drei-Schichten-Betrieb, also auch nachts, gearbeitet. «Der Lärm hat die Stimmung weiter aufgeheizt.»

Gerade im Sommer sei es sehr warm gewesen, die Fenster offen, und die Leute konnten nicht schlafen. Neben Müllkübeln und Flaschen flog sogar ein Molotowcocktail aus den Fenstern runter auf die Baustelle. «Gopfridstutz, habe ich gedacht, wir sind doch hier in Paris», erinnert sich Böckli. Der Weg von den Baucontainern zum Lift in den Tunnelschacht hinunter wurde fortan provisorisch überdacht, um die Arbeiter zu schützen.

Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Die Überdachung ist weg, wie BLICK beim Rundgang feststellt. Auf dem Teilstück, gut eine halbe Fahrstunde nördlich von Noisy-le-Grand, ist seit kurzem eine weitere TBM am Werk. Diese heisst Sofia. Die meisten TBM hätten Frauennamen, sagt Böckli später beim Abschied. Ob es daran liegt, dass der Tunnelbau heute noch eine Männerdomäne ist? «Das mit den Namen ist einfach Tradition», so Böckli. «Der Frauenanteil dürfte grösser sein. Immerhin haben wir hier in Paris sogar eine Tunnelbohrmaschinen-Pilotin im Einsatz.»

Schweizer Riese im Baugeschäft

Implenia, der grösste Schweizer Baudienstleister mit Hauptsitz in Dietlikon ZH, beschäftigt europaweit über 10'000 Angestellte, die Hälfte davon in der Schweiz. Umsatz im vergangenen Jahr: 4,4 Milliarden Franken. Gewinn: 34 Millionen. Der Schweizer André Wyss (52) hat den Chefposten im Oktober 2018 von seinem Vorgänger Anton Affentranger (64) übernommen. Implenia, an der Schweizer Börse SIX kotiert, bringt im Frühjahr die Hälfte seiner Entwicklungsprojekte als Immobiliengesellschaft an die Börse. Ziel der Abspaltung: «Das Wachstum im Immobiliengeschäft beschleunigen», sagte Wyss. Das gesamte Entwicklungsportfolio hat aktuell einen Marktwert von über 600 Millionen Franken. Implenia entstand 2006 aus den Traditionsfirmen Zschokke (1872) und Batigroup (1862). Mit dem Grand Paris Express war der Durchbruch im Frankreich-Geschäft – aktuell 90 Millionen Franken Umsatz und gut 300 Mitarbeiter – geschafft. Allein die drei Implenia-Lose in Paris haben einen Auftragswert von insgesamt 1,14 Milliarden Franken.

André Wyss (52) übernahm per 1. Oktober 2018 den Chefposten beim grössten Schweizer Baudienstleister Implenia.

Implenia, der grösste Schweizer Baudienstleister mit Hauptsitz in Dietlikon ZH, beschäftigt europaweit über 10'000 Angestellte, die Hälfte davon in der Schweiz. Umsatz im vergangenen Jahr: 4,4 Milliarden Franken. Gewinn: 34 Millionen. Der Schweizer André Wyss (52) hat den Chefposten im Oktober 2018 von seinem Vorgänger Anton Affentranger (64) übernommen. Implenia, an der Schweizer Börse SIX kotiert, bringt im Frühjahr die Hälfte seiner Entwicklungsprojekte als Immobiliengesellschaft an die Börse. Ziel der Abspaltung: «Das Wachstum im Immobiliengeschäft beschleunigen», sagte Wyss. Das gesamte Entwicklungsportfolio hat aktuell einen Marktwert von über 600 Millionen Franken. Implenia entstand 2006 aus den Traditionsfirmen Zschokke (1872) und Batigroup (1862). Mit dem Grand Paris Express war der Durchbruch im Frankreich-Geschäft – aktuell 90 Millionen Franken Umsatz und gut 300 Mitarbeiter – geschafft. Allein die drei Implenia-Lose in Paris haben einen Auftragswert von insgesamt 1,14 Milliarden Franken.

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