Die Preise von Kryptowährungen sind so tief wie seit Jahren nicht mehr. Wieso wirken Sie trotzdem so glücklich?
Grace Torrellas: Natürlich ist das schade, aber Spekulation war mir nie wichtig. Ich schaue mir die Preise nicht jeden Tag an und interessiere mich mehr für die Technologie, die hinter all dem steckt. Viele Blockchain-Fans checken am Morgen zuerst die Krypto-Kurse und lassen davon ihre Laune bestimmen – so will ich nicht werden.
Im vergangenen Jahr hat sich der Wert vieler Kryptowährungen innerhalb weniger Monate mehr als verzehnfacht. Wie viel Geld haben Sie damit verdient?
Ich habe nie zu spekulativen Zwecken Coins gekauft, obwohl ich mir das im Nachhinein natürlich wünschen würde (lacht). Allerdings wird mir ein Teil meines Lohns seit 2014 in Kryptowährungen ausbezahlt. Dadurch konnte auch ich vom Boom profitieren.
Wir sind in Ihrer Wohnung, nicht in Ihrer Villa. Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?
Gar nicht. Viele Leute, die auf diese Weise reich geworden sind, kaufen sich ja einen Lamborghini oder eine Insel irgendwo im Pazifik. Ich habe meine digitalen Coins bis jetzt allerdings nie in Franken umgetauscht – und habe das ehrlich gesagt auch nicht vor. Ich bin überzeugt, dass der Wert in Zukunft noch viel höher steigen wird.
Was fasziniert Sie an der Blockchain-Technologie?
Als ich 2014 anfing, mich damit auseinanderzusetzen, hat sich für mich eine Türe in eine komplett neue Welt geöffnet. Diese Erfindung ermöglicht Dinge, die vorher undenkbar gewesen wären. Man kann Geld verschicken, ohne dass eine Bank involviert ist. Oder sich ausweisen ohne eine ID oder einen Pass. Die Blockchain hat unzählige Anwendungsmöglichkeiten, und ich konnte damals an nichts anderes mehr denken. Niemand hat es verstanden – mein Mann glaubte, ich sei verrückt.
Haben Sie ihn mittlerweile vom Gegenteil überzeugt?
Lange Zeit habe ich das erfolglos versucht. Aber dann habe ich ihm von einem Blockchain-Projekt in Afrika erzählt – und da hat es bei ihm klick gemacht.
Worum geht es bei diesem Projekt?
Ein afrikanischer Erfinder hat einen Stromzähler entwickelt, der mit dem Internet verbunden ist und Bitcoin-Zahlungen empfangen kann. Solche Geräte hat er dann in südafrikanische Schulen eingebaut, wo das Geld für Elektrizität häufig knapp ist. Dadurch war es plötzlich möglich, dass man aus der Schweiz ein paar Bitcoins direkt an diesen Stromzähler senden kann und so für die Elektrizität dieser Schule bezahlt. Dafür braucht es keine Banken oder Hilfsorganisationen mehr.
Man drückt also in der Schweiz auf einen Smartphone-Button, und in einer afrikanischen Schule geht das Licht an?
Genau so funktioniert es. Und weil das alles in einer öffentlichen Blockchain gespeichert ist, kann man als Spender ganz genau kontrollieren, ob das Geld wirklich dort gelandet ist, wo es landen sollte.
Diese Transparenz ist bei traditionellen Hilfsorganisationen häufig ein Problem.
Ja, leider. Ich finde, karitative Organisationen werden zu wenig geschätzt. Häufig fehlt es Ihnen schlicht an den richtigen Werkzeugen, um diese Transparenz zu gewährleisten. Der Spender will genau wissen, wohin sein Geld fliesst – und das ist auch sein gutes Recht. Die Blockchain-Technologie könnte diese Transparenz ermöglichen, weil jede Transaktion ganz genau nachvollzogen und nicht manipuliert werden kann.
Arbeiten Hilfsorganisationen heute schon an solchen Blockchain-Lösungen?
Es ist eine sehr junge Technologie, und viele sind deshalb noch vorsichtig. Einige Organisationen experimentieren aber bereits aktiv damit, was ich grossartig finde. Ich glaube, dass Hilfsorganisationen langfristig gar nicht mehr ohne Blockchains operieren können, wenn sie für Spender noch attraktiv sein wollen.
Was gibt es sonst noch für Beispiele für Blockchain-Anwendungen, welche die Welt besser machen?
Ganz viel bewirken wird zum Beispiel das Projekt CoinText. Damit kann man jemandem Geld per SMS schicken. Eine simple Nachricht genügt, und das Geld wird per Blockchain vom einen Handy auf ein anderes überwiesen. Von dort kann man es dann entweder weiterschicken oder an eine Bank überweisen. In einer kleinen Gemeinschaft kann so eine Anwendung sehr viel bewegen.
Mit Apps wie Twint oder Apple Pay ist das doch auch ohne Blockchain möglich?
Aber diese Apps benötigen alle eine Internetverbindung. In Entwicklungsländern ist das also keine Option. Dank der Blockchain können wir dieselbe Technologie, wie wir sie hier in Europa nutzen, auch in ärmeren Ländern verfügbar machen. Das sind Projekte, die meine Augen zum Leuchten bringen.
Das heisst, die Blockchain wird vor allem in Entwicklungsländern für Veränderungen sorgen?
Dort wird es einfach viel schneller gehen als bei uns. Hier in der Schweiz haben wir schon diverse Alternativen, leben in einem demokratischen und gut regulierten System. Wir sind deshalb gar nicht zwingend auf Blockchain-Applikationen angewiesen. In Entwicklungsländern aber sind die Bedürfnisse viel grösser, und die Technologie wird deshalb schneller adoptiert als in Zentraleuropa.
Wie wird die Blockchain das Leben von uns Schweizerinnen und Schweizern verändern?
Bereits in zehn bis zwanzig Jahren werden wir in einer komplett digitalisierten Welt leben. Alles, was physisch in der realen Welt existiert, wird gleichzeitig auch in einer Blockchain digital gespeichert sein. Das gilt für unseren Besitz, also für Häuser, Autos und Wertgegenstände, aber auch für unsere Identität.
Können Sie das genauer erklären?
In der analogen Welt haben wir Identitätskarten und Pässe, mit denen wir uns ausweisen. Aber wir müssen ein System entwickeln, mit dem das auch in der digitalisierten Welt funktioniert. Heute kreieren Firmen wie Facebook und Google unsere digitalen Profile – für diese Unternehmen ist das ein lukratives Geschäft.
Allerdings kommt es bei diesen Firmen auch immer wieder zu Datenlecks.
Genau – und deshalb ist es auch keine befriedigende Lösung. Wir müssen die Macht über unsere persönlichen Daten zurückgewinnen und ein System entwickeln, das von Grund auf dezentral ist. Dafür ist die Blockchain ideal.
Und wie würde das dann konkret funktionieren?
Statt dass Firmen aus dem Silicon Valley unsere Daten auf ihren Servern haben, speichern wir sie dezentral in einer Blockchain ab. Dort sind sie verschlüsselt, und ausser uns kann niemand darauf zugreifen. Das lässt sich auch einfach kontrollieren, weil im Gegensatz zu Facebook oder Google der gesamte Computer-Code öffentlich ist. Dieser Prozess ist komplett automatisiert, und deshalb haben nicht mal die Entwickler der Blockchain die Kontrolle darüber, was darin gespeichert wird.
Wie könnten wir eine solche Blockchain-Identität im Alltag nutzen?
Man kann verschiedenen Leuten verschiedene Informationen zugänglich machen. Am Abend vor der Disco würde es zum Beispiel genügen, dem Türsteher einen QR-Code auf dem Handy zu zeigen. Dieser gibt einzig und allein an, ob jemand älter als 18 Jahre alt ist oder nicht. Name, Geburtsdatum und so weiter könnte man für sich behalten. Genau gleich kann man bei einer Bewerbung dem potenziellen Arbeitgeber seinen Lebenslauf mit einem Klick zugänglich machen – und weil das alles in der Blockchain verifiziert ist, kann man diesen Daten hundertprozentig vertrauen.
Viele der wichtigsten Blockchain-Firmen der Welt haben ihren Sitz in der Schweiz. Wohnen Sie eigentlich nur deshalb hier?
(Lacht) Nein, ich lebte schon vorher in der Schweiz. Ich bin in Miami am Strand aufgewachsen und habe danach auf der ganzen Welt gelebt. Aber in der Schweiz habe ich das erste Mal eine wirkliche Verbindung zur Natur, zu den Bergen und Wäldern aufgebaut – für mich ist es das Paradies. Als mein Mann aus den Niederlanden und ich heirateten, liessen wir uns deshalb in der Schweiz nieder, auf neutralem Grund sozusagen.
Wieso ist die Schweiz in der Blockchain-Welt so wichtig geworden?
Die Schweiz ist das am stärksten dezentralisierte Land der Welt. Hier ist die Macht bei den Leuten, beim Volk, und nicht bei der Regierung. Man kann auf allen Ebenen über so viele wichtige und unwichtige Dinge abstimmen – das habe ich sonst nirgends auf der Welt gesehen. Und die Leute nehmen diese Verantwortung auch wirklich ernst. Viele Gründer von Blockchain-Firmen sind von diesem System sehr beeindruckt.
Beeindruckt sind sie wohl vor allem auch von den laschen Blockchain-Regulierungen in der Schweiz.
Das kommt dazu, ja. Ausserdem gibt es hier natürlich auch viele Banken und Finanzinstitute, welche sich derzeit besonders intensiv mit der Blockchain-Technologie beschäftigen.
Ist es für den Normalbürger wichtig, dass er die Funktionsweise der Blockchain im Detail versteht?
Nein, niemand sollte sich darum kümmern müssen, wie die Technologie funktioniert. Man soll sich nur darüber freuen können, dass sie funktioniert. Genau so wie wir heute alle das Internet nutzen, ohne dass wir uns mit IP- oder TCP-Protokollen auskennen, sollte man auch die Blockchain verwenden können, ohne Bescheid zu wissen über den Unterschied von Proof of Work und Proof of Stake. Technologien existieren, um uns zu unterstützen, nicht um uns zu verwirren.
Man hört immer wieder vom unglaublichen Stromverbrauch, der vor allem für den Betrieb des Bitcoin-Netzwerks benötigt wird. Schadet die Blockchain der Welt heute mehr, als sie ihr hilft?
Diese Energieverschwendung ist tatsächlich ein grosses Problem und auf lange Zeit nicht tragbar. Deshalb arbeiten auch viele Leute an Lösungen, mit denen sich Blockchain-Anwendungen nutzen lassen, ohne dass dafür sinnlos Energie verbraucht wird. Diese Mechanismen sind schon sehr weit entwickelt, und man weiss, dass sie funktionieren. Deshalb glaube ich auch, dass in zehn Jahren nicht mehr der Bitcoin im Fokus stehen wird, sondern verbesserte Kryptowährungen, die viel weniger Elektrizität benötigen.
Mit Kryptowährungen kann man Geld überweisen, ohne dass eine Bank oder PayPal involviert ist. Sie wurden deshalb schon früh von Kriminellen genutzt. Fördert die Blockchain illegale Machenschaften?
Kriminelle werden immer einen Weg finden, ihre Geschäfte abzuwickeln – da müssen wir realistisch sein. Es wäre deshalb völlig falsch, die Blockchain auf solche Anwendungen zu reduzieren. Genau deshalb finde ich es auch so wichtig, dass es Medien wie den BLICK gibt, welche über das eigentliche Potenzial dieser Technologie informieren.
Dies ist der Abschluss unserer siebenteiligen Blockchain-Serie. Was sollten für unsere Leser jetzt die nächsten Schritte sein? Soll man in Kryptowährungen investieren?
Ich empfehle Kryptowährungen niemandem als Investment. Vielmehr sollte man sich weiterhin aktiv mit der Technologie beschäftigen, um mit dem Potenzial und den Herausforderungen der Blockchain vertraut zu werden. Ein Krypto-Konto kann man sich heute problemlos auf dem Handy installieren und damit auch auf vielen Websites bezahlen. Erste dezentrale Anwendungen sind online, die man ausprobieren kann. Es sollte darum gehen, die Furcht vor dieser neuen Welt zu verlieren.
Also experimentieren statt spekulieren?
Genau. Obwohl es bei den tiefen Kursen momentan wohl tatsächlich kein schlechter Zeitpunkt wäre, um in Kryptowährungen zu investieren (lacht).
Als sich Grace Torrellas (49) erstmals mit Blockchains beschäftigte, wurden diese vor allem von Nerds und Kriminellen verwendet. Die Amerikanerin mit Wurzeln in Venezuela will dieselbe Technologie nun für humanitäre Zwecke nutzbar machen. Mit ihrem Blockchain-Start-up Giveth soll es möglich werden, Spenden direkt und ohne Hilfswerke abzuwickeln. Daneben ist sie bei diversen weiteren Projekten als Beraterin involviert. Sie ist eine der wichtigsten Frauen der Blockchain-Szene und wurde dieses Jahr in die Schweizer «Digital Shaper»-Liste aufgenommen. Torrellas lebt gemeinsam mit ihrem Mann in Nyon VD.
Als sich Grace Torrellas (49) erstmals mit Blockchains beschäftigte, wurden diese vor allem von Nerds und Kriminellen verwendet. Die Amerikanerin mit Wurzeln in Venezuela will dieselbe Technologie nun für humanitäre Zwecke nutzbar machen. Mit ihrem Blockchain-Start-up Giveth soll es möglich werden, Spenden direkt und ohne Hilfswerke abzuwickeln. Daneben ist sie bei diversen weiteren Projekten als Beraterin involviert. Sie ist eine der wichtigsten Frauen der Blockchain-Szene und wurde dieses Jahr in die Schweizer «Digital Shaper»-Liste aufgenommen. Torrellas lebt gemeinsam mit ihrem Mann in Nyon VD.