Der Mensch von heute ist fit. Das weiss er wegen Smartphone-Apps, Armbänder mit Sensoren und anderen Fitness-Trackern. Oder eher: er glaubt es zu wissen.
Denn: «Mit Fitness-Trackern exakt zu messen, ist kaum möglich», sagt Christina Spengler. Am ETH-Institut für Bewegungswissenschaften und Sport untersucht sie Leistungsfähigkeit und Ausdauer. Dafür braucht Spengler Messgeräte. Und genau hier bekommt die Professorin ein Problem.
Denn von den Herstellern erhält sie weder Rohdaten noch Angaben, wie die Messungen berechnet werden. Hinzu kommen unterschiedliche Messmethoden. Die Apple Watch etwa nimmt den Puls optisch, mit einem grünen Licht. Andere Gadgets werten dafür kleine Stromsignale der Haut aus.
Ergebnis: Ernüchterung. Einmal hatte die Forscherin einen Herzfrequenz-Messer in ihrer Hosentasche. Den Puls nahm er trotzdem. Oder die Pianistin, die einen Test von Spengler mit einem Fitness-Armbändeli durchführte, hatte nach anderthalb Stunden am Klavier ihr Tagessoll an Schritten erreicht. Das zeigt, die Fitnessarmbänder ticken nicht immer korrekt.
Ein Tracker kann kontraproduktiv sein
Seit fünf Jahren testen und analysieren Spengler und ihr Team Fitness-Gadgets. Ihre Arbeit stellte sie dieses Wochenende an der «Scientifica»-Messe in Zürich vor.
Grundsätzlich findet Spengler es ein gutes Zeichen, dass sich immer mehr Menschen ein Bewegungsminimum setzen. Für viele sei dies der Einstieg in ein aktives Leben. «Aber ein Tracker kann kontraproduktiv sein, wenn er zur Selbstüberschätzung führt.» Oder die ausgespuckten Daten den Träger überfordern. Ein Kollege, der seinen Herzrhythmus beobachtete, sei «von vermeintlichen Störungen extrem gestresst» worden, erzählt Spengler.
Auch Christiane Brockes (55), Leiterin der klinischen Telemedizin am Unispital Zürich, kennt diese Überforderung. «Bei unserer Onlineberatung bekommen wir vermehrt Anfragen von Menschen, die nicht wissen, was ihnen die Daten ihrer Fitness-Tracker sagen.» Brockes glaubt zwar, dass man dank Schrittzähler und Smartphone gesünder sei, weil man ein stärkeres Bewusstsein für Körper und Gesundheit erhalte. «Man muss aber aufpassen, dass man nicht in der Datenflut untergeht.» Brockes spricht gar von einem «Mess-Wahn».
Krankenkassen-Rabatt dank Tracker
Bereits wollen erste Unternehmen die Daten von Fitness-Trackern für ihr Dienste nutzen. So schreibt die CSS-Versicherung jedem Kunden 40 Rappen pro Tag gut, wenn er 10'000 Schritte geht. Dafür braucht der Kunde aber einen Tracker von einer der drei Partner-Marken des Krankenversicherers.
Christina Spengler von der ETH findet solche Rabatte «höchstproblematisch». Schon zwei Tracker derselben Marke lieferten unterschiedliche Ergebnisse. Die Schrittzahl könne sich von Gerät zu Gerät unterscheiden, im Flachen bis zu 30 Prozent, bei Treppen bis zu 80 Prozent.
Christiane Brockes findet die ungenauen Daten der Fitness-Gadgets, die viel schlechter analysieren als Messgeräte im Profi-Sport, «verschmerzbar», wenn es um den Hobby- und nicht den medizinischen Bereich geht. Ihr Problem: Bisher sei noch nicht transparent gekennzeichnet, was mit den Daten passiere. Zudem gäben die Nutzer ihre Daten zu lax frei.
Kollegin Spengler ist vorsichtig, gibt nirgends ihr Alter an. «Wem es egal ist, dass irgendjemand seine Aktivitäten in Verbindung mit Namen und Geburtstag bekommt, der kann gerne eine Fitness-App verwenden», sagt sie trocken. Sie selbst nutzt keine App mit richtigem Namen.