Gipfeli-Alarm
Gegen den Teigling hat der Bäcker kein Brot

Billig-Backware aus dem Osten bedroht das heimische Brotgewerbe. Ein Bäcker wehrt sich mit einer ganz besonderen Strategie.
Publiziert: 20.05.2017 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:03 Uhr
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Backen macht Spass: Peter Lyner führt den Familienbetrieb in vierter Generation.
Foto: Siggi Bucher
Christian Kolbe

Draussen schlägt die Kirchturmuhr Mitternacht. Drinnen in der Backstube von Peter Lyner (51) formen flinke Hände Weggli, flechten Zöpfe und kneten Teig. Seit 1903 werden hier in Winterthur-Wülflingen ZH Brötchen gebacken, kleine wie grosse. Peter Lyner führt den Familienbetrieb mit mehreren Filialen in vierter Generation.

Es duftet verführerisch, das Tempo der Angestellten ist atemberaubend – und überlebenswichtig. Nur so können sie im Wettbewerb gegen die industriell vorgefertigten Teiglinge bestehen: die Rohbackware, die in den Ofen kommt. Tiefgekühlt werden Industrie-Teiglinge millionenfach bei Grossverteilern, in Hotels oder Tankstellenshops aufgebacken.

Die Bäcker in Wülflingen sind ein eingespieltes Team. Teigrollen fliegen durch die Luft, Bleche klappern, Brote wandern in den Ofen.

500 Bäckereien haben den Betrieb eingestellt

Der Konkurrenzkampf ist hart. Die Bäcker müssen sich auf ihre Wurzeln besinnen: das Handwerk des guten Brotbackens, nur mit natürlichen Zutaten. Aus Teig, der Zeit hat zu treiben. «Die tiefgekühlten Teiglinge sind nicht schlecht. Es muss aber der Ehrgeiz jedes Bäckers sein, ein handwerklich noch besseres Produkt zu machen. Wie zum Beispiel handgerollte Gipfeli oder Brote ohne künstliche Zusatzstoffe», sagt Lyner.

In den letzten zehn Jahren haben über 500 Bäckereien den Betrieb eingestellt. Das Geschäft rechnet sich nicht mehr. Die Konkurrenz durch das billigere Industriebrot ist zu stark. «Die Talsohle ist noch nicht erreicht», so Lyner, der auch Präsident des Zürcher Bäcker-Confiseur-Meister-Verbandes ist.

Die Branche darbt. «Nicht jammern, man muss auch mal etwas machen, innovativ sein.» Das hat sich Konrad Pfister gesagt, Geschäftsführer der Bäckerei Fleischli im Zürcher Unterland – und den Spiess umgedreht: Vor knapp zwei Jahren hat er sich bei einer Tankstelle in Rümlang eingemietet und produziert dort nun Brot und Gipfeli nach alter Bäckermanier und nicht mit Tiefkühl-Teiglingen. «Ein grosser Erfolg», so Pfister. Ein Rezept, das bald Schule machen könnte.

Die Bäcker haben ein weiteres Problem: Sie wissen gar nicht, wie stark die Konkurrenz durch die Billigbrote wirklich ist. Diese kommen auch aus dem Ausland. Auf 120'000 Tonnen jährlich schätzt der Schweizerische Bäcker-Confiseur­meister-Verband (SBC) den Import von Backwaren in die Schweiz. «Leider fehlt fundiertes Zahlenmaterial über die Konsumdaten beim Brot», klagt Direktor Urs Wellauer (52). Seit 2010 gibt es in der Schweiz keine offizielle Statistik mehr zum Brot- und Backwarenkonsum.

Das möchte Lorenz Hess (55) ändern, BDP-Nationalrat aus dem Kanton Bern. Anfang Mai, während der Sondersession im Nationalrat, hat er eine Interpellation dazu eingereicht. «Diese Statistik ist ein Instrument, das den Bäckern die Möglichkeit gibt, so gut wie möglich auf Marktveränderungen zu reagieren.»

Die «NZZ am Sonntag» hatte für den Vorstoss nur ein müdes Lächeln übrig. Doch nur wer die Daten aus der Vergangenheit kennt, kann in Zukunft solide wirtschaften, die richtigen Investitionsentscheide treffen.

Unsicherheit ist schlecht fürs Geschäft – das gilt wie in allen anderen Branchen auch für Bäcker.

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