Wegen eines Unfalls musste er den ersten Gesprächstermin absagen. Zigarrenpatron Heinrich Villiger (86) war mit dem Mountainbike unterwegs, als ein Ball zwischen dessen Räder geriet. Villiger stürzte kopfüber, verletzte sich am Knie und an der Hand. Das Bike seiner 2003 verkauften Velomarke Villiger war zerstört. «Zum Glück habe ich einen Helm getragen», sagt er Wochen später.
Nun hat er schwere Beine. Nicht vom Unfall. Er ist gerade von einer dreitägigen Tabakmesse in Dortmund (D) zurückgekehrt. Seit über 50 Jahren führt Villiger den gleichnamigen Zigarrenkonzern mit Hauptsitz in Pfeffikon LU. Anzutreffen ist er aber in der Produktionsstätte im süddeutschen Waldshut-Tiengen – sein Grossvater gründete 1910 diesen weiteren Standort, um die Zigarren einfacher in Deutschland abzusetzen.
Villiger wohnt in der Nähe auf einem Bauernhof. «Für den Garten habe ich leider zu wenig Zeit», sagt er und zündet sich eine Tobajara an, eine in Brasilien handgerollte Zigarre. Rauch verhüllt sein Gesicht.
Einen Tag unter der Woche frei
Noch immer arbeitet der Firmeninhaber täglich zehn Stunden – als hätte das Alter für ihn keine Bedeutung. Im Januar ist er Urgrossvater geworden. «Ich bin wohl der einzige Urgrossvater, der ein Tabakunternehmen führt.» Ein Lachen huscht über sein Gesicht. Dann erzählt er weiter, von «Tubak», Zigarren, der kubanischen Revolution, Fidel Castro. Noch immer reise er mehrmals jährlich nach Übersee. «Meine Frau möchte, dass ich kürzertrete.»
Vor einem halben Jahr hat er mit Robert Suter (58), dem ehemaligen Chef des Industriekonzerns Conzzeta, einen CEO eingestellt. Ihm will der Patron die Geschicke des Unternehmens nach und nach übergeben. Suter sei nun eingearbeitet. «Einen Tag unter der Woche möchte ich zu Hause bleiben, im Garten werkeln», sagt Villiger. Allerdings betreibt er in Waldshut-Tiengen (D) im selben Haus eine Zweitfirma, einen Exklusivvertrieb für kubanische Edelzigarren. Zehn Millionen Stück befinden sich an Lager. «Da kann ich mich noch voll und ganz austoben.»
Heinrich Villigers Leben wird wohl einst enden, wie es begonnen hat: mit Tabak. Seine Eltern führten in Pfeffikon eine mittelgrosse Fabrik – gegründet wurde sie 1888 von Grossvater Jean. Nach der Matura schickte der Vater Heinrich nach Übersee. «Es war klar, dass ich als ältester Sohn in die Firma gehe.» Doch erst sollte er in Kuba, der Dominikanischen Republik und den USA das Tabakgeschäft aus erster Hand lernen. Als der Vater 1966 starb, übernahmen er und sein jüngerer Bruder Kaspar Villiger (75) den Betrieb. Als Kaspar 1989 Bundesrat wurde, nahm Heinrich die Zügel ganz in die Hände.
Zunehmend rigorose Vorschriften
Mit jährlich 1,5 Milliarden hergestellten Zigarren und Zigarillos gehört die Villiger Söhne AG heute zu den sechs grössten Konzernen im Zigarrenmarkt. Der gerät aber zunehmend unter Druck. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mache ihnen mit immer rigoroseren Vorschriften das Leben schwer, sagt Villiger und zieht kräftig an der Zigarre. «Nun müssen wir sogar auf der Innenseite der Schachtel Warnkleber aufdrucken.» Dafür hätten sie kürzlich eine Million Franken investieren müssen.
«Meine Kunden sind doch Genussraucher. Man sollte sie nicht bevormunden.» Zum ersten Mal wird seine sonst ruhige Stimme laut. Der Kampf mit der WHO ist Villigers Lieblingsthema – allerdings steht es in einem gewissen Widerspruch zu seiner eigenen Gesundheit. Vor zehn Jahren erlitt er mitten in der Nacht einen Herzinfarkt. «Der Arzt wollte mir danach nur noch eine Zigarre pro Tag erlauben. Vorher rauchte ich bis zu zehn Stück.» Drei sind es heute. Gerne raucht er morgens, wenn er die E-Mails liest, die ihm ein Mitarbeiter ausdruckt. Villiger benutzt keinen Computer. Auch kein Handy.
Arbeiten will er, solange es geht. «Der Arzt meinte zwar, ich bräuchte einen Herzschrittmacher.» Aber das wolle er nicht. «Mit einem Herzschrittmacher stirbt man ja nicht. Und wenn doch, läuft er einfach weiter.» Villiger zieht noch einmal genussvoll an der Zigarre, fast die Hälfte ist aufgeraucht.
Der grosse Patron legt sie behutsam auf den Aschenbecher und lässt sie weiterbrennen. Seine beiden Töchter werden das Unternehmen nicht übernehmen, sie haben andere Pläne. Heinrich Villiger hofft darum, dass dereinst einer der beiden Enkel sein Vermächtnis weiterführen wird.