Die Migros bleibt in den Schlagzeilen: Vor zehn Tagen kündigte der orange Riese an, sich von Globus, Interio und weiteren Geschäften zu trennen. Anfang dieser Woche nun wurde ein wüster Streit zwischen dem Migros-Genossenschaftsbund und seinem Freiburger Regionalfürsten Damien Piller (61) öffentlich.
Die Sache schien zunächst einfach: Die Migros klagt Piller wegen ungetreuer Geschäftsführung an, die Richter werden den Fall entscheiden. Tatsächlich aber erleben wir hier einen Wirtschaftskrimi, der das Zeug zum Blockbuster hat.
Die Hauptdarsteller: der Migros-Genossenschaftsbund, der von Zürich aus die zehn Regionalgenossenschaften in der Schweiz beaufsichtigt (siehe Karte) auf der einen Seite – Damien Piller, Präsident der Migros-Genossenschaft Neuenburg/Freiburg, auf der anderen.
Migros-Zentrale hat sich Fehltritten geleistet
Der Konflikt: Die Migros-Zentrale fordert von Damien Piller 1,72 Millionen Franken, die er sich unrechtmässig angeeignet haben soll. Der Angegriffene bestreitet den Vorwurf und setzt sich zur Wehr.
Gegenüber SonntagsBlick schildert Damien Piller seine Sicht der Dinge. Die Dokumente, die er vorlegt, deuten darauf hin: Die von der Zürcher Zentrale eingereichte Forderung dürfte schwer einzutreiben sein. Schlimmer noch: Die Migros-Zentrale hat sich offenbar eine Reihe von Fehltritten geleistet.
Im Zentrum des Konflikts: zwei Gebäudekomplexe in Belfaux FR und La Roche FR, in die sich die Migros-Genossenschaft Neuenburg/Freiburg in den Jahren 2014 respektive 2015 einmietet. In beiden Fällen überweist die Genossenschaft einen Betrag von 864 000 Franken an die jeweilige Immobilienfirma, welche die Gebäude bauen lässt. Damien Piller ist Aktionär und Verwaltungsratsmitglied der Firma im Fall Belfaux. Die Firma im Fall La Roche kauft er ein Jahr nach dem Geschäft.
Der mächtige Damien Piller
Dass Genossenschaftspräsident Piller auch Besitzer der Immobilienfirma im Fall Belfaux ist, ist stossend und widerspricht diametral der modernen Unternehmensführung. Dieser Umstand zeugt von Pillers Macht – und von einem Mangel an Sensibilität. Möglicherweise ist dieser Umstand auch juristisch relevant. Allerdings hatte eine Revisionsfirma beide Geschäfte abgesegnet.
Warum landen die Geschäfte vier Jahre später trotzdem vor Gericht?
«Auslöser ist ein Mitarbeiter unserer Genossenschaft, den wir Ende 2017 entlassen mussten», sagt Damien Piller zu SonntagsBlick. «Der Mann hat mich beim Genossenschaftsbund in Zürich angeschwärzt.» Im Dezember 2018 werden ein Verwaltungsratsmitglied des Genossenschaftsbundes sowie ein Anwalt der Kanzlei Baker McKenzie in Pillers Büro in Freiburg vorstellig. Der Anwalt eröffnet ihm, bei einer internen Kontrolle seien Unregelmässigkeiten aufgefallen.
In der Folge fordert der Anwalt von Baker McKenzie Damien Piller auf, ihm sämtliche relevanten Dokumente zu den beiden Geschäften in Belfaux und La Roche zu übergeben. Piller erklärt sich bereit dazu, wie er gegenüber SonntagsBlick versichert – vorher aber will er die dazu erforderliche Vollmacht des Anwalts sehen.
Verfrühter Bericht
Diese Vollmacht kriegt Piller trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zu Gesicht. «Ich habe sie bis heute nicht gesehen.» Piller übergibt die Dokumente schliesslich nicht dem Anwalt von Baker McKenzie, sondern dem Genossenschaftsbund an einem Treffen in Zürich. Das geschieht am 20. März 2019.
In der Zwischenzeit hat Baker McKenzie eine Untersuchung durchgeführt und einen Bericht verfasst. Der fertige Bericht trägt das Datum vom 19. März 2019 – er wurde also einen Tag vor der Übergabe sämtlicher Dokumente durch Piller an den Genossenschaftsbund abgeschlossen.
Der Baker-McKenzie-Bericht ist vernichtend für Piller. Er kommt zum Schluss, dass keine Gegenleistung erkennbar sei für die 1,72 Millionen Franken, welche die Migros-Genossenschaft Neuenburg/Freiburg an die beiden Immobilienfirmen in Belfaux und La Roche überwiesen habe. Deshalb sei nicht auszuschliessen, dass dieses Geld unrechtmässig an Damien Piller gegangen sei.
Geld wurde an zwei Immobilienfirmen gezahlt
Die Dokumente, die Piller SonntagsBlick vorlegt, zeichnen ein anderes Bild. Demnach hat sich die Migros-Genossenschaft Neuenburg/Freiburg mit den 1,72 Millionen Franken an den beiden Neubauten beteiligt, wo heute zwei Migros-Filialen beheimatet sind. Im Gegenzug zahlt die Migros heute einen reduzierten Mietzins.
Sollten diese Dokumente stimmen, wurde für das Geld also sehr wohl eine Gegenleistung erbracht.
Auffällig auch: Die 1,72 Millionen Franken sind an zwei Immobilienfirmen geflossen – nicht an die Privatperson Damien Piller. Und doch leitet die Migros-Zentrale am 8. April 2019 einen Zivilprozess gegen Damien Piller ein und fordert den Betrag von ihm zurück.
Die Forderung wird nicht von der Migros-Genossenschaft Neuenburg/Freiburg erhoben, sondern von der Zentrale in Zürich – dabei wäre ja die Regionalgenossenschaft die geschädigte Partei. Die Art und Weise, wie Zürich zur sogenannten Forderungsabtretung gekommen ist, ist laut Piller höchst fragwürdig: Laut Damien Piller wurde massiv Druck ausgeübt.
Migros-Zentrale unter Zugzwang
Er sagt: «Aus Zürich kam die Drohung: Wenn die Forderungsabtretung nicht erfolgt, stoppen wir die Warenlieferungen an eure Genossenschaft.» Zwei Verantwortliche der Regionalgenossenschaft unterzeichnen die Abtretung schliesslich gegen Pillers ausdrückliche Anweisung.
Gestützt darauf leitet der Genossenschaftsbund mit einem Schlichtungsgesuch den Zivilprozess gegen Damien Piller ein und fordert von ihm 1,72 Millionen Franken. Noch ist eine Lösung des Falls unter Ausschluss der Öffentlichkeit denkbar – bis Anfang letzter Woche.
Denn nachdem der Baker-McKenzie-Bericht bei der Westschweizer Tageszeitung «20 minutes» gelandet ist, gerät die Migros-Zentrale unter Zugzwang.
Migros darf keine Stellung nehmen
Am 1. Juli 2019 reicht sie Strafanzeige gegen Damien Piller ein. Damit sind die Brücken einer Verständigung abgebrochen.
Wer nun die besseren Karten in der Hand hat – der orange Riese oder der unsensible Regionalfürst –, ist offen. Damien Piller ist nach wie vor Präsident der Migros-Genossenschaft Freiburg/Neuenburg.
Während er selber mit SonntagsBlick über seinen Fall offen spricht, darf die Migros ihrerseits keine Stellungnahme abgeben. Grund: Piller hat gegen die Migros eine superprovisorische Verfügung erwirkt, sie muss schweigen. Migros-Sprecher Tristan Cerf teilt mit: «Aufgrund einer gerichtlichen Verfügung dürfen wir uns zurzeit nicht zum Sachverhalt äussern.»