Fredy Hiestand (76), Bäcker aus Leidenschaft, hat das Gefühl für den Teig über Jahre entwickelt.
BLICK: Fredy Hiestand, verstehen Sie, dass Jugendliche die Bäckerlehre wegen des frühen Aufstehens meiden?
Fredy Hiestand: Ja. Wir Bäcker haben ein verrücktes Imageproblem. Wenn man jemandem sagt, man sei Bäcker, dann kommt immer grosses Mitleid wegen des frühen Aufstehens.
Ist das Mitleid nicht berechtigt?
Die Arbeitsbedingungen für andere Berufe wie Koch oder Polizist sind nicht besser. Sie müssen zu allen Unzeiten arbeiten. Als Bäcker kann man, im Vergleich zu den Büroangestellten, dafür den Nachmittag besser nutzen. Ausserdem fällt dank des Fortschritts in der Herstellung der Arbeitsbeginn heute bei vielen deutlich später an. Es ist ein wunderbarer Beruf, und mit dem nötigen Ehrgeiz kann man es auch als Bäcker beruflich sehr weit bringen.
Braucht es überhaupt noch eine Bäckerausbildung, wenn immer mehr Maschinen die Arbeit übernehmen?
Man kann vieles anlernen. Aber das Gefühl für den Teig ist etwas Wichtiges, Lebendiges, das man entwickeln muss. Damit die Backwaren auch in Zukunft von ausgezeichneter Qualität sind, ist es unabdingbar, dass wir gut ausgebildeten Nachwuchs haben. Eine Rezeptur ist zu 50 Prozent von der Technik abhängig. Der Rest ist Erfahrung und Gefühl.
Wo zeigt sich das?
Das Gefühl sagt etwa, dass man an Hitzetagen weniger Hefe nehmen muss, weil der Teig schneller aufgeht. Oder dass man kühleres Wasser schütten muss, um auch bei hohen Temperaturen das perfekte Produkt zu kriegen. Das Gefühl für den Teig lernt man nicht von heute auf morgen, dafür braucht es eine solide Grundbildung.
Erwarten Sie, dass die Qualität der Backwaren sinkt, wenn es weniger ausgebildete Bäcker gibt?
Ich denke nicht, dass die Qualität abnehmen wird. Wahrscheinlicher ist, dass die grossen Bäckereien in Zukunft mehr Nachwuchs selber ausbilden werden. Denn ohne genügend geschultes Personal ist es schwierig, die Qualität zu wahren, denn auch die Ansprüche der Konsumenten nehmen stetig zu.
Inwiefern?
Früher war man bis am Abend mit einem Semmeli vom Morgen zufrieden. Heute erwarten zum Beispiel Restaurants bereits am Mittag wieder ein ofenfrisches Brötchen. Viele Restaurants backen deshalb gefrorenes, vorgebackenes Brot fertig.
Was sagen Sie als Tiefkühlbackpionier dazu?
Tiefgekühlt ist mindestens genauso frisch. Wenn das Brot zu 75 Prozent gebacken und dann eingefroren wird, ist es nach dem Fertigbacken wie frisch aus dem Ofen. Der Vorteil ist, dass man zu jeder Zeit ofenfrisches Brot haben kann, was eine gewisse Flexibilität bedeutet und nicht zuletzt auch den Food Waste reduzieren kann.
Für solche Backwaren, die nach Bedarf fertig gebacken werden, müssten die Bäcker nicht mehr so früh aufstehen. Ist das eine Lösung für das Imageproblem?
Ja, die Herstellung von mehr Tiefkühlbrot könnte den Beruf attraktiver machen. Es gibt aber noch weitere Gründe, die das Image des Bäckereihandwerks verbessern könnten.
Die wären?
Die Aussage «Gib uns heut’ unser täglich’ Brot» ist in den letzten Jahren immer mehr in Vergessenheit geraten. Bereits seit Jahrhunderten ist Brot ein Grundnahrungsmittel, das viele wichtige Nährstoffe enthält. Mit der richtigen Herstellungsweise kann Brot ein sehr gesunder Bestandteil der täglichen Nahrungsaufnahme sein. Forscher wiesen aus: Wenn der Brotteig 4,5 Stunden reift, dann werden die schwerverdaulichen fermentierbaren Zucker und Zuckeralkohole abgebaut. Dadurch wird das Brot sehr viel bekömmlicher. Dazu braucht es jedoch viel Geduld und Gefühl für den Teig.