Grounding und abgewendeter Bankenkollaps hatten mehr miteinander zu tun, als bisher bekannt
Wie die Swissair die UBS rettete

Was hat das Swissair-Grounding mit der UBS-Rettung zu tun? Sehr viel, sagt der ehemalige BLICK-Chef Bernhard Weissberg. In seinem Buch erzählen sechs Insider, wie das historische Gedächtnis helfen kann, Krisen zu bewältigen.
Publiziert: 04.08.2019 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 05.08.2019 um 11:38 Uhr
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Das Grounding der Swissair 2001 war ein beispielloser Schock für die Schweiz.
Interview: Sven Zaugg

Das Grounding der Swissair 2001 war ein beispielloser Schock für die Schweiz. Und so war es die UBS-Rettung nur knapp sieben Jahre später. Die Schweiz, ein Land, geradlinig, erfolgsverwöhnt, stabil und verlässlich, verlor seine Unschuld. Das Vertrauen in die hiesige Wirtschaftselite und Politik bröckelte – und ist bis heute durch diese zwei grössten Wirtschaftskrisen nach der Jahrtausendwende angeschlagen. In seinem neuen Buch «Wie die Swissair die UBS rettete» analysiert Bernhard Weissberg die beiden Unternehmenskrisen. 

BLICK: Was hat der Fall UBS mit dem Grounding der Swissair zu tun?
Bernhard Weissberg: Vor gut zehn Jahren wurde die UBS  mit einem ausgefeilten Masterplan gerettet. 2001 ging die Swissair als Lieblingsfirma der Nation hingegen zu Boden. Hatte dies miteinander zu tun? Beide Krisen waren eine grosse Zäsur in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte und bleiben so in der Erinnerung der Menschen. Deshalb dachte ich mir, es lohnt sich, einen Blick zurück zu werfen und die beiden Ereignisse zu vergleichen.

Wo sind die Parallelen?
Zwei Mal innerhalb von zehn Jahren standen zwei namhafte Unternehmen vor dem Aus: Die Swissair groundete 2001, die UBS stand sieben Jahre später vor dem Abgrund. Beide Male liess ein Grossereignis in den USA die schwelende Krise ausbrechen. Beide Male mussten die Chefs an der Spitze gehen. Und beide Male war die Nachfolgecrew zu wenig stark, um die Unternehmen allein vor dem Untergang zu retten. Zwei Male wurde der Staat dadurch gezwungen, einzugreifen.

Bernhard Weissberg: «Als Chefredaktor von BLICK und SonntagsBlick habe ich hautnah miterlebt, wie sich Manager von Swissair und UBS bei mir über Details in der unsrigen Berichterstattung enervierten. Dabei hatten sie offensichtlich ganz andere Probleme. Das macht man nur, wenn man den Überblick verliert.»

Bei der Swissair ging es um ein Versagen von Wirtschaft und Politik rund um die FDP, bei der UBS waren die Gelüste, die drittgrösste Bank der Welt zu werden und die Subprime-Krise Gründe für die Krise.
Natürlich liegen die beiden Fälle anders. Die interessante Frage ist jedoch, welche Netzwerke haben damals versagt? Wie kommt man aus einer solchen Krise wieder heraus? Kann man aus der Geschichte lernen?

Welche Lehren haben die UBS-Manager, die Behörden und die Nationalbank aus dem Grounding der Swissair gezogen?
Zum Beispiel, dass man eine aktuelle Krise nicht mit einer vergangenen Krise eins zu eins vergleichen darf. Die damaligen Verantwortlichen (Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand, der Direktor der Finanzverwaltung des Bundes, Peter Siegenthaler und der Direktor der Bankenkommission, Daniel Zuberbühler) haben die Rettungsstrategie für die UBS aus mindestens drei Krisen destilliert.

Welchen?
Der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren als internationale Dimension der Finanzkrise, der Immobilienkrise der Schweiz von 1991 als nationaler Präzedenzfall – und der Swissair, was gescheitertes Krisenmanagement an und für sich anbelangt. Das historische Gedächtnis half durchaus, die Krise zu bewältigen.

Was wurde konkret unternommen?
Die Manager wollten in der Finanzkrise vor allem Fehler auf zwei Ebenen nicht wiederholen. Ersten operativ: Sie setzten auf straffes Krisenmanagement statt Führungslosigkeit, bauten kurze und schnelle Entscheidungswege und planten ihre Kommunikation minutiös.

Das Grounding der Swissair

«Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge durchzuführen.» Was die Frauenstimme aus den Lautsprechern des Flughafens Zürich an diesem Dienstag, 2. Oktober 2001, kurz nach 16 Uhr, verkündete, durchfuhr das Land wie ein Schock. Sie kündigt das vorläufige Ende der Swissair an. Das eigentliche Grounding der Swissair knüpft nahtlos an die Verhandlungen in den Tagen zuvor an: Es verläuft chaotisch.

Später werden sich Geschäftsleitung und Banken gegenseitig die Schuld zuweisen: Der damalige Swissair-Chef Mario Corti wird sagen, er habe schlichtweg kein Geld mehr gehabt, die Banken werden sagen, es seien noch zweistellige Millionenbeträge da gewesen. Dem Fiasko vorausgegangen war die ruinöse Hunter-Strategie des ehemaligen Swissair-Chefs Philippe Bruggisser. Die Strategie mit Beteiligungen an 14 Airlines scheiterte grandios. Als alles zu spät war, legten Bund und Banken die Hände in den Schoss. Die Swissair war Geschichte. Sven Zaugg

SWITZERLAND SWISSAIR GROUNDING
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«Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge durchzuführen.» Was die Frauenstimme aus den Lautsprechern des Flughafens Zürich an diesem Dienstag, 2. Oktober 2001, kurz nach 16 Uhr, verkündete, durchfuhr das Land wie ein Schock. Sie kündigt das vorläufige Ende der Swissair an. Das eigentliche Grounding der Swissair knüpft nahtlos an die Verhandlungen in den Tagen zuvor an: Es verläuft chaotisch.

Später werden sich Geschäftsleitung und Banken gegenseitig die Schuld zuweisen: Der damalige Swissair-Chef Mario Corti wird sagen, er habe schlichtweg kein Geld mehr gehabt, die Banken werden sagen, es seien noch zweistellige Millionenbeträge da gewesen. Dem Fiasko vorausgegangen war die ruinöse Hunter-Strategie des ehemaligen Swissair-Chefs Philippe Bruggisser. Die Strategie mit Beteiligungen an 14 Airlines scheiterte grandios. Als alles zu spät war, legten Bund und Banken die Hände in den Schoss. Die Swissair war Geschichte. Sven Zaugg

Zweitens?
Strategisch: Eine gute Vorbereitung, die enge Zusammenarbeit mit den Behörden und die klare Rollenverteilung waren prioritär. Bei der Swissair hatte man sich noch auf das Netzwerk, auf die Schweiz AG verlassen. Auf jene Männerbünde also, die damals das Sagen hatten. Es hat sich jedoch gezeigt, dass solche Netzwerke zwar beim Aufstieg helfen können, bei der Bewältigung von Krisen jedoch auseinander fallen. Die Schweizer Elite wendet sich sehr schnell von Managern ab, die versagen.

Wie beurteilen Sie das Verhalten der Manager während solcher Krisen?
Der Horizont der Manager verengt sich schnell. Sie verlieren oft das Bewusstsein für ihre Rolle, sehen das grosse Ganze nicht mehr. Als Chefredaktor von BLICK und SonntagsBlick habe ich hautnah miterlebt, wie sich Manager von Swissair und UBS bei mir über Details in der unsrigen Berichterstattung enervierten. Dabei hatten sie offensichtlich ganz andere Probleme. Das macht man nur, wenn man den Überblick verliert.

Menschen lernen bis auf Ausnahmen nicht durch Belehrung, sondern – wenn überhaupt – aus eigenen Erfahrungen. Gab es ein Art Gedächtnis, das half, die UBS-Krise zu bewältigen?
Auf jeden Fall. Das Grounding der Swissair hat Narben hinterlassen. Peter Kurer zum Beispiel war Rechtschef bei der UBS, als die Swissair unterging, und bei der UBS-Krise war er der letzte Kapitän, der mithalf, die Bank aus dem Schlamassel zu ziehen. Peter Siegenthaler war zehn Jahre lang Chef der Bundesfinanzen, hatte 2001 unter dem damaligen Bundesrat Kaspar Villiger das Grounding miterlebt und später das Rettungspaket für die UBS aufgegleist. Beide wussten ganz genau: Es darf kein zweites Grounding geben.

So lief die UBS-Rettung

Am Donnerstag, 16. Oktober 2008, kurz vor sieben Uhr, riss eine Mitteilung des Bundesrats die Schweiz aus dem Schlaf. In nur leicht verklausulierter Form teilte er dem Land darin mit, dass die grösste Schweizer Bank vor dem Kollaps stehe und sie deshalb vom Staat gerettet werden müsse. Die UBS gehörte zu den Banken, die sich am amerikanischen Immobilienmarkt besonders stark verspekuliert und entsprechend Milliarden-Verluste eingefahren hatten. Dann präsentierten der Bund und die Schweizerische Nationalbank die Lösung: Als Lehre aus dem Swissair-Grounding hatten sie bereits 2002 mit der Ausarbeitung von Rettungsplänen für die Grossbanken begonnen. Am 16. Oktober 2008 sprachen der Bund und die Nationalbank der UBS bis zu 60 Milliarden Dollar zu: Davon sollten 54 Milliarden Dollar von der Nationalbank in eine Zweckgesellschaft zum Erwerb von der «giftigen» Wertpapieren der UBS fliessen. Der Bund selbst stellte der angeschlagenen UBS sechs Milliarden Franken in Form einer Pflichtwandelanleihe zur Verfügung. Die UBS war gerettet. Sven Zaugg

Am Donnerstag, 16. Oktober 2008, kurz vor sieben Uhr, riss eine Mitteilung des Bundesrats die Schweiz aus dem Schlaf. In nur leicht verklausulierter Form teilte er dem Land darin mit, dass die grösste Schweizer Bank vor dem Kollaps stehe und sie deshalb vom Staat gerettet werden müsse. Die UBS gehörte zu den Banken, die sich am amerikanischen Immobilienmarkt besonders stark verspekuliert und entsprechend Milliarden-Verluste eingefahren hatten. Dann präsentierten der Bund und die Schweizerische Nationalbank die Lösung: Als Lehre aus dem Swissair-Grounding hatten sie bereits 2002 mit der Ausarbeitung von Rettungsplänen für die Grossbanken begonnen. Am 16. Oktober 2008 sprachen der Bund und die Nationalbank der UBS bis zu 60 Milliarden Dollar zu: Davon sollten 54 Milliarden Dollar von der Nationalbank in eine Zweckgesellschaft zum Erwerb von der «giftigen» Wertpapieren der UBS fliessen. Der Bund selbst stellte der angeschlagenen UBS sechs Milliarden Franken in Form einer Pflichtwandelanleihe zur Verfügung. Die UBS war gerettet. Sven Zaugg

Sie sagen es! In der Schweiz bleiben die Eliten gern unter sich, insbesondere in Politik und Wirtschaft. Birgt diese Nähe bei der Bewältigung von Krisen nicht Gefahren?
Der Parlamentsbericht zur UBS sagt ganz klar, dass die Aufsichtsbehörden zu leichtgläubig agierten. Die Verantwortlichen bei der Aufsicht wollten damals lange nicht wahrhaben, wie mies es um die UBS stand. Sie haben alles daran gesetzt, die UBS in gutem Licht erscheinen zu lassen. Die Objektivität hat gefehlt.

Gerade in einem sehr kleinteiligen Land wie der Schweiz ist die Gefahr der Verfilzung gross.
Klar. Kurer sagt im Buch, weil die Schweiz ein kleines Land sei, «kennen sich die rund 250 Leute, die hier den Ton angeben, nun einmal». Das sei auch die Stärke des Landes. Man sieht sich oft, nimmt an den gleichen Anlässen teil, schiebt sich Jobs zu, begünstigt Freunde und Geschäftspartner. Es braucht Chuzpe, in wichtigen Momenten – gerade in einer Krise – unpopuläre Entscheide zu treffen. Dennoch: Die Schweiz AG, eine Elite aus Wirtschaft und Politik rund um die FDP und dem Militär, existiert heute kaum mehr. Zum Glück!

Dennoch wurde die UBS-Rettung per Notrecht bestimmt. Es gab keine demokratische Legitimation. Sind solche Rettungsaktionen nicht Gift für unser Staatsverständnis?
Man muss die Leistung eines Rechtsstaats anerkennen, aber auch seine Limitierung akzeptieren. Damit sollten die Eliten sehr sorgsam umgehen. Der Fall UBS hat jedoch gezeigt, dass es Ausnahmen braucht. Siegenthaler sagt ganz klar: Die UBS wäre im Parlament nicht zu retten gewesen. Hätte es eine öffentliche Diskussion gegeben, gäbe es die UBS heute nicht mehr. Natürlich ist die Verlockung gross, jede Intervention als Ausnahme zu legitimieren. Das hingegen darf nicht passieren!

Ex-BLICK-Chef und Kommunikationsexperte

Bernhard Weissberg (60) startete seine Karriere als Lokal-Journalist für «Berner Zeitung» und «Bund», bevor er mit weiteren Journalisten in Biel das Privatradio Canal 3 gründete und leitete. Nach seinem Wechsel zum Verlagshaus Ringier war er unter anderem Chefredaktor von SonntagsBlick und BLICK, gründete und lancierte die Gratis-Abendzeitung «heute» und war Mitglied der Konzernleitung. Seit 2009 berät er mit seiner eigenen Firma Weissberg Consulting Unternehmen in Kommunikationsfragen, schreibt Reden und moderiert Gesprächsrunden.

Bernhard Weissberg (60) startete seine Karriere als Lokal-Journalist für «Berner Zeitung» und «Bund», bevor er mit weiteren Journalisten in Biel das Privatradio Canal 3 gründete und leitete. Nach seinem Wechsel zum Verlagshaus Ringier war er unter anderem Chefredaktor von SonntagsBlick und BLICK, gründete und lancierte die Gratis-Abendzeitung «heute» und war Mitglied der Konzernleitung. Seit 2009 berät er mit seiner eigenen Firma Weissberg Consulting Unternehmen in Kommunikationsfragen, schreibt Reden und moderiert Gesprächsrunden.

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