Rund 100'000 Arbeitnehmende sind in der Schweiz im Transport- und Logistikgewerbe tätig. Als «Sklaven der modernen Zeit» bezeichnete der Chauffeur Jean-Charles Froidevaux seinen Berufsstand am Donnerstag vor den Medien in Bern .
Der ehemalige Chauffeur Bruno Fürst doppelte nach, von der «grossen Freiheit» sei nicht mehr viel übrig geblieben. Stress und Verkehr hätten zugenommen, das Nachtfahrverbot sei zu einem «Emmentaler» geworden und die Überwachung der Fahrer nehme zu . Arbeitgeber würden zudem lieber hohe Spesen statt Löhne zahlen, um Sozialabgaben zu sparen.
Als «Tochter eines ehemaligen Lastwagenfahrers» wisse sie, wie der Alltag dieser Männer und Frauen aussehe und welche Auswirkungen die Arbeit auf das Sozial- und Familienleben der Chauffeure habe, stellte Unia-Präsidentin Vania Alleva fest.
In den letzten Jahren habe sich die Situation weiter verschlechtert. Die Beschäftigten müssten eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden und oftmals zahlreiche Überstunden hinnehmen. Sie seien vermehrtem Stress und Druck ausgesetzt. Zunehmende Verkehrsdichte, immer kürzere Lieferfristen und ein immer höherer Rentabilitätsdruck wirkten sich negativ auf die Arbeitsbedingungen aus.
Die Löhne im Transportgewerbe stagnieren laut den Gewerkschaften seit Jahren auf tiefem Niveau. In anderen Niedriglohnbranchen im Dienstleistungsgewerbe hätten zumindest kleine Erhöhungen durchgesetzt werden können. Im Logistikgewerbe herrschen laut den Gewerkschaften ebenfalls prekäre Arbeitsbedingungen.
Für die Gewerkschaften ist daher klar: Ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag mit anständigen Mindestlöhnen ist dringend notwendig.
Zentrale Forderungen sind dabei unter anderem: Ein 13. Monatslohn, eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden, Pikettdienst als Arbeitszeit und bezahlter Vaterschaft- und Mutterschaftsurlaub. Zudem sollen bei den Mindestlöhnen Ausbildung und Dienstjahre berücksichtigt werden.
Syndicom-Präsident Alain Carrupt zeigte sich überzeugt davon, dass mit diesen Massnahmen Lohndumping, die Auslagerung von Transportaufträgen an Billiganbieter und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bekämpft werden können. Ein allgemeinverbindlicher GAV liege aber auch im Interesse der Arbeitgeber, weil damit unlauterer Wettbewerb verhindert werden könne.
Ganz anderer Meinung sind aber der Schweiz. Nutzfahrzeugverband (Astag) und die Berufsfahrervereinigung Les Routiers Suisses (LRS). Sie verurteilen «den neuerlichen Einmischungsversuch der Unia aufs Schärfste». Trotz schwieriger wirtschaftlicher Situation habe sich die «bestehende noch relativ junge Sozialpartnerschaft im Transportgewerbe» bestens bewährt, heisst es in einer gemeinsamen Medienmitteilung des Branchen- und des Berufsverbands vom Donnerstag.
Faire Arbeitsbedingungen seien nicht nur selbstverständlich, sondern aufgrund der sehr strengen gesetzlichen Vorgaben sogar zwingend und würden rigoros kontrolliert.
Seit 2006 ist in der Transportbranche eine Landesvereinbarung in Kraft. Sie löste damals den sogenannten Ehrenkodex des Astag ab. SVP-Nationalrat und Astag-Präsident Adrian Amstutz bezeichnet das Vorgehen der Gewerkschaften als «reine Propaganda vor den Wahlen».
Unia und Syndicom betonten, dass sie in der Branche über «ein solides Netz an aktiven Mitgliedern» verfüge, von denen sie beauftragt worden seien, Verhandlungen mit den Arbeitgebern aufzunehmen. Konkrete Termine wurden aber bisher noch nicht vereinbart.