Herrscher des Geldes
Das sind die mächtigsten Menschen der Welt

Ihre Macht ist grenzenlos: Die Zentralbanken definieren gerade den Kapitalismus neu. Schuld daran sind die Regierungen, die auch in der Krise sparen.
Publiziert: 29.08.2021 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2021 um 11:11 Uhr
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Am Freitag schaute die Wirtschaftswelt gebannt auf das Jahrestreffen der Zentralbanker in Jackson Hole (USA).
Foto: keystone-sda.ch
Danny Schlumpf

Am Freitag blickte die Weltwirtschaft gebannt auf das Jahrestreffen der Zentralbanker in Jackson Hole (USA). Es fand diesmal nur virtuell statt, doch das Tal in den Rocky Mountains ist zu einem magischen Symbol geworden – zum neuen Herzen des Kapitalismus.

Hier versammeln sich die Herrscher des Geldes. Und noch nie war der Einfluss der Notenbanker so gross: Sie sind die mächtigsten Menschen der Welt.

Vielleicht werde man bald die Anleihenkäufe zurückfahren, sagte Jerome Powell (68), Chef der US-Notenbank Fed. Er machte Andeutungen über Inflation und Arbeitsmarkt – Unternehmer, Analysten und Spekulanten suchten verzweifelt, seine Äusserungen zu interpretieren: Ist die jahrelange Nullzinspolitik wirklich bald zu Ende?

Geld als Löschwasser

Wirtschaft, Gesellschaft und Politik hängen von den Entscheiden der Notenbanker ab – also alles. «Ohne ihre Interventionen würde das globale Finanzsystem und damit der Kapitalismus morgen zusammenbrechen», sagt Joscha Wullweber (47) von der deutschen Universität Witten/Herdecke, der diese Abhängigkeit in seinem neuen Buch «Zentralbankkapitalismus» beschreibt.

Früher steuerten die Notenbanken im Hintergrund die Leitzinsen. «Doch die Finanzkrise von 2008 hat ihre Rolle radikal verändert», sagt Wullweber. Vor allem, weil die Krise andauert: «Sie ist wie ein permanenter Schwelbrand – und die Zentralbanken sind ununterbrochen mit Löscharbeiten beschäftigt.»

Als Löschwasser fungiert das Geld, mit dem sie die Märkte fluten. «Es regiert tatsächlich die Welt», sagt Adriel Jost (36), Chef des Beratungsunternehmens WPuls. «Deshalb kann man die Notenbanker durchaus als mächtigste Menschen der Welt bezeichnen.» Doch ihre Macht habe einen Haken: «Sie müssen immer weiter intervenieren – wissend, dass sie das System damit immer unsicherer machen.»

SNB-Bilanz wächst stark

Vor der Finanzkrise betrugen die Bilanzsummen von Fed und Europäischer Zentralbank (EZB) je eine Billion Dollar. Heute stecken in beiden Notenbanken jeweils über acht Billionen Dollar. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) war vor der Finanzkrise 100 Milliarden schwer. Unter der Führung von Thomas Jordan (58) ist daraus mehr als eine Billion geworden.

«Jordan will vor allem eine Aufwertung des Frankens verhindern», sagt Adriel Jost. «Deshalb kauft die SNB so oft ausländische Währungen.» Sie machen den Grossteil der Bilanz aus – im Unterschied zu Fed und EZB, die vor allem Staatsanleihen kaufen. «Die sind limitiert», sagt Jost. «Die Devisenkäufe hingegen sind es nicht. Deshalb kann die SNB ihre Bilanz theoretisch nach Belieben ausdehnen.»

Die Folgen zeigt ein Vergleich der Bilanzen zum Bruttoinlandprodukt (BIP): In dieser Kategorie kommt keine Zentralbank auch nur in die Nähe der SNB. Doch Wullweber relativiert: «Die SNB gehört zu den wichtigsten Zentralbanken weltweit. Ausserdem hat der Schweizer Bankensektor eine enorme Bedeutung in diesem kleinen Land. Deshalb überrascht es nicht, dass die SNB-Bilanz im Verhältnis zum BIP so stark wächst.»

Der Kapitalismus selbst ist bedroht

Das ändere allerdings nichts an der Krisenhaftigkeit des Gesamtsystems, sagt Wullweber. Dabei sei es zu einfach, die Schuld den Notenbankern zu geben: «Trotz äusserst niedrigen Zinsen gibt es nur relativ wenige Firmengründungen und kaum grosse Investitionen. Dafür sind aber die Regierungen verantwortlich, die keine Planungssicherheit schaffen, sondern sogar in der Krise weiter sparen wollen.»

Deshalb stossen die Notenbanker in völlig neue Felder vor, zum Beispiel in die Klimapolitik: EZB-Chefin Christine Lagarde (65) treibt den Ankauf von grünen Unternehmensanleihen voran. «Damit zeigt sie sich deutlich weitsichtiger als die meisten Wirtschaftsminister», sagt Wullweber. Bloss: Mit ihrem Geld können die Zentralbanken zwar den Finanzsektor beeinflussen, aber nicht direkt in die produktive Wirtschaft investieren. Wullweber: «Das müssen die Regierungen tun.»

Auf dem Spiel steht der Kapitalismus selbst. «Die Zentralbanken haben auf Zuruf der Politik ein Ungeheuer geschaffen, das letztlich den Kapitalismus auslöscht», sagt Adriel Jost. «Sie lassen keine Rezessionen mehr zu, keine Firmenkonkurse und keine Bankpleiten.» Deshalb gingen Finanzmarktakteure und Unternehmen immer mehr Risiken ein – weil sie wissen, dass ihnen nichts passiert. «So bereiten die Zentralbanken bereits die nächste Krise vor.»

Ein Teufelskreis. In seinem Zentrum stehen die Herrscher des Geldes – und wissen nicht, wohin mit ihrer Macht.

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