Ihr Lebenslauf macht Männer und Frauen neidisch. Iris Bohnet ist 56, Professorin an einer der renommiertesten Universitäten der Welt, sitzt seit zehn Jahren im Verwaltungsrat der Credit Suisse – und ist auch noch zweifache Mutter. SonntagsBlick trifft sie per Videocall zum Interview.
Professor Bohnet, ich frag mal provokativ: Sind Sie nicht das beste Beispiel dafür, dass Frauen alles schaffen können, wenn sie nur wollen?
Iris Bohnet: Natürlich nicht! Wie bei jeder Biografie waren Menschen, die mich unterstützt haben, entscheidend. Bei mir sind es mein Mann und meine Eltern. Man sollte auch Glück und Zufall nicht unterschätzen. Manchmal ist man schlicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort – das heisst nicht, dass ich nicht hart gearbeitet habe. Viel ist möglich, wenn man wirklich viel Zeit und Energie investiert und auch manchen Preis zahlt. Aber die ersten beiden Faktoren sind wichtiger.
Der «Tagesschau»-Sprecher Franz Fischlin hört auf, damit er sich um die Familie kümmern kann, während seine Frau beim SRF durchstartet. Hat Ihr Mann auch für Ihre Karriere zurückgesteckt?
Wir beide mögen die USA gern, mein Mann hat ebenfalls schon hier studiert. Aber er ist für meinen Job mit mir hierhergezogen.
Sie forschen viel zu unbewussten Vorurteilen, dem sogenannten Gender Bias. Womit muss ich als 30-jährige Frau, verheiratet, rechnen, wenn ich mich irgendwo bewerbe?
Erst mal damit, dass Sie seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Wenn Sie etwa ein Kopftuch tragen würden oder einen Migrationshintergrund hätten, verringert sich die Wahrscheinlichkeit für eine Einladung weiter. Muss man in der Schweiz noch ein Bewerbungsfoto mitschicken?
Das ist im Gegensatz zu den USA hier immer noch üblich, ja.
Wir wissen aus der Forschung, dass Arbeitgeber denken, Aussehen und Attraktivität hätten etwas mit der Eignung für einen Job zu tun. Für Sie heisst das leider: Wenn Sie sich für eine «typisch weibliche Rolle» bewerben, steigen Ihre Chancen, wenn Sie besonders weiblich aussehen. Bei einem anderen Job eher, wenn Sie unweiblich auftreten. Was natürlich die völlig falsche Message ist, der Arbeitsplatz sollte sich anpassen, nicht der oder die Bewerberin. Aber das ist eben so in den Köpfen des Interviewers, der Interviewerin drin. Genauso wie ein Haufen Dinge, die Sie gar nicht beeinflussen können: Haben Sie eine Auszeit im Lebenslauf, etwa wegen Mutterschaft, wird das tendenziell negativ beurteilt. Und auch wenn es illegal ist, Sie nach Ihrer Familienplanung zu fragen, werden Arbeitgeber das bei Ihnen einbeziehen. Bei einem Mann hingegen nicht.
Kann man dagegen was machen?
Als einzelne Person ist das wahnsinnig schwierig. Das steckt in uns allen. Ein Beispiel: Bei meiner ersten Lohnverhandlung, als ich 1998 ein Jobangebot als Assistenzprofessorin in Harvard bekam, hab ich gar nicht verhandelt, sondern mich nur bedankt. Das war natürlich dumm. Das ist mir nie wieder passiert.
Wie haben Sie bei künftigen Verhandlungen das Problem gelöst, dass es einer Frau eher negativ ausgelegt wird, wenn sie fordernd auftritt?
Ich habe die unbewussten Vorurteile auf den Tisch gelegt. Ich habe die Rollenbilder in unseren Köpfen thematisiert und zu meinem damaligen Dekan gesagt: «Ich möchte das Gleiche verdienen wie ein Mann in meiner Rolle. Und ich weiss, dass wenn ich jetzt aggressiv verhandle, ich nicht dem Stereotyp entspreche, dass Frauen eher nett und kooperativ sein sollen. Und wenn man so eine normative Vorstellung verletzt, kann es sein, dass das dem Gegenüber unangenehm ist. Ich möchte natürlich nicht, dass ich dir nicht mehr sympathisch bin, aber trotzdem möchte ich gleich viel Lohn. Und ich bin mir sicher, du möchtest auch niemand sein, der ungleich bezahlt.» Ich weiss nicht, ob das die Universallösung ist, aber bei mir hats geklappt.
Später waren Sie selbst Dekanin. Haben Sie auch sich selbst mal dabei ertappt, dass Sie eine Frau bei der Einstellung unfair behandelt haben?
Ja, als ich das erste Mal eine sehr erfolgreiche, bekannte Wissenschaftlerin eingestellt habe. Ich habe ihr ein Angebot gemacht, und sie hat es einfach angenommen. Das hatte ich nicht erwartet. Man kann ja immer ein bisschen verhandeln – da ein bisschen Forschungsgeld mehr, dort ein bisschen mehr Unterstützung und Personal. Nachdem sie das Angebot einfach angenommen hat, habe ich noch mal mit mir selbst verhandelt und bin auf sie zugegangen und habe mein Angebot erhöht.
Was haben Sie daraus gelernt?
Dass Transparenz wichtig ist. In dem Fall darüber, worüber man verhandeln kann und worüber nicht. Ich habe ja auch immer noch die Institution vertreten. Aber jemandem aufzuzeigen, wo sich noch was machen lässt, hilft. Dann muss die Bewerberin – oder auch der Bewerber – keine Angst mehr haben, dass sie oder er unanständig rüberkommt. Es gibt spannende Forschung dazu, was es auslöst, wenn zum Beispiel schon in der Stellenanzeige steht, dass der Lohn verhandelbar ist. Das wirkt viel einladender. Bei Frauen muss man im Kopf das Tabu brechen und gleichzeitig Organisationen so ändern, dass sie Frauen für ein forderndes Auftreten nicht abstrafen. Sonst entgeht ihnen auch einfach zu viel Talent.
Sie arbeiten leidenschaftlich daran, mehr Beweiskraft in die Frage nach Diversity zu bringen. Was war Ihre überraschendste Erkenntnis der vergangenen Jahre?
Eine, die noch gar nicht publiziert ist: Wir haben ein Projekt mit einer Regierung gemacht. Die hatte den besten Bewerberinnen und Bewerbern, denen sie absagen musste, extra geschrieben, dass sie sich bei künftigen Ausschreibungen erneut bewerben sollten. Männer bewarben sich etwa doppelt so häufig erneut. Wir haben ausprobiert, was passiert, wenn man diesen Bewerbern nicht nur mitteilt, dass sie gut waren, sondern dass sie zu den Top 20 Prozent gehörten. Unsere Vermutung war, dass es einen kleinen Geschlechter-Unterschied beim Selbstvertrauen gibt und diese Transparenz Frauen den zusätzlichen Schub verleihen könnte. Unsere Forschung hat das dann bestätigt. Überraschend war allerdings, dass es sich nicht nur ausgeglichen hatte, sondern sich jetzt sogar minimal mehr Frauen als Männer bewarben.
Woran liegt das?
Dazu machen wir gerade noch eine Studie. Aber wir vermuten, dass viele Männer vielleicht sogar dachten, sie hätten zu den besten fünf Prozent und nicht «nur» zu den Top 20 Prozent gehört.
Ringier will mit EqualVoice – ähnlich wie die britische BBC oder das SRF – die Gleichstellung und Sichtbarkeit von Frauen in den Medien erhöhen. Warum ist das wichtig?
Weil dadurch – genau wie in anderen Firmen – etwas zur Norm wird. Gewisse Sachen macht man dann nicht mehr, die sind nicht mehr akzeptabel: Etwa Talkshows komplett männlich zu besetzen. Die Zuhörer und Zuhörerinnen, die Leserschaft, die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer erwarten dann mit der Zeit auch etwa mehr Expertinnen, und die wiederum sind durch die Vorbilder gewillter, in den Medien aufzutreten.
Ist eine harte Quote dafür besser oder eine Selbstverpflichtung, wie es bei der EqualVoice-Initiative der Fall ist?
Die Quote hat einen grossen Vorteil: Sie kommt über Nacht, wirkt also wahnsinnig schnell. Ein freiwilliges Ziel wird hingegen «erlernt», so wird aus der Revolution eine Evolution. Das verhindert aber auch Gegenwind, nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen, die selbst keine «Quotenfrau» sein möchten. Aus meiner Perspektive als Verhaltensökonomin arbeite ich eher daran, das evolutionär zu machen, sich klare Ziele zu setzen und diese transparent zu machen. So können Zuhörerinnen, Leser oder Aktionärinnen etwas dazu sagen.
Sollten wir Medien nicht die Realität abbilden – statt sie mit Quoten zu verzerren?
Man darf bei keiner Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Geschichte oder Perspektive nur ein Kriterium anwenden. Im Journalismus herrscht natürlich auch ein hoher Zeitdruck, und Sie sind abhängig von der Nachrichtenlage. Wenn Sie zum Beispiel über die deutsche Regierung berichten, hatten Sie es letztes Jahr mit einer Bundeskanzlerin zu tun, dieses Jahr mit einem Bundeskanzler. Was die BBC macht, gefällt mir deswegen gut. Dort gilt die Selbstverpflichtung überall, wo Journalistinnen und Journalisten den Anteil von Frauen und Männern beeinflussen können: etwa bei Talkshows oder Interviews mit Expertinnen und Experten.
Schafft es eine männlich dominierte Redaktion, diesen notwendigen Kulturwandel durchzuziehen?
Das ist schwieriger, aber wir haben keine Wahl. Die meisten Redaktionen wie auch Unternehmen sind mehrheitlich männlich. Deswegen ist der systemische Ansatz so wichtig. Wir müssen den Männern unter die Arme greifen und sie sensibilisieren, was Leserinnen oder Zuhörerinnen wollen. Sonst entgehen Frauen ihnen als Publikum – und damit zum Beispiel auch Werbeeinnahmen. Und ich finde schon, dass eine Initiative, die es ernst meint, auch personelle Konsequenzen haben sollte. Es ist nicht glaubwürdig, wenn man in der Berichterstattung auf 50:50 setzt, im eigenen Haus aber Chancengleichheit nicht lebt.
Beim EqualVoice Summit am Montag in Zürich dreht sich alles um die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien. Das Event will die Medien-Industrie über die Schweiz hinaus für das Thema sensibilisieren. Neben Harvard-Professorin Iris Bohnet gehören Bundesrätin Karin Keller-Sutter (58) und die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney (44) zu den Top-Speakerinnen.
Beim EqualVoice Summit am Montag in Zürich dreht sich alles um die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien. Das Event will die Medien-Industrie über die Schweiz hinaus für das Thema sensibilisieren. Neben Harvard-Professorin Iris Bohnet gehören Bundesrätin Karin Keller-Sutter (58) und die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney (44) zu den Top-Speakerinnen.