Heute vor 10 Jahren begann die Finanzkrise
«Keiner musste für unsere Verluste geradestehen»

Der Bankrott der US-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 markiert den Ausbruch der globalen Finanzkrise. Nicht nur Grossbanken gerieten ins Taumeln, auch Kleinanleger in der Schweiz verloren einen Haufen Geld.
Publiziert: 15.09.2018 um 01:11 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2018 um 11:53 Uhr
Christian Kolbe

Die Bilder gingen vor zehn Jahren um die Welt: Eben noch hoch bezahlte US-Banker tragen in Zügelkartons persönliche Sachen aus einem Bürohochhaus in Manhattan. Ihr Arbeitgeber, die Investmentbank Lehman Brothers, ist pleite, hat Milliarden verzockt. 25'000 Banker stehen plötzlich auf der Strasse. In der Folge geraten nicht nur Grossbanken ins Taumeln, auch Kleinanleger in der Schweiz verlieren einen Haufen Geld. 

Diese wissen allerdings im Moment noch nicht, was das alles mit ihnen zu tun hat. «Ich habe vom Lehman-Kollaps in der Zeitung gelesen, das geht mich nichts an, war meine erste Reaktion», erinnert sich Calista Fischer (55). Die Spezialistin für Kommunikation hat ihr Geld bei der Credit Suisse sicher angelegt. Sie ahnt nicht, dass ihre Ersparnisse etwas mit den Zockern von der Wall Street zu tun haben könnten. 

Sichere Rendite gesucht

Ähnlich ergeht es dem Berner Hugo Rey (61): «Aus politischer Überzeugung wollte ich nie etwas mit US-Wertpapieren zu tun haben.» Umso erstaunter ist der Grafiker, als ihm sein Bankberater mitteilt, dass auch er Lehman-Zertifikate in seinem Depot habe. 

Das Perfide: Die Lehman-Zertifikate, die in der Schweiz von der Credit Suisse und anderen Banken verkauft werden, stammen von einer niederländischen Tochter der Wall-Street-Bank, die Währung der Papiere lautet auf Schweizer Franken.

Das Problem: Um die Jahrtausendwende sind sichere Anlagevehikel, die trotzdem noch etwas Rendite abwerfen, stark gesucht. Um die Nachfrage nach Sicherheit und Rendite zu befriedigen, beginnen Finanzinstitute damit, immer komplexere Produkte zu entwickeln. Ganz unterschiedliche Pakete von Wertpapieren wurden so geschnürt, dass am Ende zumindest das investierte Geld wieder ausbezahlt werden sollte.

Bittere Erfahrung

100-Prozent-Kapitalschutz nennt sich das. Klingt sicher. Nur dass der Emittent, also das Finanzinstitut, das die Papiere geschnürt hatte, bankrott werden könnte, damit rechnet keiner. «Das Wort Emittentenrisiko, das kannte damals niemand in der Schweiz», sagt Rey. «Ich musste bitter erfahren, was das genau heisst.» 

Das hiess konkret: In der Schweiz haben 20'000 Kleinanleger rund vier Milliarden Franken verloren. Calista Fischer und Hugo Rey hatten beide je 50'000 Franken in Lehman-Zertifikate investiert. 

Zehn Jahre nach dem Untergang von Lehman stehen die beiden wieder auf dem Paradeplatz in Zürich. Sprechen dort mit BLICK, wo sie an Weihnachten 2008 mit zahlreichen anderen Lehman-Opfern gegen die Credit Suisse demonstriert hatten.

15'000 Franken verloren 

Nach dem ersten Schock, erzählt Fischer, habe sie die Anleger-Selbsthilfe mitbegründet. «Ich habe nächtelang nicht geschlafen, sass nur noch am PC und am Telefon, das ging echt an die Substanz.» Auch deshalb ist sie auf das Angebot der CS eingegangen, ihre Papiere für 35'000 Franken zurückzukaufen: unterm Strich ein Verlust von 15'000 Franken. 

Rey wählte einen anderen Weg, er kämpfte – bis vor Bundesgericht: «Ich habe ein hohes Gerechtigkeitsempfinden. Wenn mir jemand einen Verlust von 50'000 Franken einbrockt, dann will ich Gerechtigkeit. Und nicht 30'000 Franken als Trostpflaster.»

Sein Kampf allerdings blieb erfolglos, mit den Anwaltskosten summiert sich sein Verlust auf gut 100'000 Franken. Darüber können auch die rund 30'000 Franken, die der Berner bisher an Ausschüttungen aus der Konkursmasse von Lehman erhalten hat, nicht hinwegtrösten.

Grösster Skandal

«Der Lehman-Kollaps steht in der Schweiz für den grössten Skandal des Finanzmarktes», sagt Fischer heute. Die Lehman-Opfer fühlten sich im Stich gelassen, mussten erst mit Protestaktionen auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Es dauerte lange, bis die CS bereit war, zumindest einen Teil des Schadens zu übernehmen. «Mich stört einfach, dass sich eine Bank in der Schweiz aus der Verantwortung stehlen kann – und keiner es für nötig hält, diese Bank zur Rechenschaft zu ziehen», sagt Rey. 

So lief das Börsenbeben ab

2007: Die Immobilienblase platzt
Tiefe Zinsen verleiten viele US-Bürger dazu, ein Eigenheim zu erwerben. Auch solche, die sich das gar nicht leisten können. Im Frühling 2007 können immer mehr Hausbesitzer ihre Raten nicht mehr bezahlen. Die Immobilienpreise geraten ins Rutschen. Spezialisten für Hypothekenkredite machen dicht, Fonds geraten in Schwierigkeiten.

15. September 2008: Lehman Brothers geht bankrott 
Die Krise am Hypothekenmarkt wächst sich zu einer Bankenkrise aus. Grossbanken berichten weltweit von Milliardenverlusten. Die Investmentbank Lehman Brothers erklärt Insolvenz und wird nicht vom Staat gerettet. Die Finanzmärkte rund um den Globus stürzen ab. In der Schweiz realisieren viele Kleinanleger, dass sie Wertpapiere von Lehman Brothers im Depot haben. 

16. Oktober 2008: UBS taumelt und wird gerettet
Wachsende Turbulenzen lassen den lebenswichtigen Geldstrom innerhalb des Finanzsektors versiegen, weil Banken einander nicht mehr über den Weg trauen. In der Schweiz kommt es im Oktober 2008 zu einer Milliarden Franken teuren staatlichen Rettungsaktion für die UBS, in welche die Schweizerische Nationalbank (SNB), die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) sowie das Eidgenössische Finanzdepartement involviert sind. 

2009: Weltweite Wirtschaftskrise
Praktisch alle wichtigen Volkswirtschaften stürzen in eine Rezession. Milliardenschwere Konjunkturpakete werden aufgelegt. Weil Niedrigzinsen nicht die erhoffte Wirkung zeigen, überschwemmen Notenbanken die Welt immer mehr mit Geld, indem sie in beispiellosem Ausmass Anleihen kaufen.

2010: Euro-Schuldenkrise
Die Folgen der Rezession – wegbrechende Steuereinnahmen, explodierende Arbeitslosigkeit, steigende Sozialausgaben und in einzelnen Fällen Rettungsmilliarden für Banken – belasten die Staatshaushalte besonders in den schwächeren Volkswirtschaften des Euroraums. Hilfspakete für Griechenland, Portugal, Irland und Zypern müssen geschnürt werden.

2007: Die Immobilienblase platzt
Tiefe Zinsen verleiten viele US-Bürger dazu, ein Eigenheim zu erwerben. Auch solche, die sich das gar nicht leisten können. Im Frühling 2007 können immer mehr Hausbesitzer ihre Raten nicht mehr bezahlen. Die Immobilienpreise geraten ins Rutschen. Spezialisten für Hypothekenkredite machen dicht, Fonds geraten in Schwierigkeiten.

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Die Krise am Hypothekenmarkt wächst sich zu einer Bankenkrise aus. Grossbanken berichten weltweit von Milliardenverlusten. Die Investmentbank Lehman Brothers erklärt Insolvenz und wird nicht vom Staat gerettet. Die Finanzmärkte rund um den Globus stürzen ab. In der Schweiz realisieren viele Kleinanleger, dass sie Wertpapiere von Lehman Brothers im Depot haben. 

16. Oktober 2008: UBS taumelt und wird gerettet
Wachsende Turbulenzen lassen den lebenswichtigen Geldstrom innerhalb des Finanzsektors versiegen, weil Banken einander nicht mehr über den Weg trauen. In der Schweiz kommt es im Oktober 2008 zu einer Milliarden Franken teuren staatlichen Rettungsaktion für die UBS, in welche die Schweizerische Nationalbank (SNB), die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) sowie das Eidgenössische Finanzdepartement involviert sind. 

2009: Weltweite Wirtschaftskrise
Praktisch alle wichtigen Volkswirtschaften stürzen in eine Rezession. Milliardenschwere Konjunkturpakete werden aufgelegt. Weil Niedrigzinsen nicht die erhoffte Wirkung zeigen, überschwemmen Notenbanken die Welt immer mehr mit Geld, indem sie in beispiellosem Ausmass Anleihen kaufen.

2010: Euro-Schuldenkrise
Die Folgen der Rezession – wegbrechende Steuereinnahmen, explodierende Arbeitslosigkeit, steigende Sozialausgaben und in einzelnen Fällen Rettungsmilliarden für Banken – belasten die Staatshaushalte besonders in den schwächeren Volkswirtschaften des Euroraums. Hilfspakete für Griechenland, Portugal, Irland und Zypern müssen geschnürt werden.

Dass die Credit Suisse so glimpflich davonkam, hat seinen Grund auch in der Fortsetzung der Finanzkrise. Nur einen Monat nach dem Lehman-Bankrott erschütterte ein noch viel grösseres Beben den Schweizer Finanzplatz: Bund und Nationalbank mussten die UBS vor dem Untergang retten. In diesem Getöse gingen die Sorgen und Nöte von 20'000 Kleinanlegern unter. «Wir verloren unsere Ersparnisse und keiner musste dafür geradestehen», zieht Fischer ernüchtert Bilanz.

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