Teenager, die eine Lehrstelle suchen, gehen schnuppern. Oder arbeiten in den Ferien eine Woche lang im Betrieb mit. So wird schnell klar, ob der Job gefällt und der Jugendliche ins Team passt.
Einen anderen Weg schlägt die Hairstylist Pierre AG ein. Die Firma mit Sitz in Horn TG betreibt 13 Salons unter dem Namen Hairstylist Pierre, 15 Salons der Kette Cut and Color und die P2 Hairacademy in Winterthur ZH.
Wer bei der Hairstylist Pierre AG eine Lehre machen will, muss vorher ein Jahr lang die «Akademie» besuchen und an zwei Tagen pro Woche im Salon arbeiten – ohne Lohn. Und ohne Garantie, später eine Lehrstelle zu bekommen.
1500 Franken für die «Ausbildung»
Wer von Pierre eine Stelle angeboten erhält, aber bei einem anderen Salon unterschreibt, der musste bis im Sommer 2017 stolze 1500 Franken für die «Ausbildung» zurückzahlen. Das steht in einem Vertrag, der BLICK vorliegt. Ab dem aktuellen Schuljahr falle diese Pflicht weg, so ein Firmensprecher.
Das Modell der Hairstylist Pierre AG stösst der Unia sauer auf. Deshalb hat sie der Coiffeurkette gestern einen Schmähpreis überreicht. Eine Fussmatte mit der Aufschrift «Wir sind keine Fussabtreter».
«Das Vorgehen von Pierre grenzt an Ausbeutung. Man macht 15- oder 16-Jährigen Hoffnung, eine Lehrstelle zu bekommen. Lässt sie zuvor aber ein Jahr lang gratis arbeiten», sagt Kathrin Ziltener (23), Nationale Jugendsekretärin bei der Unia.
«So vermeiden wir Härtefälle»
Unter Umständen kriegen sie aber keinen Lehrvertrag und haben ein Jahr verloren. «Wir führen in der Academy standardisierte Quali-Gespräche durch, das erste nach einem Monat. So vermeiden wir Härtefälle», entgegnet der Sprecher.
Die Unia hält das für eine Geschäftsstrategie. «Indem man Praktikanten gratis arbeiten lässt, hat man tiefere Lohnkosten als die Konkurrenz und kann tiefere Preise offerieren.» Erstaunlich, dass sich Coiffeure mit besseren Ausbildungsbedingungen nicht gegen diese Praxis wehren.
Der Pierre-Sprecher winkt ab: «Das ist kein Geschäftsmodell, sondern ein erfolgreiches Ausbildungsmodell.» Über 60 Prozent der Abgänger würden später fest angestellt. Die Lehrabbruchquote sei 50 Prozent tiefer als im Rest der Branche.
«Nur Pierre profitiert von der Academy»
Für die Unia ist klar: «Dieses Praktikumsjahr braucht es nicht. Die dreijährige Lehre genügt», sagt Ziltener. Nur Pierre profitiere davon: «Nach dem Academy-Jahr können die Lehrlinge vom ersten Tag an voll eingesetzt werden.»
Dem sei nicht so, heisst es beim Schmähpreis-Träger: «Das Jahr bei der Academy ist kein Praktikumsjahr, sondern ein zusätzliches Ausbildungsjahr.» Man sei überzeugt, dass die Absolventen deswegen besser ausgebildet seien und bessere Karrieremöglichkeiten hätten.
«Wir sehen keinen Bedarf, den Lehrplan der Academy grundsätzlich zu hinterfragen», sagt er. Man sei aber immer offen, wenn es darum gehe, die Ausbildung zu verbessern.