Vor Wochenfrist war die Welt von Pierin Vincenz (61) noch in Ordnung. Von seiner grossen Terrasse aus konnte der ehemalige Raiffeisen-CEO seinen Blick auf den verschneiten Alpstein schweifen lassen und tief durchatmen. Seit einer Woche sitzt er im Knast. Aussicht? Höchstens bis zum Gitter vor dem Fenster. Die Luft im Gefängnis dürfte auch um einiges stickiger sein.
Seit die Polizei im Morgengrauen die Millionen-Villa von Vincenz im Appenzellerland auf den Kopf gestellt hat, schläft Vincenz nur noch auswärts. Im Zürcher Polizeigefängnis und seit vergangenem Freitag in Untersuchungshaft.
Zehn Quadratmeter Platz
Vincenz’ neues Zuhause ist alles andere als luxuriös: 23 Stunden liegt der Banker wohl auf seiner Pritsche und starrt an die Decke. Die Zelle ist zehn Quadratmeter klein, verfügt über einen Tisch, ein Brett, das an die Wand geschraubt als Hocker dient. Das Klo – ohne Deckel – steht am Rand der Zelle. Einen Hauch von Luxus verbreiten TV, Radio, ein Aschenbecher und ein Wasserkocher.
Eine Stunde pro Tag darf Vincenz an die frische Luft. In einem vergitterten Hof kann er sich die Füsse vertreten. Immerhin: Besuche darf er nur hinter Glas empfangen. Intimsphäre? Gleich null. Die Gespräche werden aufgezeichnet. Duschen darf Vincenz zweimal pro Woche je zehn Minuten lang.
Leidet er an einer Haftpsychose?
Wie Vincenz die U-Haft verkraftet, ist ungewiss. Gerade ein Mann, der mitten im Leben stand und plötzlich die Luxusvilla gegen eine Zelle tauschen muss, läuft Gefahr, eine Haftpsychose zu erleiden. Eine Erkrankung, die durch die Verhaftung und den Freiheitsentzug ausgelöst wird.
Häftlinge erleben durch den Freiheitsentzug eine brutale Veränderung: Sie vermissen ihr Umfeld, leben ohne Kontakt zur Aussenwelt und – besonders belastend – sie wissen nicht, wie lange sie in Isolation bleiben müssen. Symptome der Haftpsychose sind Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Angstzustände oder Suizidgedanken.
Unschuldige leiden besonders
Besonders kurz nach der Inhaftierung kann es zu einem sogenannten Haftschock kommen. Dem Verhafteten werden die Folgen der Haft bewusst. Angst und Scham über die Inhaftierung machen sich breit. Besonders unschuldige Häftlinge leiden. Sie können mit dem Leben hinter Gittern schlechter umgehen als Gewohnheitsverbrecher.
Pierin Vincenz wird vorgeworfen, sich privat an kleinen Firmen beteiligt zu haben. Später sollen sie dann von Raiffeisen oder der Aduno-Gruppe übernommen worden sein. Die zentrale Frage: Hat sich Vincenz bei diesen Deals persönlich bereichert? Um das abzuklären, sitzt der charismatische Bündner in Untersuchungshaft. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.