Das Horrorszenario der EM-Saison: Ein Blick in den Kühlschrank verrät mitten im Spiel, dass das Bier ausgegangen ist. In Deutschland gibt es schon eine Alternative zum Tankstellenshop: Schnell-Lieferdienste, die Lebensmitteleinkäufe innerhalb weniger Minuten an die Haustür liefern. Das bekannteste Unternehmen heisst Gorillas – ein Start-up aus Berlin mit Liefergebieten in Grossstädten Deutschlands und anderen europäischen Ländern.
Bald könnte es auch bei uns so weit sein. Das Unternehmen sucht schon nach einem «Head of Expansion» für die Schweiz. Das Geschäftsmodell: Quick-Commerce, das blitzschnelle Liefern von kleinen Einkaufsmengen an Privatkunden. Bequem soll per App aus über 1000 Produkten wie Obst, Gemüse, Fleisch oder Getränken ausgewählt werden können und der Einkauf in unter zehn Minuten da sein. Doch funktioniert das?
Das Geschäftsmodell basiert auf kleinen, lokalen Warenlagern, sogenannten Dark Stores, von denen aus das ganze Liefergebiet in zehn Minuten per E-Velo erreichbar ist. Diese Lager stehen mitten in den urbanen Liefergebieten und beschränken sich wegen der hohen Mieten auf ein kleineres Sortiment. Angestellte, sogenannte Picker, sammeln die vom Kunden bestellten Waren zusammen und geben sie den Lieferanten mit. Das geschieht effizienter als bei einem Privateinkauf im Supermarkt, denn die Picker wählen immer die kürzeste Route durch den Dark Store. Im Gegensatz dazu wird eine Kundin im Supermarkt bewusst auf langen Wegen durch den Laden geführt, damit sie möglichst viel einkauft.
Es ist die hohe Liefergeschwindigkeit, die Unternehmen wie Gorillas von herkömmlichen Online-Einkaufsdiensten unterscheidet. Online-Shops, die Einkäufe innerhalb einiger Werktage ausliefern, wie beispielsweise Coop.ch, gibt es schon seit Jahren. Doch Gorillas übertrifft den normalen E-Commerce auch im Preis: Es gibt keinen Mindestbestellwert, und die Liefergebühr beträgt lediglich 1,80 Euro.
Investoren pumpen hohe Beträge in die Quick-Commerce-Unternehmen
Investoren sahen in diesen Unterschieden einen Wettbewerbsvorteil. Der momentane Boom dieser Unternehmen sei durch die Pandemie beschleunigt worden, sagt Felix Bergmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Logistikmanagement der ETH Zürich. «In diese Branche wurde sehr viel Venture-Capital gesteckt, was zum schnellen Wachstum von Unternehmen wie Gorillas führte.» Ohne die Corona-Krise hätten sich die Investoren vielleicht etwas zögerlicher verhalten, meint er.
Nur neun Monate nach dem Start im März 2020 war Gorillas bereits eine Milliarde US-Dollar wert. Start-ups mit einer Marktbewertung vor dem Börsengang ab dieser Grösse nennt man im Fachjargon Unicorns. Auch in der Schweiz schiessen Konkurrenten wie Pilze aus dem Boden – so zum Beispiel das Zürcher Pilotprojekt Stash, das ebenfalls Lieferzeiten von unter zehn Minuten für die Zürcher Kreise 4 und 5 verspricht.
Problematische Arbeitsbedingungen
Mittelfristig werde dieser Boom aber abflachen, so Bergmann. Da Gorillas mit seinen niedrigen Liefergebühren und schnellen Lieferzeiten momentan nicht rentabel sei, lebe das Unternehmen nur vom Kapital der Investoren. Irgendwann erwarten diese jedoch einen Profit, und dann müssen möglicherweise die Lieferkosten erhöht oder die Lieferzeiten verlängert werden. Da diese Punkte im Quick-Commerce die grössten Verkaufsargumente darstellen, würden viele Unternehmen das nicht überleben, so der Logistikmanagement-Experte. Zudem trage auch das eingeschränkte Sortiment der Schnell-Lieferdienste dazu bei, dass auf lange Sicht normale Supermärkte sowie E-Commerce-Unternehmen, die erst nach einigen Tagen liefern, nicht ersetzt werden.
Auch seitens der Angestellten steht Gorillas vor grossen Schwierigkeiten: Am Mittwoch und Donnerstag streikten in Berlin Lieferfahrer und blockierten Warenlager. Grund für den Unmut sind die schlechten Arbeitsbedingungen der Velo-Kuriere, sprich niedriger Lohn und Stress. Aber ohne diese negativen Faktoren würde das Unternehmen noch weniger rentieren. «Quick-Commerce wird im Bild der Lebensmittelbranche wohl ein einzelner Mosaikstein bleiben», so Felix Bergmann.
Laut Katja Rost, Professorin für Soziologie an der Universität Zürich, ist zudem die soziale Komponente des Einkaufens nicht zu unterschätzen. Es sei sogar möglich, dass die Menschen nach der Pandemie wieder grössere Lust verspürten, selbst in die Läden zu gehen. So liesse man sich gerne vor Ort von der Produktvielfalt inspirieren oder unterhalte sich mit anderen Käufern oder dem Händler. «Online-Einkäufe sind bequem und pragmatisch. Hier fehlt jedoch das Einkaufserlebnis. Besonders jetzt, da immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität gelegt wird, ist es zum Beispiel ein Erlebnis, auf einen Bauernmarkt zu gehen.» Trotzdem kann Rost es sich vorstellen, dass in Zukunft für ganz bestimmte Einkäufe wie schwere Getränkeflaschen, Putzmittel oder WC-Papier das Angebot des E-Commerce genutzt wird.
Gorillas aus Berlin verspricht, frische Lebensmittel innerhalb von zehn Minuten zu liefern – und wird in nächster Zeit auch in die Schweiz expandieren. Bereits hier verfügbar ist das Start-up Stash, das zurzeit die Zürcher Kreise 4 und 5 ohne Gebühr beliefert. Wer in Zürich, Aargau, Schaffhausen oder St. Gallen lebt, kann zudem innert 30 Minuten über den Lieferdienst Bringr aus Dietikon ZH bestellen. Avec Now von Valora und Heymigrolino sind im Vergleich nicht nur deutlich teuer, sondern haben auch Lieferzeiten von bis zu 60 Minuten.
Gorillas aus Berlin verspricht, frische Lebensmittel innerhalb von zehn Minuten zu liefern – und wird in nächster Zeit auch in die Schweiz expandieren. Bereits hier verfügbar ist das Start-up Stash, das zurzeit die Zürcher Kreise 4 und 5 ohne Gebühr beliefert. Wer in Zürich, Aargau, Schaffhausen oder St. Gallen lebt, kann zudem innert 30 Minuten über den Lieferdienst Bringr aus Dietikon ZH bestellen. Avec Now von Valora und Heymigrolino sind im Vergleich nicht nur deutlich teuer, sondern haben auch Lieferzeiten von bis zu 60 Minuten.