Frauen berichten, wie sie mit Geld umgehen
Sie und der Stutz

Viele Frauen tun so, als würde sie das Thema Geld nichts angehen. Die Sorglosigkeit hat einen Preis. Vier Frauen erzählen.
Publiziert: 12.05.2019 um 11:14 Uhr
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Fiona Trachsel (34), Leiterin Unternehmenskommunikation: Gemäss Lohnrechner hätte sie bei ihrem Job 102 000 Franken Jahreslohn zugut gehabt…
Foto: Thomas Meier
Barbara Lukesch

Das Verhältnis von Frauen zu Geld ist ziemlich kompliziert. Viele geraten bei dem Thema in einen Gefühlsmix aus Gleichgültigkeit und Desinteresse, aber auch Überforderung angesichts des eigenen Nicht­wissens. Auf Lohnverhandlungen bereiten sie sich ungenügend vor und lassen ihrem Chef den Vortritt. An Vorstellungsgesprächen können sie mitunter nicht einmal ihren letzten Lohn beziffern. Eine Berner Personalverantwortliche konstatiert: «Diese Naivität ist wirklich übel.»

Ulla Schiesser sitzt vor einem Milchkaffee und reibt sich die geröteten Wangen: «Ich bin eine von diesen Frauen und muss gestehen, dass mein Verhältnis zu Geld schlampig-nachlässig ist.» Daheim regle ihr Mann alles Finanzielle. Sie habe auch keine Ahnung, mit wie viel Rente sie dereinst rechnen könne. Was im Fall einer Scheidung auf sie zukommen würde, könne sie nur erahnen: «Ich müsste deutlich kürzertreten.»

Die 58-jährige Zugerin leitet die Regionalbibliothek in Affoltern am Albis ZH, wo sie 5670 Franken netto für ein 80-Prozent-Pensum verdient. Als sie sich vor acht Jahren um diese Stelle bewarb, ging es der gelernten Buchhändlerin einmal mehr vor allem um eine erfüllende Tätigkeit. Über den Lohn hatte sie sich «wenig Gedanken» gemacht und reagierte auf die entsprechende Frage «sehr zurückhaltend». Das Ergebnis? Sie arbeitet mehr als am vorherigen Ort, trägt deutlich mehr Verantwortung und verdient weniger. Sichtlich zerknirscht sagt sie: «Ich bin mir bewusst, dass mein Verhalten peinlich ist.» Sie verstehe es auch nicht ganz, weil sie als Berufsfrau durchaus in der Lage sei, mit Geldbeträgen von mehreren Hunderttausend Franken professionell umzugehen. Nur im Privaten, da «klemmt es».

Geprägt durch den 
sparsamen Alleinerzieher

Auf der Suche nach Gründen stösst sie auf eine prägende Erinnerung aus ihrer Kindheit. Ihr Vater, lange Zeit Alleinernährer der sechsköpfigen Familie, habe der Mutter monatlich das Haushaltsgeld zugeteilt und sie streng gemassregelt, wenn sie zu viel ausgab: «Ich empfand es als äusserst demütigend, was meine Mutter sich da gefallen lassen musste.» Geld, so ihr Eindruck, sei etwas, was die Menschen nicht glücklich mache. Kein Wunder, hat sie in ihrer Jugend vor allem in linken Kreisen verkehrt und es als moralisches Gebot empfunden, dem Geld keine Bedeutung beizumessen.

Mit den Jahren nahm dann ein anderer Gedanke Gestalt an und beeinträchtigte ihr Auftreten bei Lohngesprächen: «Als Bibliothekarin erwirtschafte ich keinerlei sicht- und bezifferbaren Output, sondern bin bloss ein riesiger Kostenfaktor und sollte eigentlich dankbar dafür sein, dass ich überhaupt so einen spannenden Job habe.»

Dieses Denken beherrscht viele Frauen und hindert sie daran, selbstbewusster für sich und die Wertschätzung ihrer Arbeit einzustehen. Die aber zeigt sich nirgends so gut wie bei der Höhe des Lohns. Knapp 20 Prozent beträgt der Unterschied zwischen Frauen- und Männerlöhnen, rund acht Prozent davon lassen sich nicht erklären. Die Basler Ökonomin ­Mascha Madörin hat die Lohn­lücke in der Schweiz in einem Interview mit dem Fachblatt «moneta» kürzlich auf jährlich 28 Milliarden Franken beziffert. Ganz zu schweigen von den rund 80 Milliarden Franken, welche die Expertin für die von Frauen geleistete unbezahlte Haus-, Familien- und Pflegearbeit errechnet hat.

Mit der Babypause kommt 
der Lohnknick

Der Moment der Familiengründung bringt nach wie vor 70 Prozent der verheirateten Frauen dazu, vorübergehend ganz aus dem Erwerbsleben auszusteigen oder sich auf ein oft kleines Teilzeitpensum zu beschränken. «Die Folge ist ein Knick in der Lohnentwicklung, der meistens nie mehr korrigiert werden kann«, konstatiert Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung des Kantons Zürich.

Der weibliche Widerstand gegen den «Gender Pay Gap», den geschlechtsspezifischen Lohnunterschied, hat sich in letzter Zeit an Demonstrationen und in der Vorbereitung auf den nationalen Frauenstreik am 14. Juni wieder sicht- und hörbarer formiert. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat die generelle Abwertung von Frauen kürzlich in einem Interview mit der «Annabelle» angeprangert: «Sie haben acht Buchhalter in einer Firma und eine Buchhalterin. Die Frau hat die gleiche Aufgabe, den gleichen Leistungsausweis, aber am Ende des Jahres hat sie 7000 Franken weniger verdient. Das heisst doch einfach: Sie ist weniger wert. Das steckt tief in unseren Köpfen drin und führt dazu, dass man Frauen abwertet.»

Trotz Streik und Schützenhilfe von oberster Stelle treten viele Frauen in der Stunde der Wahrheit, wenn es um das Aushandeln ihres persönlichen Lohns geht, immer noch sehr defensiv auf. Die 34-jährige Fiona Trachsel verfügt eigentlich über alle Voraussetzungen, um auf diesem Feld zu bestehen: Master in Kommunikationsmanagement, halbjährige Praxiserfahrung in einem Marketingbüro in New York, mehrjährige Agentur- und Redaktionstätigkeit, darunter zwei Jahre in leitender Funktion und als Tochter der Gleichstellungsexpertin Helena Trachsel von früh an daran gewöhnt, den Stellenwert des Geldes richtig einzuschätzen. Sie erzählt: «Bei uns daheim wurde immer offen über Geld geredet. Ich wusste den Lohn meiner Eltern und habe auch ihre Lohnausweise gesehen.» Von ihrer Mutter habe sie sogar erfahren, wie hoch der Bonus war, der ihr in ihrer Zeit in der Privatwirtschaft Ende Jahr jeweils ausbezahlt wurde.

Auch bei der Rente haben 
Frauen das Nachsehen

Sie habe auch mitbekommen, wie wichtig die Altersvorsorge sei, und in dem Moment ein Dritte-Säule-Konto eröffnet, als sie hörte, dass Frauen in der Schweiz rund 37 Prozent weniger Rente erhalten als Männer. Ausserdem habe sie seit Jahren ein Sparbuch, das sie regelmässig alimentiere. «Das vermittelt mir ein gutes Gefühl von Sicherheit und erlaubt mir, mir hin und wieder etwas Luxus zu leisten.» In der Beziehung mit ihrem Freund, mit dem sie seit fünf Jahren zusammenwohnt, sind finanzielle Eigenständigkeit und getrennte Konten für sie eine Selbstverständlichkeit.

Als sie sich um ihre jetzige Stelle als Leiterin der Unternehmenskommunikation bei ewp bewarb, einem in der ganzen Deutschschweiz tätigen Ingenieur- und Planungsunternehmen, hatte sie sich sorgfältig auf das Vorstellungsgespräch vorbereitet, an das sie auch ihre Lohnvorstellungen mitbringen sollte. Sie hatte ihre Mutter um Rat gefragt sowie ehemalige Kommilitonen mit vergleichbaren Berufen und den Lohnrechner im Internet konsultiert und war zum Schluss gekommen: Ein Jahresgehalt von 102 000 Franken wäre angemessen. Vorbildlich!

Doch dann das: Als das Thema auf den Tisch kam, bot man ihr knapp 95 000 Franken. Fiona Trachsel schüttelt noch heute den Kopf, wenn sie an ihre damalige Reaktion denkt: «Zu meinem Erschrecken habe ich sofort eingewilligt und gesagt, das sei okay.» Kein Mann, ist sie sich sicher, hätte sich so schnell zufriedengegeben, sondern mindestens zu verhandeln begonnen.

Inzwischen hat sie sich weitergebildet und zur Förderung ihrer Karriere 70 000 Franken von ihrem Ersparten investiert, um einen MBA an der Hochschule St. Gallen zu erwerben. Spannend fand sie, dass unter den grossmehrheitlich männlichen Studienabsolventen bereits am zweiten Tag ein Thema alle anderen dominierte: der Lohn. Sie lacht. «Die meisten meiner Kolleginnen und Freundinnen reden locker einen Abend lang über Sex. Das Thema Lohn ist hingegen tabu oder interessiert sie gar nicht.» Fiona Trachsel will sich davon nicht länger bremsen lassen: «Beim nächsten Vorstellungsgespräch werde ich entschlossener auftreten und härter um meinen Lohn kämpfen.»

Geld steht für Freiheit, 
Unabhängigkeit, Sicherheit

Irene Meier (57), Wirtschaftsgeografin, langjährige Kantonsrätin der Grünen in Zürich und einst Präsidentin der Frauenzentrale, führt seit acht Jahren die Geschäfte von Impulsis, einer Non-Profit-Organisation zur Berufsintegration junger Menschen. Sie hat ein dezidiertes Verhältnis zu Geld: «Geld gibt mir Freiheit, Unabhängigkeit und die Gewissheit, allein zurechtzukommen – egal, was passiert.» Bei ihrer Mutter habe sie gesehen, wie negativ sich das Drei-Phasen-Modell mit Ausbildung/Berufstätigkeit, Mutterschaft/Ausstieg aus dem Beruf und Wiedereinstieg auswirke: «Es geht enorm viel Potenzial verloren.»

So hat sich Irene Meier bewusst dafür ­entschieden, ihren Partner trotz gemeinsamem Sohn und langjährigem Zusammenleben nicht 
zu heiraten und sich damit «vor der «Falle des Versorgtwerdens» zu bewahren. Als Ledige sei sie einfach mehr darauf angewiesen, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Weil ihr Partner stets mehr verdiente als sie, hat er entsprechend seinem Lohn aber einen grösseren Anteil an die gemeinsamen Ausgaben wie Miete und Essen geleistet. Das Paar hat seine Finanzen separat geregelt: Beide haben ihre eigenen Konten, eine eigene AHV und Pensionskasse und füllen separate Steuererklärungen aus. Nur für die Ausbildung ihres Sohnes hatten sie ein gemeinsames Konto. «Wir waren in der komfortablen Lage, nie viel Aufhebens um das Geld machen zu müssen», sagt Irene Meier, «und hatten auch nie Streit über dieses Thema.»

Dass viele Frauen ein ungeklärtes, wesentlich schwierigeres Verhältnis zu Geld haben, mag auch eine Folge davon sein, dass die Schweiz sie im Grunde erst vor 30 Jahren in die berufliche und finanzielle Mündigkeit entlassen hat. Streng genommen können Frauen erst seit der Revision des Eherechts 1988 ohne Einwilligung ihres Mannes einen Job übernehmen und ein eigenes Bankkonto eröffnen. Da überrascht es nicht, dass sich gemäss einer Umfrage der Partnervermittlung ElitePartner nur 30 Prozent der Frauen einen Mann vorstellen können, der weniger verdient als sie. Die grosse Mehrheit hält am Idealbild des finanziell überlegenen Mannes fest, der sie bei Bedarf auch ernähren kann.

Jelena Valdivia lebt das andere Modell: Die 33-Jährige ist gerade Mutter geworden, wird nach einem halbjährigen Unterbruch an ihren Arbeitsplatz als stellvertretende Leiterin einer Kita zurückkehren, wo sie ein 80-Prozent-Pensum bekleidet. Ihr Mann, Informatiker, hat sich bewusst dafür entschieden, ­daheimzubleiben und sich um Tochter und Haushalt zu kümmern.

Für Bio-Rüebli reicht das ­Haushaltsbudget nicht

Mit der Rolle der Alleinverdienerin kann sich die junge Frau gut arrangieren. Auch dass die Familie mit bescheidenen 4100 Franken monatlich über die Runden kommen muss, ist für sie kein Grund zur Besorgnis: «Ich bin es gewohnt, mit wenig Geld zu leben, und kenne einige Tricks, die beim Sparen helfen.» So habe sie die Kulturlegi der Caritas und der Stadt Zürich, die es ihr erlaube, Kleider und Lebensmittel verbilligt einzukaufen, aber auch ins Yoga zu gehen. Klar könne sich die Familie weder ein Auto noch teuren Ausgang oder Reisen leisten und sei auf eine Genossenschaftswohnung angewiesen. Das sei alles kein Problem, beteuert sie. Nicht so vorbildlich sei hingegen, dass sie nie Bio-Rüebli kaufen könne, sondern zum Budget-Gemüse greifen müsse.

Immerhin spare sie schon lange, weil ihr immer klar gewesen sei, dass sie eines Tages ein Kind haben wolle und unter Umständen auch einmal als alleinerziehende Mutter dafür aufkommen müsse. Mit diesem Geld kann sie sich jetzt zwei zusätzliche Monate unbezahlten Mutterschaftsurlaub leisten. «Das empfinde ich als grossen Luxus.» Über Geld sagt sie mit grosser Selbstverständlichkeit: «Geld ist für mich wichtig, und ich gehe sehr bewusst und strukturiert damit um.» Es sei nicht nur Mittel zum Leben, sondern in Form des Lohns auch Ausdruck von Wertschätzung.

Diese Haltung hat dazu geführt, dass sich Jelena Valdivia der Gewerkschaft angeschlossen und dort gemeinsam mit anderen Kita-Kolleginnen die Arbeitsgruppe «Trotzphase» gegründet hat. ­Innerhalb ihres Berufsstands, einer klassischen Frauendomäne, sind niedrige Löhne ein Dauerbrenner. Jelena Valdivia weiss genau, dass damit auch Geringschätzung zum Ausdruck kommt: «Mit Kindern spielen? Das kann doch jeder …» Weil sie an dieser Einstellung etwas ändern möchte, exponiert sie sich in der Öffentlichkeit und gibt Interviews. Gleichzeitig hat sie eine Weiterbildung in Management von Non-Profit-Organisationen gemacht, weil sie sich ein klares Karriereziel gesteckt hat: «Eines Tages möchte ich eine Kita leiten und mehr verdienen.»

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