Google-Schweiz-Chefin im Interview
«Das Ökosystem in Zürich zieht einfach gute Leute an»

Von Stellenabbau und Technologie-Shift: Die Österreicherin Christine Antlanger-Winter erklärt, wie Zürich die digitale Zukunft des Technologieriesen Google mitgestaltet.
Publiziert: 16:25 Uhr
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Aktualisiert: 16:28 Uhr
Die Österreicherin Christine Antlanger-Winter (43) ist seit 2022 Chefin von Google Schweiz.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Tina Fischer und Bernhard Fischer
Handelszeitung

Die US-Justiz macht Jagd auf Google, weil das Tech-Unternehmen seine Monopolstellung im Netz angeblich missbraucht, und will Alphabet dazu zwingen, den Google-Browser Chrome zu verkaufen. Wie sehen Sie das?
Christine Antlanger-Winter: Das Thema betrifft die Vereinigten Staaten und wir kommentieren es hier nicht. Ich verweise auf das Statement unseres Legal-Chefs Kent Walker in den USA (siehe Box).

Trägt der Schweizer Google-Standort etwas zu Chrome bei, was allenfalls von den Vorhaben des Department of Justice (DOJ) berührt wäre?
Wir haben sehr viele Produkte, die aus Zürich mitentwickelt werden. Google ist global aufgestellt und wir haben auch viele Entwicklungsteams in Zürich. Im Zusammenhang mit diesem Fall kommentiere ich das nicht weiter.

Maps ist eines der Grossprojekte von Google in der Schweiz. Können Sie uns updaten, wie es hier läuft?
Wir arbeiten an vielen Produkten in globalen Teams mit. Details kann ich keine nennen.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Wie innovationskräftig ist Google Schweiz überhaupt?
Wir haben über den Entwicklungsstandort viel dazu beigetragen, dass sich die Innovationskraft in Zürich und in der Schweiz gut entwickeln kann. In Zusammenarbeit mit Universitäten, Hochschulen, Startups und ehemaligen Google-Mitarbeitern, die innovative Unternehmen gegründet haben.

Bitte um konkrete Beispiele.
Ich durfte unlängst bei der Verleihung des ICT-Awards eine Laudatio für Cradle halten. Das sind ehemalige Google-Mitarbeiter, die im Biotech-Bereich in der Proteinforschung sehr erfolgreich sind. Ein anderes Beispiel, das Google unterstützte, ist Yokoi. Es bietet KI-gesteuerte Abrechnungsprozesse für Unternehmen an.

Wie gestalten sich die Kooperationen mit der ETH und der EPFL?
Hier haben wir Rahmenabkommen für gemeinsame Forschungsprojekte. Sei es, dass gemeinsam an einem Thema geforscht wird, sei es, dass Professoren mal bei Google arbeiten und dann wieder an die Hochschulen zurückgehen. Bei Spin-offs gehen wir oft eine Kooperation ein. Und es gibt das neu gegründete AI Center, wo wir im Bereich Cybersicherheit aktiv sind. In diesem Bereich haben wir Teams in Zürich, die wiederum bei den globalen Teams mitwirken. Zum Beispiel ein Red Team, das Stresstests in Unternehmen durchführt und im AI Center in Fachgruppen an diesem Thema mitarbeitet.

Was waren die grössten Findings des Red Teams?
Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber es gibt eine Videodokumentation zu dem Thema mit dem Namen Operation Aurora, die zeigt, wie Google angegriffen wurde. Transparenz ist ja ein wichtiges Thema, wenn es um Cybersicherheit geht, um Know-how zu teilen. Wir wollen das Bewusstsein für das Thema in der Bevölkerung fördern. Wir setzen uns für «Security by Default» ein, weil wir der Meinung sind, User sollten Produkte verwenden, bei denen sie sich nicht aktiv ums Thema Sicherheit kümmern müssen.

Für Endnutzerinnen und -nutzer ist es zum Teil sehr kompliziert, Einstellungen bei Google vorzunehmen. Ganz gleich, ob es um Sicherheitseinstellungen oder um die Privatsphäre und den Datenschutz geht. Warum macht Google das nicht einfacher?
Der Aspekt, wie User-freundlich das gestaltet ist, geht weit über Google hinaus und hängt auch mit der Regulierung zusammen. Wir haben aber einen klaren Approach: Schon lange bevor es eine Datenschutzgrundverordnung gab, hat es Google den Usern ermöglicht, zu steuern, welche Daten sie teilen wollen und welche nicht. Uns ist wichtig, dass die Daten der User sicher sind und sie diese auch selbst steuern können.

Stimmen Sie Brüssel zu, wenn es Google mehr regulieren will?
Insbesondere im Licht von KI, wo wir tiefgreifende Veränderungen sehen, braucht es Regulierung, und zwar mutige und verantwortungsbewusste. Mutig, um die Innovationskraft nicht einzuschränken, verantwortungsbewusst, um smart zu regulieren.

Was steuert der Standort Zürich zur Google-KI Gemini bei?
In Zürich sitzen Mitarbeitende, die an Randprodukten von Gemini mitarbeiten. Es gibt verschiedene Expertisen, die innerhalb von globalen Teams mit einfliessen.

Konkret?
Linguisten, die daran arbeiten, dass Gemini in mehreren Sprachen verfügbar ist.

Dazu folgender Fall, der sich dieser Tage ereignet hat: Ein Student hat bei der Interaktion mit Gemini die Antwort bekommen: «Please die.» Haben Ihre Linguisten die KI im Griff?
Die Linguisten hier kümmern sich darum, dass die KI in verschiedenen Sprachen verfügbar ist, das ist etwas anderes. Was Sie ansprechen, ist ein globaler Fall, den wir auch sehr ernst nehmen. Das soll nicht passieren. Es ist gegen unsere Policy Guidelines und es soll sichergestellt werden, dass sich das so nicht weiterverbreitet. Aber das scheint auch ein sehr individueller Fall zu sein, der eine entsprechende Prompt-Historie hat. 

Der Eingangsbereich zu Google Schweiz an der Europaallee. Hier beschäftigt die Firma einen Teil der 5000 Mitarbeitenden in der Schweiz.
Foto: Keystone

Nun gibt es diverse Modelle, Siri von Apple, Chat GPT von Open AI/Microsoft. Wie ist hier Gemini positioniert?
Bei Large Language Models (LLM) und Chatbots ist Gemini in einem aktuellen Ranking wieder auf Platz eins. Bei unserer kostenpflichtigen Version Gemini Advanced kann man 1 Million Worte, Texteinheiten und Satzzeichen als Basis verwenden. Auch die Multimodalität stellen wir ins Zentrum: Es geht nicht nur um Text, sondern auch um Audio und Video.

Bei Youtube fliessen minütlich über 500 Stunden Material ein. Das benötigt Filterung und Überprüfung. Das gleiche Bild zeichnet sich nun bei LLMs ab. Wie stellen Sie sicher, was hochgeladen und weiterverarbeitet wird?
Wir arbeiten an Prozessen, die genau das möglich machen. Uns ist wichtig, dass wir Technologie zur Verfügung stellen, die unseren Grundsätzen entspricht. Diese Grundsätze, die AI Principles, veröffentlichten wir bereits 2018. Also noch vor Zeiten der breiten Aufmerksamkeit.

In den USA bauen Sie KI bereits in die tägliche Google-Suche ein und liefern dem User einen Teil der Suchergebnisse als KI-Übersicht. Wie ist das bisherige Feedback?
Wir verzeichnen eine sehr hohe, sehr intensive Nutzung und wollen das in der nächsten Zeit in hundert Ländern verfügbar machen. Denkt man KI noch breiter und inkludiert visuelle Anwendungen wie Google Lens, dann sind das weitere Bereiche mit Potenzial.

Stichwort Google Lens, ein aktueller Fokus von Google?
Das Angebot ist nicht neu, Google Lens gibt es bereits seit 2017. Eine Applikation, die auch aus Zürich mitentwickelt wurde. Die visuelle Suche ist gerade im Shopping-Bereich sehr beliebt, vor allem bei der Gen-Z-Audience. Dorthin gehen wir auch mit unseren Produktentwicklungen.

Wie viele Leute beschäftigt Google in der Schweiz?
Aktuell circa 5000.

Antlanger-Winter setzt sich stark für weiblichen Nachwuchs in IT-Berufen ein.
Foto: Suse Heinz für BILANZ

Sie haben aber Ihre Anzahl Mitarbeitende reduziert. Kommt da noch mehr?
Der weltweite Stellenabbau ist Business-Realität. Die hat man nie gerne und ist auch individuell immer schwierig. An einem solch grossen Standort finden aber immer wieder Priorisierungen statt, die Auswirkungen haben können. Ansonsten sind wir organisch gewachsen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Standort. Das Ökosystem zieht einfach gute Leute an. 

Sie loben die Schweiz als Standort für Innovationskraft und dafür, innovationsfreundlich zu sein. Es gibt allerdings Stimmen im Konzern, die die Schweiz mitunter kritisiert und gesagt haben, das Land sei, beispielsweise wegen der Zeiterfassung, innovationshemmend. Die Behörden schauten genau hin. Sind da Differenzen vorhanden?
Wir stehen in gutem Austausch mit den Behörden. Jedes Land hat seine Rahmenbedingungen. Generell ist die Schweiz ein Standort, der Wert darauf legt, dass die Rahmenbedingungen Innovation ermöglichen und es Unternehmen erlauben, global erfolgreich zu sein.

Wie hinderlich ist die Kontingentierung, wenn Sie ein Dutzend neue Ingenieure benötigen und wenn Sie die aus Brasilien, Indien oder Israel in die Schweiz holen wollen?
Kontingente haben auch viele andere Länder für Drittstaaten. Das funktioniert gut.

Geniesst Google einen Sonderstatus?
Sonderstatus kann ich nicht beantworten, aber für uns funktioniert es gut. Und wir haben hier Zugriff auf Talente, die schon in der Schweiz sind, die vielleicht auch einen internationalen Hintergrund mitbringen.

Also ein gutes Einvernehmen mit den Behörden?
Ja.

Weil Sie vorhin die Priorisierung angesprochen haben: Wenn man sich die Zahlen des Gesamtkonzerns anschaut, dann geht die Kurve nach oben. Trotzdem kommt es zu Entlassungen. Warum?
Die Priorisierung hängt mit dem technologischen Fortschritt zusammen, aktuell natürlich mit KI. Es ist der «third big shift»: Wir wechselten ins Internet, dann auf Mobile und jetzt auf KI. Da hinterfragen wir unsere Prioritäten, und das kann dazu führen, dass man ein Projekt depriorisiert, ein anderes dafür nicht. 

Was wird priorisiert?
Über die Breite am Standort Schweiz ist das nicht einfach zu beantworten, da viele Faktoren einfliessen. Teams, die an LLMs wie Gemini, arbeiten, stehen beispielsweise klar im Fokus. Google Deep Mind gehört auch dazu oder das Isomorphic Labs, ein Teil von Alphabet. Es wurde vom ehemaligen Googler Demis Hassabis gegründet, der gerade den Nobelpreis in Chemie gewann für die Software Alphafold 3. 

Und was wird depriorisiert?
Generell kann innerhalb eines Produkts eine Funktion wegfallen oder eine andere aufgebaut werden. Es ist aber sehr verschachtelt, weshalb ich das so nicht beantworten kann. 

Google dominiert den Online-Werbemarkt. Darunter leiden Firmen – und Medien. Ausserdem: Wer beim Ranking auf Seite 2 bei Google landet, findet nicht statt. Wie kann man dieses Problem lösen?
Wenn es um das Thema Rankings geht, dann geht es um das Thema Relevanz. Unsere Mission ist es, die Informationen dieser Welt allgemein zugänglich, verfügbar und hilfreich zu machen. Das sind die Grundprinzipien von Google, es muss für den User funktionieren, es muss relevant sein. In Bezug auf die Werbeprodukte ist es genau dasselbe: Unternehmen nutzen die Werbemöglichkeit und können selber steuern, was für sie funktioniert oder nicht. Das ist eine Veränderung, die sich am Werbemarkt über viele Jahre entwickelt hat. Da gibt es auch Möglichkeiten, wie Medienunternehmen davon profitieren können: Über die eigene Monetarisierung ihres Inventars oder über Kooperationen. Auch wir haben intensive Partnerschaften mit den hiesigen Medien, um strategische Ziele, digitale Abonnenten und so weiter zu unterstützen. 

Haben Sie den Eindruck, dass das für die Medien aufgeht?
Der Paradigmenwechsel findet auf einer viel grösseren Ebene statt. Ich kann nur sagen, was wir als Google anbieten; zum Thema der Medien kann ich keine Aussage machen.

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