Was unterscheidet ein gutes Schweizer Gipfeli von einem Pariser Croissant? Die Butter. Die Franzosen backen ihre Croissants traditionellerweise nämlich mit pflanzlicher Margarine. Verantwortlich für diesen kleinen, aber feinen (im wahrsten Sinne des Wortes) Unterschied ist ein einziger Mann: Alfred «Fredy» Hiestand, 78 Jahre alt und in der Deutschschweiz bekannt als Gipfeli-König.
In den 60er-Jahren gründete Hiestand – damals Anfang 20 – seine erste Bäckerei in Zürich-Wipkingen. Das Startkapital für sein späteres Gipfeli-Imperium, die Hiestand Holding AG, musste sich der Bauernsohn hart erarbeiten: Als Taxifahrer chauffierte er unzählige Kundinnen und Kunden durch den Kanton Zürich und sparte so 5000 Franken zusammen. Sie sollten sich im Verlauf der Jahrzehnte vervielfachen: Beim Börsengang 1997 erwirtschaftete Hiestand über 100 Millionen Franken im Jahr.
Vom Gipfeli-König zum Totengräber der Schweizer Bäcker
Hiestands sprichwörtliches Erfolgsrezept bestand allerdings nicht nur aus harter Arbeit und Schweizer Butter. Wegweisend war auch seine Entwicklung von vorgegarten, tiefgekühlten Teiglingen. Diese werden innert 20 Minuten zu frischen Gipfeli aufgebacken. Mithilfe der Frischback-Gipfeli beförderte Hiestand das Schweizer Traditionsgebäck in die Massenproduktion und auf den Frühstückstisch von Millionen Schweizer Familien. Das Gipfeli wurde auch zum Exportschlager: Hiestand betrieb bald Produktionsstätten in Deutschland, Österreich, Polen und gar Malaysia.
Die Kehrseite der Medaille: Unter den Schweizer Bäckern galt Fredy Hiestand mit seinen Convenience-Gipfeli nicht etwa als Visionär, sondern als Totengräber, als Ursprung des viel beklagten Bäckereien-Sterbens. Viele Leute bezogen ihr liebstes Frühstücksgebäck nämlich bald nicht mehr beim Bäcker um die Ecke, sondern an der Tankstelle. Auch monierten Kritiker, Aufbackgipfeli seien qualitativ minderwertig. Hiestand konterte dies gegenüber Blick einmal mit den Worten: «Tiefgekühlt ist mindestens genauso frisch!»
Heute bäckt Hiestand wieder kleinere Brötchen
Doch auch für Fredy Hiestand selber lief nach dem Börsengang 1997 nicht mehr alles nach Plan: 2003 musste er zuerst seinen Posten in der Geschäftsleitung, später auch im Verwaltungsrat räumen. Er verkaufte seine Aktien, heute ist nicht einmal mehr sein Name Programm: 2008 fusionierte Hiestand mit der irischen IAWS Group zur heutigen Aryzta.
Fredy Hiestand bäckt seither wieder kleinere Brötchen: 2003, postwendend nach dem unfreiwilligen Verlust seines Lebenswerks, gründete er das Bäckereiunternehmen Fredy's. Statt Buttergipfeln verkauft Hiestand mittlerweile vor allem Vollkornbrot: «Weil es etwas vom Gesündesten ist, was es gibt», wie er schwärmt.
An den Ruhestand denkt der 78-Jährige noch lange nicht. Nicht nur in der Backstube ist er weiterhin aktiv, sondern auch in der landwirtschaftlichen Produktion. An der Elfenbeinküste betreibt Fredy Hiestand eigene Kakao-Plantagen. Sein Traum: Die Schokolade für seine Schoggigipfel (die neben Vollkornbrot natürlich weiterhin verkauft werden) soll dereinst aus eigener Produktion stammen. Da Hiestand laut eigenen Aussagen über 100-jährig werden will, bleibt ihm dafür zum Glück noch etwas Zeit.