Flankierende Massnahmen als Job-Killer?
Arbeitgeber entsetzt über Avenir Suisse

Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse stellt die flankierenden Massnahmen in Frage. Denn die würden Job-Verlagerungen ins Ausland und Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und Älteren befeuern. Gewerkschaftler und Arbeitgeber sind entsetzt.
Publiziert: 15.05.2017 um 17:57 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 19:48 Uhr
Peter Grünenfelder und sein Think Tank Avenir Suisse stellen die flankierenden Massnahmen «grundsätzlich in Frage».
Foto: Keystone/René Ruis
Vinzenz Greiner

Die SVP und die Aktion für eine unabhängige Schweiz (Auns) wollen die Personenfreizügigkeit aufkündigen. Noch in diesem Jahr möchten sie eine entsprechende Volksinitiative lancieren. Dass EU-Bürger sich frei in der Schweiz niederlassen können, findet der liberale Think Tank Avenir Suisse zwar positiv. Denn dadurch würden Stellen auf den unteren und mittleren Qualifikationsstufen geschaffen, wie es in einer Studie von heute Montag heisst.

Avenir Suisse kritisiert flankierende Massnahmen

Die Denkfabrik unter der Direktion von Peter Grünenfelder (50) rüttelt aber an etwas, das negative Effekte der Personenfreizügigkeit eigentlich abfedern sollte: die 2004 eingeführten flankierenden Massnahmen (FlaM). Sie sollen garantieren, dass auch bei ausländischen Arbeitnehmern in der Schweiz Lohn- und Arbeitsbedingungen eingehalten werden – zum Beispiel durch Mindestlöhne. Das heisst: EU-Bürger sollen Schweizer Arbeitnehmer nicht mit niedrigeren Löhnen konkurrenzieren.

In der Studie heisst es, die FlaM wirkten sich «negativ auf den Arbeitsmarkt aus». Konkret: Wegen der Mindestlöhne hätten Jugendliche und Ältere als Quereinsteiger schlechtere Chancen, einen Job zu finden. Vor allem teilqualifizierte Arbeit werde verteuert, «was die Automatisierung oder Verlagerung ins Ausland verstärkt und das Jobwachstum hemmt», schreibt Avenir Suisse.

Minimale Lohn- und Arbeitsbedingungen als Job-Killer also. Deshalb, schreibt Avenit Suisse, stelle man die «Notwendigkeit der FlaM – in ihrer heutigen Form – grundsätzlich in Frage».

Nicht nur Kritik von Arbeitnehmer-Vertretern

Für die Gewerkschaften ist klar, was diese Forderung bedeutet: Lohndumping! Statt Massnahmen gegen die Managerlohn-Politik in den Führungsetagen der Grosskonzerne zu präsentieren, wolle Avenir Suisse die Schutzmassnahmen zerstören, welche die Schweiz gegen Lohndumping eingeführt hat, schreibt der Gewerkschaftsbund (SGB).

Doch auch Arbeitgeber sind erzürnt. Denn Avenir Suisse unterstellt einzelnen von ihnen, die FlaM missbräuchlich dazu zu nutzen, den Preiswettbewerb zu unterbinden und sich vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Der Think Tank bezeichnet dies in der Studie als «Kartellisierung und Marktabschottung» – etwa in der Baubranche oder bei privaten Sicherheitsdienstleistern.

Sicherheitsfirmen wehren sich gegen Avenir Suisse

Reto Casutt (57) verbitte sich diese «Unterstellung». Seine Branche bilde kein Lohnkartell und schotte sich nicht gegen ausländische Konkurrenz ab, so der Generalsekretär Des Verbandes Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen. In seiner Branche herrsche ein harter Wettbewerb.

«Avenir Suisse arbeitet nach reinen Theorien eigentlich vergleichbar mit dem bekannten physikalischen Experiment: Im luftleeren Raum fallen Feder und Hammer gleichzeitig zu Boden», so Casutt. Die Realität bestehe aber eben nicht nur aus Angebot und Nachfrage.

Es gebe schliesslich hohe Lebenshaltungs- und Lohnkosten in der Schweiz. «Die Wirklichkeit sieht anders aus, als sich das Avenir Suisse vorstellt.» Auch der linke Think Tank Denknetz ist entsetzt: «Die Argumente sind vollkommen absurd!», heisst es auf Anfrage. Denn im Tieflohn-Segment gebe es gerade dank der FlaM keinen grossen Zustrom von Arbeitskräften.

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