Es ist kurz vor 10 Uhr, noch schnell einen Kaffee an der Bar, dann beginnt die Pressekonferenz. Diese Idee habe nicht nur ich, sondern auch ein geschniegelter Anzugträger mit Gel im Haar. Er saugt an seiner Muratti, als ob es die letzte wäre, bedrängt den Barista, ihm einen weiteren Doppio zu bringen. «Now they gonna kill me!» (Sie werden mich umbringen), raunt er ihm verschwörerisch zu, kippt den Kaffee in sich hinein und verschwindet.
Minuten später sehe ich den Mann wieder: Der Kaffeetrinker ist der neue Chef der Genfer Warenprüffirma mit dem umständlichen Namen Société Générale de Surveillance. Sergio Marchionne, damals 50, soll die abgetakelte und von Skandalen zerrüttete Firma fit trimmen.
Der Italo-Kanadier hat an diesem Januarmorgen im Jahr 2002 leichtes Spiel. Kein Analyst und kein Journalist will ihn umbringen. Alle lauschen andächtig seinen Worten und machen keinen Pieps.
Studierter Philosoph
Marchionne eilt bereits ein Ruf als knallharter Macher voraus. Zuvor hatte er mit der Alusuisse eine Ikone der Schweizer Industrie zerschlagen. Eher zufällig durch eine Übernahme in die Schweiz gekommen, verdrängte der studierte Philosoph erst die designierte Chefin Dominique Damon und filettierte dann die Firma. Die Gewerkschaften protestierten, die Aktionäre – allen voran der spätere Bundesrat Christoph Blocher (77) und sein damaliger Kompagnon Martin Ebner (72) – wurden um eine Milliarde reicher.
Die SGS wird Marchionnes zweites Gesellenstück. Bei seinem Auftritt im abgedunkelten Saal an der Schweizer Börse ist er enerviert über die Kultur, die er in Genf antraf: viel zu kompliziert, viel zu umständlich, viel zu langsam. Sein Credo ist das genaue Gegenteil: «Business is easy.»
Aktienkurs verdreifacht sich
Bei der Genfer Traditionsfirma bleibt kein Stein auf dem anderen – und kaum ein Angestellter auf seinem Posten. Marchionne spitzt drei Hierarchieebenen heraus, stellt 3000 Leute auf die Strasse und verkürzt Namen auf die drei Buchstaben SGS.
In zwei Jahren verdreifacht sich der Aktienkurs. Die Familie Agnelli, die zu den grössten SGS-Teilhabern zählt, holt den talentierten Manager zu sich nach Turin. Mit Fiat wartet dort die nächste Firma mit grosser Vergangenheit, aber ohne Zukunft auf einen Kettenraucher, der nicht lange fackelt.